Ruderin reist aus London ab Der Fall Drygalla wird zum Politikum

London · Am Samstag hat sich IOC-Vizepräsident Thomas Bach erstmals zur Abreise der Ruderin Nadja Drygalla geäußert. Er lobte das Vorgehen der Teamleitung, war "erbost" über Kritiker - und wohl auch etwas erleichtert.

Das ist die Ruderin Nadja Drygalla
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Das ist die Ruderin Nadja Drygalla

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Der "worst case" ist ausgeblieben, zumindest darüber durfte Thomas Bach glücklich sein. Die gefürchtete englische Presse nahm vom heiß diskutierten Fall Nadja Drygalla kaum Notiz. Und auch innerhalb des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), so behauptete Bach als dessen Vizepräsident jedenfalls, sei wegen der Affäre "nichts an mich herangetregen worden".

Bach: "Bin erbost über Äußerungen aus der Politik"

So weit, so gut. Die Sache komplett abhaken durfte Bach allerdings nicht. Die schweren Vorwürfe aus der Heimat konnte und wollte der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) nicht unbeantwortet lassen. "Ich bin nicht nur verwundert, sondern erbost über Äußerungen aus der Politik in Deutschland. Ich halte das für ein inakzeptables Vorgehen, die Aussagen und das Vorgehen der Mannschaftsleitung in Zweifel zu ziehen", sagte Bach während einer Pressekonferenz im Deutschen Haus am Samstag: "Warum haben sie uns das nicht gesagt, wenn sie davon gewusst oder als sie davon erfahren haben?"

Unter anderem Dagmar Freitag (SPD), die Vorsitzende im Sportausschuss des deutschen Bundestages, hatte die offizielle Darstellung, die DOSB-Spitze habe vom Fall Drygalla erst am Donnerstag erfahren, stark in Zweifel gezogen. "Es besteht dringender Aufklärungsbedarf. Die Einlassung, dass sowohl der DOSB als auch der Deutsche Ruderverband nichts von dem Fall gewusst haben wollen, ist für mich erklärungsbedürftig und kaum vorstellbar", hatte Freitag dem SID gesagt.

Bach ließ keinen Zweifel daran, dass auch er nichts von den Kontakten der Ruderin in die rechtsradikale Szene gewusst hat, auch wenn er es nicht explizit erwähnte. Er kündigte an, dass es weitere Gespräche mit Drygalla geben werde, "wie sie einzuschätzen ist in dieser Frage, ob sie sich klar zu den Prinzipien des DOSB und des Grundgesetzes bekennt. Das muss zu Hause geschehen." Dann werde auch die Frage erörtert: "Hat jemand vorher davon gewusst und es dann nicht weitergegeben?"

Ruder-Präsident: Auch für mich überraschend

Auch Siegfried Kaidel, Präsident des Deutschen Ruderverbandes (DRV), wehrte sich gegen die Vorwürfe von Freitag. "Ich persönlich habe am Donnerstag zwischen zwölf und ein Uhr davon erfahren. Für mich war das auch überraschend. Für mich gab es aus der Mannschaft keinerlei Hinweise", sagte Kaidel am Schlusstag der olympischen Regatta auf dem Dorney Lake.

"Mit wem sie befreundet ist, ist ihre persönliche Sache, so lange sie nicht in Erscheinung tritt. Sie war in keiner Weise auffällig. Für uns ist sie sauber. So lange ich nicht weiß, dass sie aktiv tätig wurde, werde ich sie nicht verurteilen", sagte Kaidel, der nach der Rückkehr aus London das Gespräch mit der 23-Jährigen sucht. "Ich habe persönlich mit ihr noch nicht sprechen können. Ich möchte mir selber ein Bild machen."

Ein offenes Geheimnis

Unter vielen deutschen Ruderern jedenfalls waren Drygallas Beziehungen zu einem Mann, der möglicherweise ein führender Kopf der rechten Szene in Mecklenburg-Vorpommern ist, anscheinend ein offenes Geheimnis. Carina Bär, die in London noch nicht mal mit Drygalla in einem Boot saß, sagte der Bild-Zeitung: "Für uns war es nichts Neues. Wir haben öfter im Team darüber diskutiert."

Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Lorenz Caffier (CDU) bestätigt mehreren Medien, dass es schon 2011 "sehr intensive Gespräche" mit der Polizeianwärterin gegeben habe, "in die auch der Landessportbund und ihr Verein einbezogen waren". Bis in die Chefetagen von DOSB und Deutschem Ruder-Verband ist jedoch angeblich nichts vorgedrungen.

Bach zeigte sich derweil zufrieden mit DOSB-Generaldirektor Michael Vesper, der die peinliche Angelegenheit am Freitag als erster der Presse hatte erklären müssen. Der oberste deutsche Sportfunktionär lobte "zügiges und richtiges Handeln".

Chef de Mission Vesper betonte am Samstag erneut, dass auf Drygalla kein Druck ausgeübt worden sei: "Am Ende unseres Gespräches hat sie entschieden, um eine Belastung der Mannschaft zu vermeiden, das Olympische Dorf zu verlassen. Ich habe das begrüßt, wir waren uns da einig." Walter Arnold, Vorsitzender von Drygallas Ruderklubs ORC Rostock, bezweifelt das. "Ich finde es erbärmlich, dass ein junges Mädchen in Sippenhaft genommen wird", sagte er dem Focus.

Bach, der an den entscheidenden Gesprächen mit Drygalla vor deren Abreise nicht teilgenommen hatte, nahm genau wie tags zuvor Vesper die Ruderin in Schutz - allerdings deutlich zurückhaltender. "Unser Bekenntnis zu unseren Werten, für Toleranz, gegen Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit, ist deutlich", sagte Bach, dies sei auch in der Athletenvereinbarung fixiert: "Wenn es erkennbare Verstöße gibt, muss man reagieren, aber man muss auch den Einzelfall prüfen. Eine Mannschaftsleitung hat auch den Auftrag, ihre Athleten zu schützen." Laut Vesper habe sich Drygalla, die seit Freitag abgetaucht ist, in dem Gespräch glaubhaft von rechtsradikalem Gedankengut distanziert.

Unterscheidung zwischen Einzelfall und Olympiamannschaft

Am wichtigsten war es Bach allerdings, Schaden von der deutschen Olympiamannschaft, vom deutschen Sport und damit letztlich auch von sich selbst abzuwenden. Er verdeutlichte dies mit einem eindringlichen Appell an die Journalisten. "Ich habe eine persönliche Bitte: Treffen Sie die Unterscheidung zwischen diesem Einzelfall und unserer Olympiamannschaft. Es hat keiner aus der Mannschaft verdient, in diese Sache hineingezogen zu werden."

Innerhalb des IOC ist die Affäre laut Bach, der als heißer Kandidat auf die Nachfolge des derzeitigen Präsidenten Jacques Rogge gehandelt wird, nicht thematisiert worden: "Ich glaube auch nicht, dass es einen Anlass dafür gibt, weil jeder die Haltung des DOSB kennt. Da gibt es keinerlei Zweifel."

Erleichtert dürfte er in diesem Zusammenhang zur Kenntnis genommen haben, dass die englische Presse vom Fall Drygalla kaum Notiz genommen hat. Der Fall war lediglich zwei klassischen Abonnement-Zeitungen eine Kurzmeldung wert. Unter der Überschrift "German neo-nazi row" berichtet der Daily Telegraph kurz, die Schlagzeile der Times lautete: "German rower's neo-nazi romance." Von der gefürchteten Yellow Press wurde das Thema komplett ignoriert

(sid)
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