Aus "gleich stark" wird "gleich schwach" Frust pur bei den Speerwerferinnen

Rio De Janeiro · Die deutschen Speerwerferinnen enttäuschen in Rio. Der Rummel um die Nominierung bleibt Gesprächsthema.

 Christina Obergföll durfte immerhin sechsmal werfen im Finale.

Christina Obergföll durfte immerhin sechsmal werfen im Finale.

Foto: dpa, hpl

Als an diesem Abend der Kampf um die Medaillen so richtig losgeht, hat Linda Stahl ihren Trainingsanzug schon wieder an. Christin Hussong auch. Für die beiden Speerwerferinnen endet Olympia mit einer riesigen Enttäuschung. Rang elf und zwölf. Nicht mal sechs Würfe dürfen die zwei im Finale von Rio absolvieren, das dürfen nur die besten acht. Sechsmal werfen darf Christina Obergföll immerhin, aber die dritte Deutsche wird am Ende auch nur Achte. Der Frust regiert im Bauch des Olympiastadions. Und mit ihm die Gewissheit, dass es tatsächlich gelungen ist, binnen zwei Monaten aus einem Luxusproblem im Speerwurf der Frauen zum Saisonhöhepunkt hin ein ausgewachsenes Problem zu machen.

Es ging seit zwei Monaten nur um die Frage: Welche von vier in etwa gleichstarken Speerwerferinnen lässt der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) zu Hause? Denn er darf für Rio nur drei nominieren. So weit, so einfach. Doch der DLV schaffte es, wenn man den Aussagen von Hussong, Stahl und Obergföll an diesem Abend glauben darf, mit dem Weg hin zur Nominierung aus dem Qualitätsmerkmal "gleich stark" den Makel "gleich schwach" zu machen.

"Irgendwie bin ich froh, dass es vorbei ist. Das Jahr war so nervenaufreibend. Ich habe keinen einzigen Wettkampf genossen, weil immer die Nominierung im Hinterkopf war. Das war echt anstrengend für den Kopf", klagte Hussong. Und ein paar Tränen vergoss sie auch. Mitte Juni bei den Deutschen Meisterschaften war die Welt für die 22Jährige aus Zweibrücken noch in Ordnung gewesen. Sie holte sich mit persönlicher Bestleistung von 66,41 Metern den Titel und das sichere Ticket für Rio. Doch ab da ging nichts mehr. Aus in der Qualifikation der EM in Amsterdam und nun mit indiskutablen 57,70 Metern Letzte im Olympiafinale.

Oder Stahl, die 30-jährige Leverkusenerin, die nun ihre Karriere beendet. Mit dem letzten Wurf bei der EM gewann sie Silber und die Reise nach Rio. Aber auch sie sagt nun: "Nach der EM ist ziemlich viel los gewesen, auch im negativen Sinn, was die ganze Nominierungsfrage anging. Ich glaube, da haben wir alle vier ziemlich viele Körner gelassen. Es war schon seit dem letzten Jahr eine Riesenanspannung. Seit wir wussten, wie die Qualifikation für Rio laufen wird", sagte die Bronzemedaillengewinnerin von London 2012, die hier in Rio auch aufgrund von Rückenproblemen mit enttäuschenden 59,71 Metern frühzeitig die Segeln streichen musste und ab Oktober Vollzeit als Ärztin im Leverkusener Klinikum arbeiten wird.

Mit ihrem letzten Wurf von Amsterdam, dieses Gefühl hat Stahl bis heute, sagt sie, hat sie ihre Teamkollegin Katharina Molitor aus dem Rio-Rennen gekickt. Die Weltmeisterin von 2015 ließ der DLV tatsächlich zu Hause. Molitor klagte dagegen, scheiterte aber. Gestern attackierte sie den DLV und Bundestrainerin Maria Ritschel. "Den DLV, weil er Nominierungsrichtlinien rausbringt, die zu viel Spielraum lassen. Und von der Bundestrainerin bin ich enttäuscht, dass sie nie klare Ansagen zur Nominierung gemacht hat", sagte die 32-Jährige bei "Sport1".

Statt Molitor durfte Altmeisterin Obergföll (34) mit an den Zuckerhut, um als Achte mit 62,92 Metern auch keine Bäume auszureißen. Die Offenburgerin zieht ihr Fazit auch eher mit Blick auf den internen Wettstreit im deutschen Team: "Ich bin nach der ganzen Diskussion im Vorfeld hier als beste Deutsche rausgegangen, und das ist etwas, das mich noch mal bestärkt. Damit habe ich meinen Seelenfrieden."

Ob die Verantwortlichen beim DLV dieser Tage mit Blick auf dieses Speerwurfergebnis auch ihren Seelenfrieden finden, ist indes fraglich. Sie müssen sich fragen lassen, ob sie letztlich nicht Leistung gehemmt statt herausgekitzelt haben. Wären Trials, ein Ausscheidungswettkampf wie in den USA, die bessere Form der Nominierungsgrundlage? "Ich weiß es nicht. Es hat alles Vor- und Nachteile", sagte Stahl, aber ihr Feedback nach diesem so verkorksten Finale sollte zumindest hellhörig machen. "Für die EM musste man sich schon so hochfahren, das hätte man eigentlich hier machen müssen. Man kann jetzt nicht sagen, im olympischen Finale war die Luft raus, aber irgendwie war es so", sagte sie. Rio als Saisontiefpunkt also, statt als Saisonhöhepunkt.

Doch mit der Enttäuschung von Rio ist es für den DLV in Sachen Speerwurf der Frauen nicht einmal getan. Das hier könnte der Anfang eines nachhaltigen Problems werden. Warum? Stahl hört auf. Wie lange Obergföll weitermacht, ist unklar. Und ob Molitor (32) nach dem Rechtsstreit und der Tatsache, dass sie von ihrer Nichtberücksichtigung von unserer Redaktion erfuhr, noch mal die ganz große Lust auf ihren Sport und den Verband packt, bleibt abzuwarten. Bleibt also Hussong. Ein Talent. Aber eins mit Nerven, das hat diese Saison gezeigt.

Es war da also mal dieses Luxusproblem, dass der DLV bei seinen Speerwerferinnen ausgemacht hatte. Allein, der Luxus hielt nicht lange. Auf jeden Fall nicht bis Rio. Und das ist ein Problem.

(klü)
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