Analyse nach dem Scheitern für München 2022 Nie wieder Olympia in Deutschland?

Düsseldorf · Das desaströse Image des Internationalen Olympischen Komitees war der wesentliche Grund für das Scheitern der Münchner Bewerbung um die Winterspiele 2022.

Bei Skirennläuferin Maria Höfl-Riesch sitzt der Frust tief. Gerade so, als habe sie am ersten Tor des olympischen Slaloms eingefädelt. Wochenlang hatte die zweimalige Goldmedaillengewinnerin von Vancouver für Winterspiele in ihrer oberbayerischen Heimat getrommelt. Ohne Erfolg. "Das war es jetzt mit Olympia in Deutschland", sagte sie, "da wird es keine Bewerbung mehr geben. Es ist ja ganz klar nach so einem desaströsen Bürgervotum, dass das eben tot ist."

Nie mehr Olympia in Deutschland? Nachdem die Bürger in München, in Garmisch-Partenkirchen sowie den Kreisen Traunstein und Berchtesgaden die Initiative zur Bewerbung unerwartet deutlich haben durchfallen lassen, scheint es fast so. Die Nazi-Spiele 1936 in Berlin und Garmisch, das heitere, aber vom Attentat geprägte Münchner Sportfest 1972 — das war's?

Die bayerischen Wähler haben ein Signal gesetzt, das auch auf die Bevölkerung in Hamburg und Berlin Einfluss haben dürfte. Die beiden größten deutschen Städte hatten häufiger schon zart Interesse an einer Kandidatur für Sommerspiele 2024 oder später angemeldet. Einfacher wird es dort jetzt nicht. Eine Bewerbung ohne Abstimmung unter den Bürgern ist nicht vermittelbar. "Es wird eine lange Zeit dauern, bis wir diese Chance wieder haben", erkannte auch Michael Vesper, der Generaldirektor des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB).

"Das ist sehr bitter für den deutschen Sport"
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Foto: dpa, Peter Kneffel

Doch warum haben die Münchner und ihre Nachbarn verhindert, dass Vesper die Bewerbungsunterlagen wie geplant am Donnerstag beim Internationalen Olympischen Komitee in Lausanne einreicht? Zum einen ist es eine grundsätzliche Skepsis gegenüber Milliardenprojekte, weil einige davon aus dem Ruder gelaufen sind: der Bahnhof Stuttgart 21, die Elbphilharmonie in Hamburg, der Flughafen Berlin/Brandenburg. Zum anderen ist da die vom Bau von Kraftwerken, Müllverbrennungsanlagen oder Stromtrassen bekannte Haltung, derartige Projekte nur zu befürworten, wenn sie nicht gerade die eigene Nachbarschaft verändern. Für die ebenso heimatverbundenen wie wirtschaftlich starken Bayern gilt: Wir brauchen die Spiele nicht, schon gar nicht als Konjunkturstütze. In den Herzen kam der Olympia-Plan nicht an.

Entscheidend für das "Nein" war aber wohl das katastrophale Image, das dem IOC in Deutschland anhaftet. Zwielichtige Gestalten schieben sich Pöstchen und Großereignisse und damit viel Geld und Einfluss zu — so kommt die bald 120 Jahre alte Organisation hier an. Fast eine Milliarde Dollar Rücklagen hat es angehäuft. Und ihren Gigantismus hat die viel besungene olympische Familie gerade damit unterstrichen, dass sie ihre Fackel ins Weltall brachte. Die Erde reicht ihr nicht mehr.

Umweltzerstörung und Doping

Die Distanzlosigkeit gegenüber der Regierung in China vor den Spielen 2008 und zum Kreml jetzt vor den anstehenden Putin-Festlichkeiten in Sotschi geben den Olympia-Gegnern Nahrung. Umweltzerstörung und unmenschliche Arbeitsbedingungen am Bau prägen in diesen Tagen das Bild Olympias. Auf sportlicher Seite kommt das ungelöste Dopingproblem hinzu. Der Schweizer Gian-Franco Kasper, Präsident des Internationalen Skiverbands, sagte: "Sobald die Menschen Olympia hören, bekommen sie Angst." Bei der Wahl Thomas Bachs zum Präsidenten vor zwei Monaten wurde deutlich, um was für eine Organisation es sich beim IOC handelt. Viele Entscheidungsträger bringen keine demokratische Legitimation mit.

Sportpolitik in der Kritik

Erschwerend für die Olympier kommt hinzu, dass auch die Kameraden vom Internationalen Fußballverband (Fifa) das Bild der Sportpolitik verheerend prägen. Die katastrophale Entscheidung, die WM 2022 in Katar auszutragen, schadet den Verbänden. Erstaunlicherweise richtet sich in Deutschland aber kein Widerstand gegen den Fußball. Nicht gegen Spiele der EM 2020, nicht gegen die EM 2024. Das "Sommermärchen" von 2006 wirkt immer noch nach.

Es fällt auf, wie rasant Olympia hierzulande seinen guten Ruf verspielt. Noch zu Beginn des Jahrhunderts meldeten in Düsseldorf/Rhein-Ruhr, Leipzig, Hamburg, Stuttgart und Frankfurt fünf Metropolregionen ihr Interesse an den Sommerspielen 2012 an. Erstaunlich ist auch, dass gerade nach den Spielen 2012, die dann ja in London stattfanden, die Ablehnung so groß ist. Denn gerade die Briten haben gezeigt, wie Olympia trotz seiner Größe zu einem Event mit menschlichen Zügen werden kann. Ein Beispiel: Die zunächst bedrohlich wirkenden Sicherheitsvorkehrungen bekamen in London sogar eine weitgehend sympathische Note, weil die Soldaten ansteckend gute Laune verbreiteten. Gerade München 2022 wäre mit einem vergleichsweise behutsamen Eingriff in die Voralpenlandschaft ein schöner und richtungweisender Kontrapunkt zu den Retortenspielen im kommenden Februar an Sotschis Palmenstrand und 2018 in Südkorea, der Heimat des Elektronik-Giganten Samsung, geworden.

Doch nicht nur in Deutschland setzen sich die Gegner durch. In vielen europäischen Ländern überwiegen die Vorbehalte gegen das Mega-Ereignis. Die Olympia-Kandidatur des Schweizer Kantons Graubünden scheiterte im März bei einem Bürgerentscheid. Rom — vormals nicht für wirtschaftliche Vernunft bekannt — stieg frühzeitig aus dem Rennen um die Sommerspiele 2020 aus. Am deutlichsten war die Anti-Olympia-Stimmung in der österreichischen Hauptstadt. 70 Prozent der Wiener lehnten im März eine Bewerbung ab, egal ob für Winter oder Sommer. Selbst im wintersportverrückten Oslo, das als Favorit in den Kampf um die Spiele 2022 geht, gab es mit 55,1 Prozent Zustimmung kein überwältigendes Votum pro Olympia. Stockholm meldete gestern noch seine Kandidatur an — ohne die Einwohner zu befragen.

(RP)
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