Erfolgstrainer der Olympia-Fußballer Hrubesch ist viel mehr als nur der nette Herr Hrubesch

Rio de Janeiro · Lange Zeit wurde Horst Hrubesch als Fußballlehrer unterschätzt, weil er nicht in das moderne Bild des Laptoptrainers passt. Bei Olympia hat er die Legende vom liebenswerten Grußonkel an der Seitenlinie wieder einmal widerlegt.

Horst Hrubesch – Kopfballungeheuer und Trainer-Phänomen
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Das ist Horst Hrubesch

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Horst Hrubesch hat 197 Bundesliga-Tore geschossen. 1982 war er Torschützenkönig. Er wurde deutscher Meister, gewann mit dem Hamburger SV den Europapokal der Landesmeister, den man heute Champions League nennt. Er schoss und köpfte die deutsche Nationalmannschaft zum Europameister-Titel 1980 im Finale gegen Belgien (2:1). Er zwang Frankreich im WM-Halbfinale 1982 mit einem Kopfball in die Verlängerung, und er verwandelte den letzten Elfmeter zum Einzug ins Endspiel. Und er hat das maßgebliche Werk über das "Dorschangeln vom Boot und an den Küsten" verfasst.

Dennoch hielt ihn die halbe Welt lange Zeit für ein bisschen schlicht. Möglicherweise ist er das sogar, aber längst nicht im bösen Sinn des Wortes. Horst Hrubesch liebt keine komplizierten Analysen, und als den Trainer der deutschen Olympia-Auswahl vor dem Halbfinale gegen Nigeria jemand fragte, was er der Mannschaft vor dem Spiel wohl sagen werde, da antwortete er: "Das weiß ich jetzt noch nicht, das kommt aus dem Bauch."

Es muss jedenfalls das Richtige gewesen sein. Denn die deutschen Fußballer spielten die körperlich starken Nigerianer kühl aus, und sie stehen nach dem 2:0-Erfolg über die Afrikaner am Samstag im Finale der Olympischen Spiele von Rio de Janeiro im sagenumwobenen Fußballtempel von Maracana. Gegner ist Brasilien, und da kann es mit einem Fußball-Romantiker schon mal durchgehen bei so vielen Ausrufezeichen: Olympia! Maracana! Rio! Brasilien! Hrubesch hat ein paar Tränchen verdrückt vor seinem letzten Spiel als Trainer einer deutschen Juniorenmannschaft.

Olympia 2016: Deutschland steht nach 2:0-Sieg gegen Nigeria im Finale
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DFB-Auswahl steht nach 2:0-Sieg gegen Nigeria im Finale

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Hrubesch könnte der Großvater seiner Spieler sein

Sie sind ihm um den Hals gefallen, die "Jungs", wie er seine Spieler nennt, die meisten mehr als 40 Jahre jünger als ihr Coach, eigentlich eine Enkelgeneration. Hrubesch, den noch niemand mit einem Laptoptrainer oder einem durchgeistigten Fußballphilosophen verwechselt hat, findet den richtigen Ton. Vor allem mit dieser Fähigkeit, mit einer Mischung aus bärbeißigem Charme, der Sprache aus den Fußball-Gründerzeiten, menschlicher Wärme und Sachverstand hat er eine Mannschaft ins Finale der Olympischen Spiele gecoacht, die als Verlegenheitsteam beginnen musste. Weil die Vereine in Deutschland so wichtig sind, bekam Hrubesch zwar nach viel Bettelei eine Mannschaft zusammen, aber kaum Zeit zur Vorbereitung. Zweimal durften die Deutschen zusammen trainieren, da ging es bereits ins Turnier. Zeit zur Eingewöhnung ans Klima, taktische Einstimmung, Eingewöhnung in die neue Zeitzone: Fehlanzeige. So mancher hätte gejammert, viele hätten den Job quittiert. Hrubesch sagte: "Wir müssen es nehmen, wie es kommt."

Seine Elf spielte sich mit erkennbarem Gerumpel in der Gruppenphase ein, beim Einzug ins Viertelfinale benötigte sie viel Glück und einen späten Ausgleich gegen Südkorea. Serge Gnabry schoss ein Tor, wie es in Hrubeschs aktiver Zeit so oft vorkam. Der Stürmer Hrubesch stand für die deutsche Tugend, die Gegner verzweifeln ließ, und die sie so zusammenfassten: "Die Deutschen hast du erst geschlagen, wenn sie wieder im Mannschaftsbus sitzen." Hrubesch sagte mal: "Solange gesungen wird, ist die Kirche nicht aus." Gerade hatte er kurz vor Schluss das 4:3 für den HSV bei Bayern München erzielt und damit den Meistertitel für Hamburg besiegelt. Er vermittelt seinen Spielern ein Stück von dieser Mentalität, und er macht ihnen deutlich, dass Fußball in den Einzelheiten eine sehr komplexe Angelegenheit sein mag, im Grunde aber ein einfaches Spiel ist, in dem oft die Einstellung entscheidet. Vor allem zeigt er ihnen, dass es nichts bringt, sich über die Schwierigkeiten des Lebens den Kopf zu zerbrechen. Hrubesch nimmt sie an, und das ist der erste Schritt zur Lösung.

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Foto: afp

Seine Mannschaft spielt inzwischen äußerst sehenswerten, gut organisierten Fußball. Sie steht mit Recht im Finale. Hrubesch hat damit endgültig die Legende widerlegt, dass er als liebenswürdiger Grußonkel an der Seite steht und mit Mannschaften Erfolg hat, die sich selbst steuern. Das wurde hinter vorgehaltener Hand gesagt, als er 2009 mit der Generation Manuel Neuer, Benedikt Höwedes, Mesut Özil, Mats Hummels, Jerome Boateng und Sami Khedira die U-21-Europameisterschaft feierte. Diese sechs Jungs wurden fünf Jahre später Weltmeister. Sie alle kennen die Qualitäten ihres damaligen Trainers. Spätestens seit dem Halbfinale von Sao Paulo kennt die ganze Welt diese Qualitäten.

Die Mannschaft freut sich bestimmt schon auf seinen Vortrag vor dem Endspiel. Vielleicht wird Hrubesch sagen: "Genießt die Atmosphäre, auch wenn alle pfeifen." Oder: "Wenn wir schon hier sind, dann wollen wir auch gewinnen." Oder wie einst der Kaiser Franz: "Geht raus und spielt Fußball." Aber das weiß er noch nicht. Es kommt eben aus dem Bauch.

(pet)
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