Interview mit Stabhochspringer Björn Otto träumt vom Fliegen

London · Der Stabhochspringer aus Dormagen über die Folgen seiner Silbermedaille, den Berufswunsch, dosiertes Training und die Bedeutung der deutschen Leichtathletik-Bilanz bei den Spielen von London.

Olympia 2012: Silber und Bronze für Otto und Holzdeppe
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Was haben Sie gedacht, als der Franzose Renaud Lavillenie 5,97 Meter in seinem letzten Versuch gesprungen ist und Ihnen damit den Olympiasieg vor der Nase weggeschnappt hat?

Otto So ein Drecksack, habe ich gedacht. Renaud ist unheimlich sicher bei den hohen Höhen. Beim Einspringen hatte ich schon gesehen, wie stark er ist. Da sprang er schon 5,90 Meter, allerdings nicht über die Latte, sondern über ein Gummiband. Im Wettkampf hatte er einen Durchhänger. Dass er dann noch 5,97 Meter schafft, ist schon ein Wort.

Sie werden oft als Oldie der Leichtathletik bezeichnet. Stört Sie das?

Otto Ich war ja noch nicht einmal der Älteste. Romain Mesnil gehört wie ich zum Jahrgang 1977, er ist aber ein paar Monate älter. 34 ist nicht das Rentenalter für Stabhochspringer. Der Amerikaner Jeff Hartwig war 40, als er in Sydney an den Olympischen Spielen teilgenommen hat. Ich hätte also noch einen kompletten olympischen Zyklus vor mir.

Machen Sie denn weiter?

Otto Ich habe mir gesagt, dass ich erst einmal hier nach London fahre und mir danach überlege, wie es weitergeht. Ich will noch eine Ausbildung als Pilot machen und mir damit einen Kindheitstraum erfüllen.

Aber Sie sind doch Biologe.

Otto Ich sehe mich nicht als Biologe, der jahrelang am Labortisch steht, sondern als Pilot im Cockpit. Bei der Lufthansa habe ich wohl keine Chance mehr auf eine Ausbildung. Die nehmen nur Bewerber bis 29 Jahre. Und Air Berlin hat mir im vergangenen Dezember eine Absage erteilt.

Weil Sie mit 34 vielleicht nicht mehr so fit sind?

Otto Ich bin tausendmal fitter als alle anderen, die da vorn im Cockpit sitzen.

Welche Möglichkeiten haben Sie noch, ihren Berufswunsch zu verwirklichen?

Otto: Ich könnte privat eine Ausbildung machen. Sie dauert 18 Monate und kostet zwischen 60 000 und 70 000 Euro.

Als Silbermedaillengewinner von London werden Ihre Startgagen sicher höher.

Otto Ich weiß nicht genau, was schon vereinbart ist. Mein Manager Marc Osenberg hat aber ein gutes Händchen, wenn es darum geht, für seine Athleten das Optimale herauszuholen. In den nächsten Wochen stehen viele Wettkämpfe an: in Südtirol, Lausanne, Zürich, Berlin, Aachen. Und am 25. August Danny Eckers Abschied in Leverkusen.

Mit 5,91 Meter sind Sie hier in London bis auf einen Zentimeter an Ihre persönliche Bestleistung herangekommen. In Danny Ecker und Tim Lobinger gibt es zwei deutsche Sechs-Meter-Springer. Werden Sie der dritte?

Otto: Das ist mein Ziel für dieses Jahr. Mein Versuch an 6,02 Meter war sehr gut. Wenn ich die Ständer etwas nach vorn geschoben hätte, wäre es drin gewesen. Falls die Bedingungen stimmen und ich in einem Rhythmus 5,60 Meter, 5,80 und dann 6,00 auflegen lasse, kann es klappen.

Warum sind sie erst mit 34 auf dem Höhepunkt ihrer Karriere?

Otto 2004 habe ich mich in der Qualifikation für Athen zu dusselig angestellt. 2007 war ich mit dem fünften Platz bei der WM in Osaka ja dann auf einem guten Weg. 2008 und 2010 ist mir die Achillessehne angerissen, einmal im linken, einmal im rechten Bein. Zweimal musste ich mich zurückkämpfen. Ich hatte zeitweise morgens früh höllische Schmerzen, wenn ich nach dem Aufstehen zur Toilette gegangen bin.

Aber warum stellt sich erst jetzt der ganz große Erfolg ein?

Otto Ich habe weniger trainiert als früher, insbesondere schonender für die Ferse. Das war das richtige Rezept. Das war mutig und aus der Not geboren.

Wie wichtig sind für die deutsche Leichtathletik die beiden Medaillen im Stabhochsprung?

Otto Das Bild, das wir mit Silber und Bronze bei der EM in Helsinki schon gezeigt haben, hat sich hier verfestigt. Anders als in früheren Jahren heißt es jetzt nicht: Allein die Werfer haben die Medaillen geholt und uns wieder rausgerissen.

Wie belohnen Sie sich?

Otto Nach Ende der Saison gehe ich mit einem Kumpel zum Gleitschirmfliegen in die Alpen, falls das Wetter gut ist. Ein Dreiecksflug von fünf bis sechs Stunden über dem Alpenhauptkamm, das ist schon beeindruckend.

Wie hoch geht es hinaus?

Otto Ohne Sauerstoff darf man bis auf 4000 Meter. Das kontrolliert aber kein Mensch. In Neuss oder Köln ist wegen der Einflugschneisen der Flughäfen Düsseldorf und Köln bei 750 Meter Schluss. Auch im Trainingslager in San Diego hatte ich den Gleitschirm dabei. Da sind F16-Kampfjets und Hubschrauber unter mir geflogen.

Martin Beils zeichnete das Gespräch auf.

(RP/can)
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