Nach Osakas Rückzug „Eine Depression ist kein K.o.-Kriterium“

Düsseldorf · Die Tennisspielerin Naomi Osaka stieg bei den French Open aus - und machte ihre Depression öffentlich. Andreas Ströhle, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie an der Berliner Charité, spricht im Interview über die Rolle von Depressionen im Leistungssport.

Naomi Osaka, Nummer Zwei der Tennis-Weltrangliste, machte ihre Depressionen öffentlich.

Naomi Osaka, Nummer Zwei der Tennis-Weltrangliste, machte ihre Depressionen öffentlich.

Foto: AP/Lynne Sladky

Es war ein Paukenschlag. Naomi Osaka, die Nummer Zwei der Frauen-Weltrangliste im Tennis, zog während des Turniers ihre Teilnahme zurück. Zuvor kündigte sie an, nicht mehr an Pressekonferenzen teilnehmen zu wollen. Die Turnierleitung verhängte Strafen. Osaka macht mit ihrem Rücktritt von den French Open ihre Depression öffentlich. Im Leistungssport ist das oft noch ein Tabuthema. Andreas Ströhle von der Berliner Charité behandelt auch Leistungssportler, die an Depressionen leiden. Und er sitzt dem Referat Sportpsychiatrie und -psychotherapie der „Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde“ (DGPPN) vor, das Unterstützungsangebote für Leistungssportler in ganz Deutschland koordiniert. Es wurde nach dem Suizid von Robert Enke gegründet.

Die Tennisspielerin Naomi Osaka ist aus den French Open ausgestiegen und hat im gleichen Atemzug ihre Depressionen öffentlich gemacht. Davor gab es sehr viel Wirbel um einen Presseboykott, ihr wurden Strafen und ein Turnierausschluss angedroht. Ist das ihr Ausstieg trotzdem ein gutes Zeichen, weil er dem Thema Depression im Sport mehr Öffentlichkeit gegeben hat?

Andreas Ströhle Es ist bitter, dass eine Sportlerin aufgrund von Druck, der auf sie ausgeübt wurde, die Notwendigkeit gesehen hat, ihre psychische Erkrankung zu offenbaren. Das ist kein schöner Vorgang. Auf der anderen Seite: Für den erfolgreicheren Umgang mit psychischen Erkrankungen und für die Entstigmatisierung ist es natürlich hilfreich, dass Leistungssportler – auch die „ganz oben“ – sich zu den Erkrankungen bekennen. Weil die auch vermitteln können: Eine Depression ist kein Knock-Out-Kriterium, die muss mich nicht daran hindern, dass ich Weltklasse bin und Spitzenleistung bringe.

Sie behandeln selbst auch Leistungssportler mit psychischen Problemen. Ist dieses öffentliche „Outing“ etwas, wozu Sie raten?

 Andreas Ströhle von der Berliner Charité behandelt auch Leistungssportler, die an Depressionen leiden.

Andreas Ströhle von der Berliner Charité behandelt auch Leistungssportler, die an Depressionen leiden.

Foto: Charité

Ströhle Das muss jeder und jede für sich ganz alleine entscheiden. Insgesamt ist es für das Thema natürlich gut, wenn man damit in die Öffentlichkeit geht.

Aus der Tenniswelt gab es viel Unterstützung für Osaka: Mehrere Spieler und Spielerinnen sagte der Japanerin ihre Unterstützung zu. War das einer von vielen Weckrufen für das Thema Depression im Sport?

Ströhle Ja, wir hoffen alle, dass ein Weckruf ist. Dass die Sensibilität dadurch größer wird, dass die Stigmatisierung geringer wird.

Was braucht es im Leistungssport, damit das Thema Depression in der Öffentlichkeit und auch im Sport selbst präsenter wird?

Ströhle Die Akzeptanz von phsychischen Erkrankungen im Leistungssport ist in den letzten Jahren immer größer geworden. Es gibt immer mehr Leistungssportler, die sich offenbaren. Wichtig ist das Wissen um psychische Erkrankungen. Und das wurde auch in der Allgemeinbevölkerung in den zehn, 20 Jahren deutlich größer – ebenso wie die Akzeptanz. Lange Zeit dachte man, Leistungssportler sind „Supermenschen“, die haben keine Depression. Inzwischen weiß man, dass psychische Erkrankungen hier vergleichbar häufig sind wie in der Allgemeinbevölkerung. Je nach Sportart mit unterschiedlichen Häufungen.

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Gibt es Sportarten, die eher betroffen sind?

Ströhle Ja, bestimmte Sportarten, bei denen es aufs Körpergewicht ankommt: Skispringen, Ausdauersportarten. Die sind prädestiniert dafür, dass Menschen Essstörungen bekommen können. Man weiß auch, dass Mannschaftssportler ein eher geringeres Risiko haben, an Depressionen zu erkranken als Einzelsportler. Weil sie nicht so viel alleine sind. Und weil der Erfolg und der Misserfolg nicht nur von einer Person, sondern von der Mannschaft abhängen.

Osaka sagte, einer der Gründe, warum sie den Presskonferenzen fernblieb, sei, dass viele Reporter Fragen stellen, die „Zweifel in ihre Köpfe bringen“? Sind Medienberichterstattung und dauerhafte Aufmerksamkeit – gerade für depressive Sportler und Sportlerinnen - größere Probleme, als für Sportler, die nicht an dieser Krankheit leiden?

Ströhle Menschen mit Depressionen sind durch die Krankheit schon sehr in Frage gestellt. Und dann ist es für sie oft schwer, sich auch nach Außen gut zu präsentieren. Genauso wie man jemanden mit Fieber zugestehen sollte, dass er nicht 100-prozentige Leistungsfähigkeit bringt, sollte man auch respektieren, dass Sportler mit Depressionen einen gewissen Schutz, gewisse Rückzugsmöglichkeiten braucht und nicht immer überall präsent sein kann. Auf der anderen Seite ist es auch schwer für die Sportler, da komplett drauf zu verzichten. Weil es für den Sport, für die Sponsoren auch wichtig ist. Da einen Mittelweg zu finden, ist sicher nicht einfach.

Sie haben gesagt, Leistungssportler leiden ungefähr genauso häufig an Depressionen wie „Nicht-Leistungssportler“. Auf der anderen Seite sagen Sie auch, dass viel Sport Depressionen vorbeugen oder hier zumindest eine Stütze sein kann. Wie passt das zusammen?

Ströhle Es gibt auf der einen Seite Schutzfaktoren wie körperliche Aktivität. Und auf der anderen Seite belastende Faktoren wie Leistungsdruck oder Verletzungen. Das führt dazu, dass Sportler insgesamt ein vergleichbares Risiko haben, an einer Depression zu erkranken.

Wie behandeln Sie ihre Patienten aus dem Leistungssport?

Ströhle Prinzipiell mit denselben Behandlungsmöglichkeiten, wie sie auch bei Nicht-Leistungssportlern benutzt werden. Psychotherapie und Psychopharmaka. Das sind die beiden Hauptsäulen in der Depressions-Behandlung. Manchmal ist es für Leistungssportler schwierig, das logistisch alles hinzubekommen. Mit Trainingslagern, mit Reisen. Das ist eine gewisse Herausforderung auch für die Therapeuten, sich darauf einzustellen.

Können Sie sich Psychopharmaka auf die Leistung auswirken?

Ströhle Nein, in der Regel verwenden wir in der Depressionsbehandlung keine Medikamente, die sich auf die Leistung auswirken.

Wie viele Leistungssportler behandeln Sie und Ihr Netzwerk?

Ströhle Das zu beziffern, ist schwer. Manche kommen auch in größeren Abständen. Wir haben in über zehn Städten in Deutschland sportpsychiatrische Sprechstunden. Die Inanspruchnahme dieser Sprechstunden ist noch relativ gering – im Vergleich zu dem Anteil an Betroffenen, von dem wir ausgehen. Wir denken, dass viele Betroffene noch keine Hilfe suchen. Daher auch nochmal der Appell: Wenn notwendig, sollte man möglichst früh Hilfe suchen.

Die DGPPN wurde als Reaktion auf den Suizid von Robert Enke gegründet. Der wurde damals auch als „Weckruf“ betitelt. Hat sich danach wirklich viel getan?

Ströhle Es ist eine Entwicklung in Gang gesetzt worden. Ganz klar. Aber Dinge brauchen Zeit. Wir müssen weiter daran arbeiten, die Entwicklung geht aber in die richtige Richtung.

Glauben Sie, dass in zehn Jahren die Nachricht „Top-Sportlerin macht ihre Depression öffentlich“ weniger große Welle schlagen wird als bei Naomi Osaka?

Ströhle Ja, definitiv. Da hat sich in den letzten zehn Jahren einiges verändert. Und da wird sich auch in den nächsten zehn Jahren einiges verändern. Da bin ich mir ganz sicher.

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