Streit um künstliches Kniegelenk Czyz wirft Popow "technisches Doping" vor

London · Kurz vor dem Ende der Paralympics hat Sprinter Wojtek Czyz seinem Teamkollegen Heinrich Popow "technisches Doping" vorgeworfen. Dieser dürfe ein künstliches Knie verwenden, das anderen vorenthalten würde. Popow wies die Vorwürfe zurück – und erkämpfte sich danach Gold.

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Foto: dapd, Alastair Grant

Kurz vor dem Ende der Paralympics hat Sprinter Wojtek Czyz seinem Teamkollegen Heinrich Popow "technisches Doping" vorgeworfen. Dieser dürfe ein künstliches Knie verwenden, das anderen vorenthalten würde. Popow wies die Vorwürfe zurück — und erkämpfte sich danach Gold.

Wojtek Czyz sagt, er habe eine große Portion "Wut im Bauch" — und der Grund dafür laufe neben ihm auf der Tartanbahn. Ausgerechnet am Tag des 100-Meter-Finales bei den Paralympics hat der deutsche Sprinter mit einem schweren Vorwurf gegen Teamkollege Heinrich Popow für einen Eklat gesorgt. Dieser betreibe "technisches Doping", klagte Czyz nach seinem Sprint-Vorlauf. Der oberschenkelamputierte Popow habe seinem Ausrüster Ottobock ein künstliches Kniegelenk erhalten, das anderen Athleten bis kurz vor Beginn der Spiele vorenthalten worden sei, sagte Czyz. Sowohl Popow als auch ein Sprecher des Prothesen-Bauers wiesen die Vorwürfe als haltlos zurück.

Streitpunkt Kniegelenk

Von dem Eklat ließ sich Popow am Abend nicht aus der Ruhe bringen und gewann das Sprint-Finale knapp vor Scott Reardon aus Australien — und Czyz. "Der Zeitpunkt war psychologisch schlecht gewählt", sagte Popow, "das hat mich noch mehr angestachelt". Zum Handshake nach dem Zieleinlauf schienen sich beide Kontrahenten zwingen zu müssen.

Czyz erzählte, er und andere Sportler hätten schon vor Monaten eine Anfrage gestellt, um das Knie-Modell zu kaufen. "Da wurde mir gesagt, dieses Knie ist reserviert für Heinrich Popow", sagte Czyz. "Das ist für mich die Paradedisziplin technisches Doping." Ottobock-Sprecher Rüdiger Herzog bezeichnete die Anschuldigung als "Psychoterror" und betonte: "Wir sind Partner der Paralympics und halten uns an die Regeln. Das Knie ist seit langem erhältlich."

Das ist der entscheidende Punkt in dem Streit: Dass das Gelenk wie vorgeschrieben vor Start der Spiele erhältlich war, räumte selbst Czyz ein. Allerdings sei die Markteinführung so kurz vor den Paralympics erfolgt, dass es für Athleten schlicht unmöglich war, sich rechtzeitig an das Knie zu gewöhnen. Popow, der bei Ottobock unter Vertrag steht, laufe als einziger Athlet in London mit der Prothese und habe damit auch schon lange trainieren können.

Die Vorteile seien eklatant: "Wenn ein Athlet seine 200-Meter-Zeit um sieben Zehntelsekunden verbessert, spricht das Bände", meinte Czyz. Selbst Popows Trainer habe zugegeben, dass solche Bauteile ein Jahr vor den Spielen erhältlich sein müssten. Er wolle seinem Rivalen "nichts Böses, aber die Chancengleichheit muss da sein", forderte der Kaiserslauterer. Im Paralympics-Sprinterfeld sei der Unmut groß.

Popow bezeichnete die Vorwürfe gegenüber der "Bild"-Zeitung als "totalen Humbug" und "ein typisches Psychospielchen von Wojtek."

Freude über die drittbeste Vorlaufzeit wollte bei Czyz nicht aufkommen. Mit einer Schimpftirade in den Katakomben des Londoner Olympiastadions rückte er das Thema Fairness bei den Paralympics mal wieder in den Fokus. "Wenn man sich so einen Vorteil verschafft, dann ist das für mich kein paralympischer Sport, sondern einfach eine Materialschlacht. Dann gewinnt nicht mehr der beste Athlet, sondern der mit dem besten Material. Wenn das der Fall ist, dann gute Nacht."

Friedhelm Julius Beucher, Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes (DBS), verurteilte die heftigen Vorwürfe von Czyz scharf. "Wir sind natürlich verärgert, wenn innerhalb der Mannschaft Leute aufeinander losgehen", sagte er am Samstag auf einer Pressekonferenz in London. "Wenn die Nerven blank liegen, treten Ziele wie Fairness und Kameradschaft in den Hintergrund."

"Die sachliche Grundlage ist nicht vorhanden", betonte Beucher, "die Prothesen sind nach Auskunft des Ausrüsters frei verkäuflich." Alles, was darüber hinausgehe, sei individuelle Wahrnehmung. Der deutschen Mannschaftsführung passe der Vorfall nicht, Czyz bekomme aber keinen Maulkorb. Czyz hatte über 100 Meter Bronze gewonnen.

(dpa)
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