Olympia in Rio Auf der Suche nach dem Herz der Spiele

Rio de Janeiro · Fliegende Fanartikel-Verkäufer entlang der Promenade? Brasilien-Fahnen an den Balkons? Plakatierte Straßen mit den Konterfeis der nationalen Helden? Alles Fehlanzeige. Wer greifbare Indizien dafür sucht, dass sich kurz vor Eröffnung der Olympischen Spiele großflächige Vorfreude breit gemacht hat, sucht an der Copacabana vergebens.

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Hier, im Rücken von Rios bekanntestem Strandabschnitt, geht der Alltag seinen Gang, ohne dass das große Fest der fünf Ringe ihn bislang irgendwie tangieren würde. Wären da nicht die zusätzlichen Shuttle-Busse und schmucken Hinweisschilder zu den Sportstätten, niemand käme hier im Straßenbild auf die Idee, dass Olympia vor der Tür steht.

Susanne Weber-Ferrari verwundert das nicht. Die 34-jährige Deutsche lebt seit drei Jahren in Rio und wäre eher überrascht gewesen, wenn Rios Einwohner, die Cariocas, einen Anlauf zur Schau gestellter Vorfreude auf das Mega-Event genommen hätten. "Olympia-Begeisterung? Die entsteht erst, wenn es wirklich losgeht, also nach der Eröffnungsfeier", sagt die Inhaberin einer Tourismus-Agentur, die vor ihrem Umzug an den Zuckerhut brasilianische Fußballprofis wie Leverkusens Renato Augusto oder Gladbachs Dante bei deren Eingewöhnung im Rheinland unterstützt hatte. "Die Brasilianer sind Fernsehgucker", sagt Weber-Ferrari, "und wenn sie die Eröffnungsfeier gesehen haben, dann ist Olympia auch in den Köpfen drin, und dann werden auch alle mitfeiern."

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Dass es erst der (TV-)Bilder vom Freitagabend im Maracana-Stadion bedarf, damit sich der olympische Geist am Zuckerhut Bahn bricht, hat dabei mindestens zwei weitere Gründe. Zum einen stehen ihm die negativen Aspekte der Spiele für die Cariocas im Weg. Die hätten die für Olympia aufgewandten Milliarden lieber in Bildung und Sozialleistungen investiert gesehen statt in neue Sportarenen, die das Fragezeichen der nachhaltigen Nutzung seit Baubeginn in sich tragen. Immerhin erkennen inzwischen immer mehr Cariocas den persönlichen Nutzen des für Olympia ausgebauten Straßennetzes an. "Die Entlastung im Verkehr ist seit vergangener Woche deutlich spürbar", findet auch Weber-Ferrari.

Vor allem aber steht die Weitläufigkeit der Spiele einer flächendeckend spürbaren Begeisterung im Weg. Es gibt noch keinen Ort, an dem absehbar zwingend das Herz der Spiele schlagen könnte. Die vier Wettkampfzonen liegen teilweise mehr als 40 Kilometer voneinander entfernt. Der olympische Park in Barra befindet sich zu weit außerhalb, Deodoro im Norden ist ein Militärareal, bleiben also die Strände vom Copacabana und Ipanema, aber die sind auch ohne Olympia das Partyzentrum am Zuckerhut, und Maracana mit seiner legendären Fußballarena sowie dem Olympiastadion.

Im Maracana-Stadion bewiesen die Cariocas dann schon mal kurz, dass sie auch aus dem Stehgreif heraus durchaus Olympia-Stimmung erzeugen können. Fast 28.000 Zuschauer feierten ihre Fußballerinnen beim 3:0-Auftaktsieg über China frenetisch. Fußball in Blau-Gelb-Grün ist eben in jeder Sekunde der kleinste gemeinsame Nenner im Land, und nichts erhoffen sich die Gastgeber von Olympia so sehr wie Gold bei den Frauen um Superstar Marta und den Männern um Aushängeschild Neymar.

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Was den Cariocas in den kommenden Tagen indes mit Sicherheit ein gehöriges Maß an extrovertierter Olympia-Begeisterung entlocken wird, da ist sich Weber-Ferrari sicher, das ist die leicht narzisstische Beziehung zu ihrer Stadt. "Beim Radrennen an der Copacabana oder beim Marathon wollen die Cariocas schöne Bilder von ihrer Stadt produzieren und um die Welt schicken, denn natürlich sind sie stolz auf ihre Stadt, und Rio ist für sie selbstverständlich die schönste Stadt der Welt", sagt sie.

Stolz und Fußball - auf diese zwei Zutaten wird es also vor allem ankommen, um die Cariocas für ihre Spiele zu begeistern. Manch anderen Zugang wird sich die olympische Gemeinde in den nächsten 14 Tagen erst noch erschließen müssen.

(klü)
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