Beweise für Staatsdoping Russlands Sport droht die Isolation

Düsseldorf · Der McLaren-Report bringt das Internationale Olympische Komitee (IOC) und dessen Präsident unter Zugzwang. Das staatlich gelenkte Doping-System in Russland erschüttert die Sportwelt.

 Die Ermittler der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA haben am Montag gravierende Belege für staatlich gesteuertes Doping in Russland vorgelegt.

Die Ermittler der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA haben am Montag gravierende Belege für staatlich gesteuertes Doping in Russland vorgelegt.

Foto: Radowski

Richard McLaren ist ein gefragter Mann. Er gehörte der Kommission der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) an, die im vergangenen Jahr das flächendeckende Dopingsystem in der russischen Leichtathletik aufdeckte, was zur Sperre des Verbandes führte. Gestern legte der Chefermittler in Toronto einen noch brisanteren, 97 Seiten starken Abschlussbericht vor. "Wir haben viele Beweise, die keine Zweifel zulassen", betonte der kanadische Rechtsprofessor. Es seien tausende Daten und Dokumente ausgewertet und auch gelöschte Dateien wiederhergestellt worden.

Die Frage, ob es bei den Winterspielen 2014 in Sotschi ein vom russischen Staat gelenktes Doping-Programm gegeben habe, wird mit "ja" beantwortet. Mehr noch. Russische Athleten aus den meisten Sommer- und Wintersportarten hätten von der Manipulationsmethode, die von mindestens Ende 2011 bis August 2015 geplant und durchgeführt worden sei, profitiert. 643 positive Proben seien in diesem Zeitraum vertauscht worden. Eine Gruppe von 312 aussichtsreichen russischen Athleten wurde durch die Vertuschung geschützt.

18 Tage vor Beginn der Spiele in Rio ist der Druck auf das Internationale Olympische Komitee (IOC) und seinen deutschen Präsidenten Thomas Bach enorm.

Wie reagiert das IOC ?

Bachs Hoffnung, das Problem auf den Wintersport begrenzen zu können, ist geplatzt. Nun sprach der ehemalige Weltklassefechter von einem erschreckenden und beispiellosen Angriff auf die Integrität des Sports und der Olympischen Spiele. Heute wollen die Mitglieder des Exekutiv-Komitees über mögliche Konsequenzen beraten. Für die Wada gibt es da nur eine Maßnahme. Sie rief den internationalen Sport auf, auf russische Athleten bei internationalen Wettkämpfen, auch schon in Rio, zu verzichten, bis ein Kulturwandel vollzogen wurde. Das gelte auch für das Internationale Paralympische Komitee (IPC). Bereits am Sonntag hatten 20 Nationale Anti-Doping-Agenturen, darunter auch die deutsche, eine Null-Toleranz-Politik gefordert.

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Was sagen die Russen?

"Funktionäre, die in dem Bericht als direkt Beteiligte genannt werden, sollen bis zum Ende der Untersuchungen suspendiert werden", kündigte Präsident Wladimir Putin in Moskau an. Zugleich forderte er von der Wada mehr objektive und auf Fakten basierende Informationen. Er kritisierte, dass der Bericht auf den Aussagen eines einzelnen Menschen mit einem "skandalösen Ruf" basiere. Er spielte auf Grigori Rodschenkow an, der die Untersuchungen ins Rollen gebracht hatte. Massiver ging Dmitri Swischtschjow vor. "Internationale Organisationen glauben Verleumdern und Schurken wie Rodschenkow, der erklärt hat, (Doping-)Proben ausgetauscht zu haben", sagte der Vorsitzende des Sportausschusses im Parlament der Agentur "Tass"; "Er sollte festgenommen und an unsere Justiz ausgeliefert werden."

Wer ist Grigori Rodschenkow?

Der ehemalige Leichtathlet wurde am 24. Oktober 1958 in Moskau geboren. Nach abgeschlossenem Chemiestudium war er ab 1985 im Moskauer Anti-Doping-Zentrum, zu dem er nach einem Abstecher zu privaten Computer- und Energiefirmen im Jahr 2006 zurückkehrte. Neun Jahre lang war er Leiter des Zentrums. Nach eigenen Angaben steuerte Rodschenkow nach seiner Rückehr 2006 das Programm zur verbotenen chemischen Leistungssteigerung bei russischen Sportlern. Als seine Schwester Marina, dreifache Weltmeisterin im Cross- und Straßenlauf, 2013 wegen des Verkaufs von Dopingmitteln zu einer eineinhalbjährigen Bewährungsstrafe verurteilt wurde, bangte der Bruder um den Job. Als die Wada ihm im November vorwarf, mehr als 1400 Dopingproben vernichtet zu haben, musste er die Labor-Leitung abgeben. Im Januar reiste er nach Los Angeles, weil er in Russland angeblich um sein Leben fürchtete.

Wie verhält sich das Deutsche Olympische Komitee (DOSB)?

"Das Ausmaß der nun bestätigten Vorwürfe ist schockierend", sagte Präsident Alfons Hörmann. "Da es sich offenbar um staatlich gelenkte, systematische Vertuschung von Doping und um Betrug handelt, müssen Sanktionen verhängt werden bis hin zum möglichen Ausschluss weiterer Sportarten oder sogar des gesamten russischen NOKs", erklärte er. "Wer die Werte des Sports wie Fair-Play und Chancengleichheit auf diese bewusste Art mit Füßen tritt, muss auf die Strafbank." Im Zuge der Sanktionierungen sollte die Zukunft mit bedacht werden, um dem russischen Sport die Chance zu geben, in den nächsten Jahren seine Anti-Doping-Arbeit neu aufzustellen und seine Haltung zum Doping zu ändern.

Wer hat den Betrug gesteuert?

Bei dem im Report als "positive Vertuschungs-Methodik" bezeichneten Betrug hat das russische Sportministerium die Manipulationen der Testergebnisse und den Austausch der Proben gelenkt, kontrolliert und überwacht. Es wählte auch jene Athleten aus, die durch die "Methodik" geschützt werden sollten - auch für die Winterspiele 2014. Aktiv beteiligt waren der Geheimdienst (FSB), das Trainingszentrum der russischen Topathleten (CSP) sowie die Doping-Labore in Sotschi und Moskau. In der Hauptstadt wurden 2014 nachweislich zwischen dem 10. September und 10. Dezember durch Urin-Austausch etliche Proben verfälscht. Über Jahre hinweg seien positive Proben verschwunden, um gedopte russische Sportler zu schützen.

Was passierte in Sotschi?

Grigori Rodschenkow, einer der größten russischen Spezialisten in Sachen Doping (obwohl er eine Anti-Doping-Behörde leitete), hatte nach seiner Flucht in die USA mit seinen Hinweisen auf Betrügereien die Ermittlungen ausgelöst. Der langjährige Leiter des Moskauer Labors hatte zudem erklärt, dass mehrere Dutzend gedopte Athleten an den Winterspielen teilgenommen hätten, darunter 15 Medaillengewinner. Die Dopingproben wurden durch eine Wand in einen Nebenraum geholt. Die genaue Methode, mit der der Geheimdienst die Manipulation durchführte, ist nicht bekannt. Allerdings gab es bei den erneut untersuchten Proben Hinweise, dass die Verschlüsse entfernt und später wieder angebracht wurden. Manche Proben wiesen einen Salzgehalt auf, der höher ist als der im Urin gesunder Menschen. Dies bestätigte den Hinweis, dass den Proben nachträglich Salz hinzugefügt wurde.

Wo liegt das Problem für den Sport?

Ohne Zweifel sind die nun aufgedeckten Machenschaften ein Tiefschlag. Die Forderung, den russischen Sport komplett zu sperren, birgt Risiken, denn der Einfluss auf den Weltsport ist nach wie vor groß. Andererseits würde ein halbseidenes Handeln die Glaubwürdigkeit des IOC erschüttern, und es wäre ein Affront für die Arbeit aller Anti-Doping-Agenturen. Dies ist nicht machbar, soll der Kampf gegen Betrüger im Sport noch ernst genommen werden.

Welche Entscheidungen stehen noch bevor?

Das IOC muss über das Startrecht von Julia Stepanowa entscheiden, die maßgeblich an der Entlarvung der russischen Leichtathletik-Praktiken beteiligt war. Bis Donnerstag will der Sportgerichtshof (Cas) in Lausanne über die Klage von 68 russischen Leichtathleten gegen die durch den Weltverband (IAAF) verhängte Kollektivsperre für Rio entscheiden.

(RP)
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