Gastbeitrag von Säbelfechter Max Hartung „Olympia-Absage brächte große Unsicherheit“

Meinung | Dormagen · Fallen die Olympischen Spiele dem Coronavirus zum Opfer, fallen Athleten in ein Riesen-Loch. Der große Fixpunkt jahrelanger Vorbereitung wäre weg, die wirtschaftliche Situation vieler Sportler genauso unklar wie die Sportförderung generell. Ein Gastbeitrag.

 Säbelfechter Max Hartung

Säbelfechter Max Hartung

Foto: dpa/Federico Gambarini

Jetzt bin ich also seit Beginn dieser Woche frisch qualifiziert und gewöhne mich an den Gedanken, mit meinen Teamkollegen in die Olympia-Vorbereitung zu gehen. Es sind meine dritten Olympischen Spiele, und sie waren eben in den vergangenen Jahren der Fixpunkt in meinem Sportlerleben. Alles ist ausgerichtet auf diesen einen Wettkampf im August, und es wäre für mich persönlich wahnsinnig traurig und enttäuschend, wenn die Spiele nicht stattfänden. Es würde sich anfühlen, als würde man die letzten Seiten aus einem Buch herausreißen und das Ende der Geschichte nicht erleben können. Das wäre ein Riesen-Loch.

Klar, wir Sportler leben ohnehin immer mit einem großen Risiko. Ich komme gerade aus dem Krankenhaus, mein Teamkollege hat sich die Patellasehne gerissen, es ist unsicher, ob er bei den Spielen wird starten können, obwohl er die ganze Quali-Tortur genauso wie wir anderen gemeistert hat.

Ich glaube, den harten Weg einer Olympia-Qualifikation können sich Nicht-Sportler nur schwer vorstellen. Andererseits gibt es ja gerade auch in anderen Lebensbereichen gerade Veranstaltungen, die abgesagt werden. Nehmen Sie einen Schauspieler, der monatelang eine Vorstellung geprobt hat, und dann wird die Premiere wegen des Virus abgesagt. Stellen Sie sich das vor, das Lampenfieber steigt, und dann bleibt der Vorhang einfach zu, und alle Zuschauer sind zu Hause geblieben.

Was ich sagen will: Natürlich ist das Coronavirus auf der gesellschaftlichen Ebene eine große Bedrohung, aber auf der individuellen Ebene kann mich eben auch ein falscher Tritt beim Warmmachen genauso von den Olympischen Spielen fernhalten wie eine Absage der Spiele. Gottseidank sind wir Sportler so geschult darauf, nicht an die Dinge zu denken, die wir nicht kontrollieren können, sondern nur auf das eigene Training, dass der Gedanke an Corona mich jetzt gar nicht so sehr belastet. Noch nicht.

Auf der anderen Seite kann ich mich auch nicht vom Gedanken freimachen, ob es richtig ist, Freunde und Familie zu treffen, wenn ich gerade von einem Weltcup in Warschau komme, wo ich Kontakt mit Sportlern aus der ganzen Welt hatte. Wie würde ich damit umgehen, wenn ich den Virus mit nach Hause brächte? Von der Sorge um seine Liebsten kann sich dann doch niemand freisprechen.

Man sieht, das Thema ist einfach wahnsinnig komplex, denn es geht ja auch um die Sicherheit und die Gesundheit von uns allen – wir reden bei den Spielen schließlich von 11.000 Sportlern, unseren Trainern, unseren Familien, den zwei Millionen Zuschauern vor Ort. Da muss hundertprozentig sicher sein, dass die Spiele so durchgeführt werden können, dass sie eben kein Katalysator für die Pandemie sind.

Eine denkbare Variante wäre ja auch, Olympische Spiele ohne Zuschauer auszutragen. Aber solche Spiele hätten auf jeden Fall einen Makel. Wir als Fechter haben ja eh keine Zuschauermassen bei unseren Wettkämpfen, und gerade deswegen ist Olympia so wichtig, weil wir eben da mal vor mehreren Tausend Zuschauern antreten dürfen. Das ist doch im Kern das, was die Energie von Olympischen Spielen ausmacht.

Aber ich bin ja nicht nur Fechter, sondern auch Athletensprecher. Und in dieser Rolle sprechen mich schon viele Sportler an, gerade unter den Fechtkollegen. Weißt du was Genaues? Weißt du mehr, als in den Medien steht? Da würde ich mir einfach wünschen, dass die Weltverbände schnell und proaktiv mit den Athleten kommunizieren und nicht immer über den Umweg der nationalen Verbände. Denn so entstehen schnell Gerüchte, und die verunsichern am Ende die Athleten.

Mit unserem Verein „Athleten Deutschland“ stehen wir im engen Kontakt mit dem DOSB, was das Thema Corona angeht. Wir versuchen die Sportler nach Kräften, up to date zu halten. Denn die Athleten müssen sich ein fundiertes Bild machen, um mitreden zu können. Gleichzeitig müssen wir als Athletenvertretung die Sorgen der Sportler sammeln. Denn für sie geht es ja neben der sportlichen Perspektive auch um wirtschaftliche und rechtliche Aspekte. Was passiert mit meinem Sponsorenvertrag, wenn die Spiele ausfallen? Falle ich aus der Sportförderung? Bin ich weiterhin im Olympiakader? Werden die Spiele tatsächlich abgesagt, droht ganz vielen Athleten eine ganz, ganz große Unsicherheit.

Unser Autor (30) war schon 2012 bei den Olympischen Spielen in London (Einzel und Team) und 2016 in Rio de Janeiro (Einzel) am Start.

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