Paris 1900 Zehnjähriger wird Olympiasieger

Athen (rpo). Pierre de Coubertin, der Begründer der modernen olympischen Ära, begann spätestens im Verlauf der Sommerspiele 1900 zu bereuen, das Großereignis in einem Anflug von Nationalstolz in seine Heimatstadt Paris geholt zu haben. Er verlor jeglichen Einfluss auf die Veranstaltung, die wie in St. Louis vier Jahre später zur Begleiterscheinung der Weltausstellung verkam.

Und deren Veranstalter machten, was sie wollten, um die Besucher zu amüsieren. Sie veranstalteten Hindernis-Schwimmen über Tonnen auf der Marne oder warben ganz offen mit Preisgeldern beim Fechten und Radfahren. Die größte Geschmacklosigkeit war ein Tontaubenschießen auf lebende Tauben. Der Sieger erlegte 21 Vögel.

Das IOC verweigerte vielen Wettbewerben später die Anerkennung, doch letztlich blickte niemand richtig durch. Ergebnislisten waren Mangelware, Medaillen gab es nicht. Nur wer viel Glück hatte, bekam eine Erinnerungsurkunde, Eröffnungs- oder Schlussfeier entfielen ganz. Nach dem glorreichen Auftakt von Athen 1896 wurde die Fortsetzung zum blanken Hohn.

Für Coubertin bestand die größte Schmach wohl im erstmaligen Auftritt von zwölf Damen. Mehr als tausend Jahre Tradition Olympias sagten und bedeuteten den Herren des Festkomitees überhaupt nichts. Beim Tennis bürgte Charlotte Cooper immerhin für sportliche Qualität.

Die Britin hatte sich bereits dreimal in Wimbledon durchgesetzt, ehe sie am 11. Juli 1900 in Paris gewann. Eher als Freizeitsportlerin war dagegen Margaret Abbott anzusehen. Das US-Girl befand sich gerade mit Mutter auf Bildungsreise durch Europa, als sie durch ein Plakat zur Teilnahme an einer `Internationalen Golf-Meisterschaft´ animiert wurde. Miss Abbott zeigte sich bei der Rückkehr nach Chicago sehr erstaunt, dass man sie in der Lokalpresse als Olympiasiegerin gefeiert hatte.

Unbekannter Rekordhalter

Zu unerwarteten Ehren kam auch ein französischer Junge. Der hatte neugierig am Rudersteg gestanden, als ihn zwei Hünen vom Amsterdamer Zweier "Minerva" spontan in ihr Boot setzten. Der eigene Steuermann war nicht zur Stelle und das Finale stand an. Der Knabe ist auf dem Siegerfoto zwischen den beiden Holländern verewigt, denn "Minerva" hatte das Rennen gewonnen.

Doch dann verlor man ihn aus den Augen, und niemand hatte nach seinem Namen gefragt. Alle Nachforschungen blieben erfolglos. Sein Alter wurde auf höchstens zehn Jahre geschätzt. Er ist der jüngste Olympiasieger aller Zeiten und der einzige bis heute unbekannte aus der Geschichte der modernen Spiele.

Für mehr Aufsehen sorgten zwei Leichtathleten aus den USA: Alvin Kraenzlein mit vier Siegen im Sprint, über die Hürden und im Weitsprung; sowie der "Gummimann" Ray Ewry, der dreimal in den Sprüngen aus dem Stand erfolgreich war. Das war den amerikanischen Medien doch einige Schlagzeilen wert. Olympia war auf dem Weg ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten.

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