Gastbeitrag von Olympia-Medaillengewinner Tobias Angerer „Wir haben die Chance, ein neues Image zu prägen“
Meinung | Düsseldorf · Der ehemalige Langläufer Tobias Angerer hat schon immer von Olympischen Spielen geträumt. Deshalb kann der Vizepräsident des Deutschen Skiverbandes Boykott-Forderungen vor Olympia in Peking nicht nachvollziehen. Er träumt nachhaltigen Spielen und mehr Macht für Sportler.
Von einem sportlichen Boykott halte ich überhaupt nichts. Ein Boykott hat noch nie jemanden genutzt, die Medaillen werden trotzdem vergeben. Für jeden Sportler ist die Teilnahme an den Olympischen Spiele der größte Traum, – egal wie häufig man schon dabei war. Ich selbst wollte als Kind schon dahin, wenn ich mein großes Idol Gunde Svan, den schwedischen Langläufer, im Fernsehen verfolgt habe. Ich wollte immer so sein wie „König Gunde“. Wegen ihm bin ich dann auch Skilangläufer geworden. Ich habe früher von morgens bis abends die Olympischen Spiele im Fernsehen verfolgt – und war irgendwann selbst dabei.
Meine schönsten Spiele habe ich 2010 in Vancouver erlebt. Wir waren in Whistler im Olympischen Dorf mit Sportlern aus anderen Sportarten zusammen, man kam ins Gespräch. Ich werde nie vergessen, wie der mexikanische Skifahrer Hubertus von Hohenlohe, der Schweizer Didier Cuche und der deutsche Bobfahrer Andre Lange am Tisch nebenan saßen und fünf Steaks gegessen haben. Es waren Olympische Spiele, wie sie sein sollten. Es ging um den Sport, der uns alle verbindet.
Dann kam Sotchi. Es war der Anfang der aktuellen Entwicklung: hin zu neuen Orten, weg von Nachhaltigkeit. Im Vorfeld gab es ähnliche Diskussionen wie nun vor Peking. Und trotzdem wollte ich unbedingt dorthin, obwohl ich schon an drei Olympischen Spielen teilgenommen hatte. Wenn ich heute noch aktiv wäre, würde ich auch alles daransetzen, nach Peking zu fahren. Es sind eben die Olympischen Spiele! Wir Sportler opfern viel dafür.
Man konnte aber schon 2014 sehen, welche Entwicklung vonstatten geht und wohin sich das IOC orientiert. Warum bleiben denn nur solche Austragungsstätten wie Peking übrig? Es hat ja Gründe, warum München oder Stockholm ausgestiegen sind. Da ist in den vergangenen Jahrzehnten einiges kaputt gegangen. Dabei sind die Olympischen Spiele eine der besten Ideen, die es je gegeben hat: Menschen aus aller Welt zusammenzuführen, um ein großes Sportfest zu feiern.
Dieser tolle Ansatz, mit dem eigentlichen Sport im Mittelpunkt aller Überlegungen und Maßnahmen ist meines Erachtens etwas verloren gegangen. Das IOC muss einsehen, dass es an der Zeit ist, die Entwicklung zu stoppen und wieder zum Grundsätzlichen zurückzukehren. Ich habe die leise Hoffnung, dass die Spiele 2026 in Mailand ein Anfang dafür sein könnten. Hier gibt es bereits alle Sportstätten, es muss nichts neu hingesetzt werden, was hinterher nicht mehr benutzt wird. Hier sehe ich Nachhaltigkeit – anders als jetzt in Peking. Es gibt weltweit genügend vorhandene Sportstätten. Warum richten nicht zwei, drei Länder zusammen die Olympischen Spiele aus, wenn ein traditioneller Ort zu klein ist, um heutzutage noch Olympische Spiele auszurichten. Ich denke da zum Beispiel an Norwegen und Schweden. Aber dazu braucht es Mut und ein Umdenken. Gerade auch im IOC. Wir haben doch jetzt die Chance, ein neues Image zu prägen und auf Nachhaltigkeit zu setzen.
Diese Bedenken müssen wir ernst nehmen und mit der Zeit gehen. Der Sport ist enorm wichtig für unsere Gesellschaft. Olympia-Sportler sind Vorbilder für unsere Kinder, sie wollen und sollen ihnen nacheifern. Der Sport braucht einen anderen Stellenwert. All die positiven Effekte der Spiele müssen wieder in den Vordergrund gerückt werden. Das geht aber nicht, wenn Olympische Spiele nur dort ausgetragen werden, wo keine Tradition herrscht und wo das meiste Geld herausgezogen werden kann. München hätte dieses Jahr die Olympischen Spiele austragen können. Und ich bin mir sicher, dass wir fantastische Spiele gehabt hätten. Aber sie wurden leider von der Bevölkerung abgelehnt. Eben weil die olympische Idee und das Image des IOC zuletzt enormen Schaden gelitten hat. Das ist insofern extrem schade, weil das Potential wirklich enorm wäre, wieder etwas in Bewegung zu setzen, das ganz Deutschland und die ganze Welt verbindet. Ähnlich wie 1972. Aber Olympia gelingt nur, wenn wir es als Gemeinschaftsprojekt angehen. Und die Sportler sollten mehr Macht bekommen. Ohne Sportler gibt es keine Olympischen Spiele!
Tobias Angerer ist viermaliger Olympiamedaillengewinner im Langlauf.