Früherer Formel-1-Pilot vor Paralympics Zanardi: "Werde jeden Tag trauriger"

London · Vor elf Jahren verlor der frühere Formel-1-Pilot Alessandro Zanardi bei einem Horror-Unfall beide Beine. Vor seinem Paralympics-Debüt erzählt er im SID-Interview über die schönen Seiten seines "zweiten Lebens" und die Traurigkeit, die vor dem Wettkampf in ihm wächst.

 Alessandro Zanardi verlor bei einem Unfall in der Champ-Car-Serie beide Beine.

Alessandro Zanardi verlor bei einem Unfall in der Champ-Car-Serie beide Beine.

Foto: dpa, Justin Lane

Seit elf Jahren hat er keine Beine mehr, doch mit seinem "zweiten Leben" hat Alessandro Zanardi längst seinen Frieden geschlossen. "Mir ist etwas passiert, was nicht vielen Menschen passiert und was viele Außenstehende als schlimm empfinden. Aber ich habe in meinem zweiten Leben auch viele tolle, neue Dinge erlebt", sagt der frühere Formel-1-Pilot dem SID vor seinem ersten Start bei den Paralympics: "Wenn ich noch zwei Beine hätte, wäre ich niemals nach London gekommen. Und als Motorsportler hätte ich niemals die Chance gehabt, eine Medaille zu gewinnen."

Am Mittwoch hat der lebensfrohe Italiener, von allen nur Alex genannt, zum ersten Mal die Chance, eine zu gewinnen. Im Zeitfahren mit dem Handbike wird der 45-Jährige, dem nach seinem Horror-Unfall auf dem Lausitzring 2001 beide Beine abgenommen werden mussten, passenderweise auf der Rennstrecke in Brand's Hatch an den Start gehen.

Wehmut wächst

Doch je näher der große Tag rückt, desto mehr wächst die Wehmut. "Mit jedem Tag, den es näher heranrückt, werde ich ein bisschen trauriger", sagt Zanardi, "weil es danach vorbei ist." Er ist bereits 45, bezeichnet sich schon heute aus Altersgründen als "Michael Schumacher der Paralympics". Deshalb wird sein Abenteuer als Handbiker nach London wohl zu Ende sein.

"Ich gehe in diese Spiele so, als wären es meine ersten und letzten Paralympics", sagt Zanardi: "Wenn ich es nicht für ein großes Abenteuer gehalten hätte, hätte ich es nicht bis nach London geschafft. Die Paralympics waren vom ersten Tag an meine Motivation.
Jeder Trainingstag war also ein Teil dieses Abenteuers."

Dass ihn viele Menschen dafür bewundern, wie er sein neues Leben meistert, dass er für sie ein Vorbild ist und der größte Star der Paralympics nach Stelzensprinter Oscar Pistorius, ist für ihn allenfalls ein schöner Nebeneffekt, kein Antrieb. "Ich weiß, dass viele ein gesteigertes Interesse an mir haben. Aber ich gehe nach London als Sportler und nichts anderes", sagt er: "Vor allem in meiner Heimat sehen viele mich als Vorbild. Ich fühle mich aber nicht als Vorbild. Ich will nur mein Ding machen. Wenn andere mehr in mir oder dem, was ich mache, sehen, okay, danke, gerne."

In erster Linie sieht er es so, dass der Sport ihm was gegeben hat. Kaum aus dem Krankenhaus entlassen, suchte er eine neue sportliche Herausforderung. "Ich brauche das einfach", sagt er. Als er zum ersten Mal auf einem Handbike saß, brach er nach fünf Kilometern aus Kraftgründen ab. Doch wie immer hat er sich durchgebissen. Seit zweieinhalb Jahren trainiert er bis zu 80 Kilometer täglich.

Medaillen-Kandidat

"Was wir hier tun, ist Leistungssport", erklärt der Italiener und schildert begeistert: "Die Leute die uns sehen, sagen manchmal, es ist toll, wie wir von A nach B kommen. Aber das hier ist viel mehr. Wir fahren über 40 km/h. Im Durchschnitt. Erwirkt durch die bloße Kraft unserer Hände."

Dies kann er inzwischen ziemlich gut, deshalb gilt er durchaus als Medaillen-Kandidat. "Ich habe alles dafür getan, habe jeden Tag mehrere Stunden trainiert, war kurz vor den Spielen auch im Trainingslager", berichtet er: "Aber ich weiß nicht, wie gut die anderen sind und ob es genug war."

So oder so, nach den Paralympics wird er sich wohl eine neue Herausforderung suchen. "Vielleicht bietet mir ja BMW einen Platz in der DTM an", sagt der Vollblutrennfahrer, der für den Münchner Hersteller nach der Amputation mit speziellen Autos schon wieder in der Tourenwagen WM fuhr: "Das wäre etwas, wozu ich schlecht nein sagen könnte."

(sid)
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