Ohne Wunderanzüge Neue Rekordflut im Schwimmbecken

London · Zu Beginn des Jahres 2010 wurden die Wunderanzüge im Schwimmen verboten. Drei Jahre behielten fast alle Weltrekorde aus der Hightech-Ära ihre Gültigkeit. In London gibt es nun wieder eine Rekordflut.

Fragen und Antworten zu Schwimm-Weltrekorden
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Foto: afp, LEON NEAL

Michael Bohl zog gleich die doppelte Niete. "Es gibt in diesem Rennen drei Athleten, die den Weltrekord brechen können. Einer von ihnen ist Paul Biedermann", sagte der Trainer der australischen Schwimmer fünf Tage vor Beginn der Olympischen Spiele.
Da war die deutsche Welt noch in Ordnung.

Doch statt Bestzeit zu schwimmen, schied Biedermann über 400 m Freistil im Vorlauf aus. Immerhin sein Weltrekord hielt. Auf anderen Strecken reichten der internationalen Konkurrenz dieser Tage Gold, Silber und Bronze aber längst nicht mehr aus. Im Olympiapool erleben die Zuschauer eine Rekordflut wie seit fast drei Jahren nicht mehr.

Am 1. Januar 2010 begann im Schwimmsport eine neue Zeitrechnung. Als die mit Kunststoff beschichteten Hightech-Anzüge, die den Athleten eine günstigere Wasserlage und besseren Vortrieb gewährleisteten, verboten wurden, war auch die Weltrekordflut vorüber. 25 Bestmarken hatte es bei den Spielen 2008 in Peking gegeben, unglaubliche 43 bei den Weltmeisterschaften in Rom ein Jahr später.

"Vielleicht drei oder vier. Nicht zu viele", antwortete Bohl auf die Frage, wie viele Bestmarken in London fallen würden. Schon wieder lag er daneben. Am Donnerstag stellte Rebecca Soni (USA) über 200 m Brust schon die sechste Bestmarke auf. Hinzu kommen acht sogenannte "Textilweltrekorde", also die in den normalen Badehosen.

"Jetzt zeigt sich der echte Athlet"

"Ich mag das. Früher hat der Anzug einen Schwimmer gemacht, heute ist es umgekehrt. Jetzt zeigt sich der echte Athlet", sagte Ryan Lochte in London. Der 27-Jährige war im Vorjahr bei seinem goldenen WM-Rennen über 200 m Lagen in Shanghai der erste Athlet, der eine neue Bestmarke ohne Hightech aufstellte. Es folgte nur eine weitere durch den Chinesen Sun Yang über 1500 m Freistil.

In London schwammen Lochtes US-Teamkolleginnen Dana Vollmer (100 m Schmetterling) und eben Soni Rekordzeiten. Letztere sogar schon im Halbfinale. "Es ist Olympia. Die Sportler trainieren seit vier Jahren. Es ist großartig, dass man sieht, wie sich der Sport entwickelt", sagte Soni, die ihre eigene Bestmarke im Endlauf am Donnerstag sogar noch einmal verbesserte.

Skeptiker nehmen die neue Rekordflut dagegen besorgt zur Kenntnis. Allen voran das Fabel-Rennen der chinesischen Turbo-Schwimmerin Ye Shiwen über 400 m Lagen, bei dem sie auf der letzten Bahn sogar schneller als kurz zuvor Lochte war, sorgte für reichlich Gesprächsstoff. Der Amerikaner John Leonard, Vorsitzender der Weltvereinigung der Schwimmtrainer, verglich die 16-Jährige mit den nachweislich dopingverseuchten DDR-Schwimmerinnen. "Keine Frau war je schneller als ein Mann", sagte Leonard.

Yes Trainer Trainer Denis Cotterell verteidigte seine Athletin vehement. Er sei "hundertprozentig sicher", dass Ye sauber sei, sagte er. "Es ist eine Kombination aus Talent und Arbeitsmoral." Ein mulmiges Gefühl bleibt.

Simbabwes zweimalige Schwimm-Olympiasiegerin Kirsty Coventry versuchte, die Diskussionen zu beruhigen. "Wenn die Rekorde hier um zwei oder drei Sekunden gebrochen würden, wäre es komisch. Aber sie werden ja nicht deutlich unterboten", sagte sie. Und eine Sache hatte Rekord-Olympiasieger Michael Phelps schon vor den Spielen unmissverständlich festgehalten: "Rekorde sind eben da, um gebrochen zu werden."

(sid)
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