Tödlicher Rodel-Unfall "Die Bahn ist einfach brutal"

Vancouver (RPO). Unbefahren wirken die 16 Kurven, die sich auf 1450 Metern Länge im Sliding Centre von Whistler Mountain dahinschlängeln, friedlich. Doch die Rinne stellt jeden Athleten vor extreme Herausforderungen. Dem 21-Jährigen Nodar Kumaritaschwili aus Georgien wurde die "Thunderbird-Kurve" zum Verhängnis. Experten kritisieren, dass der Geschwindigkeitswahn im Sport mit dieser Bahn einen neuen, perversen Höhepunkt erreicht.

Olympia 2010: der tödliche Rodel-Unfall
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Der Hochgeschwindigkeitskurs mit Topspeeds bis zu 155 km/h ruft selbst bei den Besten der Zunft großen Respekt hervor, die Angst vor schweren Stürzen fährt bei der Medaillenjagd mit. "Die Bahn ist einfach brutal", sagte Patric Leitner, der Doppelsitzer-Olympiasieger von 2002.

Der spektakuläre Eiskanal in Whistler hat ein erstes Todesopfer gefordert. Das Drama um Kumaritaschwili war für die Rodler durch die haarsträubenden Entwicklungen an der Strecke in den vergangenen Jahren absehbar.

"Die Bahn in Turin war doch schon viel zu schnell. Und in Whistler ist so nochmal um einiges schneller. Man muss endlich eine Grenze ziehen, damit so etwas schreckliches nie wieder passiert. Für die Sportler ist das jetzt dramatisch", erklärt Doppel-Olympiasiegerin Sylke Otto.

Der Wahn nach noch mehr Geschwindigkeit bei den Rodel-, Bob- und Skeleton-Wettbewerben kostete Kumaritaschwili nun das Leben. Kumaritaschwili raste in der Zielkurve mit einer Geschwindigkeit von 144,3 km/h durch die Eisrinne, verlor die Kontrolle über seinen Schlitten und wurde aus der Bahn katapultiert. Tödlich war für den Georgier, dass er mit voller Wucht gegen einen Stahlträger prallte.

Die Gefährlichkeit der Bahn wurde schon wenige Minuten vor dem Unglück offenbar. Die italienische Rodel-Legende Armin Zöggler war kurz vor Kumaritaschwili aus seinem Schlitten geflogen. Mit blassem Gesicht stapfte der Olympiasieger an den wartenden Journalisten vorbei, verbat sich mit ängstlichem Gesicht jeglichen Kommentar. Der für seine Konsequenz bekannte Bob-Olympiasieger Andre Lange war im vergangenen Jahr die Whistler-Bahn erst gar nicht hinuntergefahren, weil es ihm zu gefährlich war.

"Unbedingt entschärfen"

"Diese explizite Stelle der Bahn muss unbedingt entschärft werden. Ich habe noch nie gesehen, dass ein Rodler so aus der Bahn katapultiert wurde", sagte Sportdirektor Thomas Schwab. Mit Blick auf kommende Rodel-Großereignisse fügte er hinzu: "Wir müssen uns bei einer Geschwindigkeit um die 135 km/h einpendeln."

Von offizieller Seite war die Bob- und Rodelbahn in Whistler im März 2008 vom Rodel-Weltverband FIL, dem Bob-Weltverband FIBT und dem Organisations-Komitee der Winterspiele VANOC geprüft und für olympiatauglich befunden worden.

Im Prozess der sogenannten Homologierung der Kunsteisbahn für Rennrodeln, Bob und Skeleton wurden über 200 Abfahrten von Aktiven aus sieben Ländern (Österreich, Kanada, Deutschland, Großbritannien, Italien, Russland und den USA) in allen drei Disziplinen absolviert. Dabei wurden sechs verschiedene Starthöhen getestet. Zu den Fahrern gehörte auch Bob-Olympiasieger Lange, dem es allerdings selbst zu prekär geworden war.

"Es gibt viele Kunsteisbahnen auf dieser Welt, aber die Bahn in Whistler ist wegen ihrer hohen Geschwindigkeit einzigartig. Dies stellt auch die größte Herausforderung für die Athleten dar", sagte bei den Tests Walter Plaikner (Italien), Vorsitzender der Technischen Kommission der FIL.

Offizielle stellen keine Mängel fest

Nach ersten Untersuchungen des Rodel-Weltverbandes wies die olympische Rodelbahn von Whistler beim tragischen Unfalltod des Georgiers Nodar Kumaritaschwili keinerlei Mängel auf. In einer von der FIL und dem Organisationskomitee Vanoc veröffentlichten Mitteilung heißt es, man habe deshalb nach einer Erhöhung der Wände in Kurve 16 sowie einigen Änderungen im Eisprofil beschlossen, den Eiskanal wieder freizugeben.

Zudem sei es nach ersten Untersuchungen der Gerichtsmedizin und der Polizei gelungen, den Unfallhergang genauer zu rekonstruieren. Demnach sei Kumaritaschwili nach einer routinemäßig verlaufenen Abfahrt zu spät aus der 15. Kurve gekommen und dadurch zu spät in die Schlusskurve 16 eingefahren. Trotz aller Versuche, den Schlitten wieder in die richtige Bahn zu bringen, habe der 21-Jährige die Kontrolle verloren. Er wurde mit Kopf und Rücken gegen einen Stahlträger geschleudert.

Als erste Veranstaltung nach dem Unfall findet auf der umstrittenen Bahn am Samstagmorgen Ortszeit ein Training der Herren statt, im Anschluss folgt das Damentraining. Um 17 und 19 Uhr Ortszeit sind die ersten beiden Durchgänge des Männer-Wettbewerbs angesetzt. Im Anschluss steht noch das Training der Doppelsitzer auf dem Programm.

(mit SID-Material)
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