Anti-Doping-Kampf auf Rekordniveau Wer erwischt wird, "muss bekloppt sein"

London · London macht mit einer durchaus eindrucksvollen Offensive mobil gegen Dopingsünder. 6250 Proben sollen während der Olympischen Spiele genommen werden. Die Experten sind sich einig: Viel mehr als ein wenig Abschreckung wird der Aufwand wohl nicht bewirken.

Olympia: Die Dopingfälle bei Sommerspielen
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Foto: dpa, Patrick Seeger

In London läuft während der Olympischen Spiele die größte Anti-Doping-Offensive der Sportgeschichte - und selbst die schärfsten Kritiker sind ein wenig beeindruckt. "Im Gegensatz zu früheren Olympischen Spielen kann in London nicht mehr voll durchgedopt werden. Das ist ein erster kleiner Schritt", sagte der Heidelberger Molekularbiologe Werner Franke, fügte jedoch hinzu: "Aber Doping ist noch da, und wer nicht dopt, ist auch in London immer noch im Nachteil."

Franke: Das ist albern

Im Gespräch mit dem Rundfunksender Deutschlandradio Kultur legte Franke am Sonntag dann noch einmal nach. Die angekündigten 6250 Dopingtests in London nötigen dem 72-Jährigen wenig Respekt ab. "Zunächst mal ist es vor allen Dingen angesichts der Zahl, die da verkauft wird, albern. Das soll die Leute beeindrucken", sagte Franke.

Mehr als ein wenig Abschreckung für den Zeitraum der Spiele wird der riesige Anti-Doping-Aufwand in der britischen Hauptstadt nicht nur nach Meinung von Franke kaum bewirken. "Ich wundere mich immer, dass überhaupt noch jemand erwischt wird. Mit Abschreckung erreiche ich natürlich nicht, dass Doping nicht angewendet wird, das ist ganz klar", sagte Professor Wilhelm Schänzer vom Kölner Doping-Labor dem SID.

Schänzer erwartet in London "um die zehn positiven Tests. Eigentlich dürfte es gar keine positiven Fälle geben, weil die Athleten ja wissen, dass kontrolliert wird. Und zwar mit den neuesten und besten Geräten, die vorhanden sind. Aber ich denke, es wird trotzdem wieder positive Befunde geben."

Das große Fitspritzen für Olympia hat längst stattgefunden, in Trainingslagern irgendwo am Ende der Welt, wo kein Kontrolleur hinkommt. "Sie spritzen sich kleine Dosen und setzen früh wieder ab. Wer in London erwischt wird, muss bekloppt sein", sagt Franke.

Entsprechend gallig kommentiert der streitbare 72-Jährige Aussagen wie die von David Cowan, Direktor des Londoner Dopinglabors, der sagte, schon wegen der abschreckenden Wirkung der Anti-Doping-Maßnahmen vor Ort würden "die Wettkämpfe fair ablaufen". Franke nennt dies "ein Argument für Doofe".

So dient der gewaltige Aufwand, der in dem 4400 Quadratmeter großen Laborkomplex in Harlow/Essex rund 40 Kilometer nördlich des Londoner Olympiaparks betrieben wird, vor allem wohl einem ruhigen Gewissen. Insgesamt 6250 Proben werden laut Welt-Anti-Doping-Agentur WADA während der Olympischen Spiele (27. Juli bis 12. August) und der Paralympics (29. August bis 9. September) analysiert, mehr als jemals zuvor an einer Stelle über einen so kurzen Zeitraum.

1000 Mitarbeiter im Labor

Im Labor arbeiten während der Spiele insgesamt 1000 Mitarbeiter rund um die Uhr, darunter 150 Fachleute aus dem Bereich Anti-Doping. Auch das Kölner Labor ist mit einem kleinen Team um Analytik-Experte Mario Thevis vor Ort.

Sie kämpfen wohl auf verlorenem Posten. Die Wahrscheinlichkeit, die Dopingmittel der Wahl (geringe Epo-Dosen und körperidentische Substanzen wie Testosteron, Wachstumshormone und Insulin) nachweisen zu können, ist äußerst gering. Die Tatsache, dass alle Proben acht Jahre lang aufbewahrt werden und später mit besseren Nachweismethoden erneut überprüft werden können, dient der langfristigen Abschreckung. In Peking hat es ein bisschen funktioniert. Immerhin sechs Athleten, darunter Bahrains 1500-m-Olympiasieger Rashid Ramzi und der deutsche Radprofi Stefan Schumacher, wurden nachträglich positiv getestet.

Doch der Vorsprung der Doper ist noch immer groß. "Beim Wachstumshormon gibt es, auch übers Internet, inzwischen unzählige Präparate ohne klinische Zulassung. Das ist ja vor den letzten Spielen in Peking geradezu explodiert. Präparate gibt es inzwischen sogar als Nasenspray oder Tabletten. Da fällt das lästige Spritzen weg", sagte der Epo-Experte Professor Horst Pagel den Lübecker Nachrichten. Der "arme Kollege Mario Thevis" könne sich laut Pagel "die Finger wund analysieren, er wird niemals hinterherkommen".

Der Lübecker Epo-Experte Horst Pagel geht ebenfalls davon aus, dass bei Olympia viele Doper nicht auffallen werden. Auch bei diversen Wachstumshormon-Präparaten würden die Tests nicht greifen, sagte der Physiologie-Professor im Gespräch mit dem Nachrichtenmagazin Focus.

Pagel, der mit seinem Kollegen Wolfgang Jelkmann derzeit an der Universität Lübeck die größte Epo-Tagung der Welt ausrichtet, sagt: "Weltweit existieren geschätzte 140 bis 160 Epo-Präparate, meist ohne klinische Zulassung und aus Indien, China, Vietnam, Kuba oder anderen Ländern stammend. Wer clever verschiedene Präparate in möglichst niedriger Dosierung mischt, kann quasi gar nicht ertappt werden. Auch bei diversen Wachstumshormon-Präparaten greifen die Tests nicht."

(sid)
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