Themenserie Klimawandel Wie Motorsport nachhaltiger sein kann

Serie | Düsseldorf · Die Formel 1 ist nicht so umweltschädlich, wie man vermuten könnte. Doch der Blick in die Branche offenbart beim Klimaschutz ein Missverständnis – und der Blick in die Zukunft zeigt ein großes Problem.

     Rennboliden auf einer Rennstrecke (Symbolbild).

Rennboliden auf einer Rennstrecke (Symbolbild).

Foto: Tyler Larkin / dpa, Bearbeitung: RP

„Das nachhaltigste Motorsportrennen ist das, das nicht stattfindet.“ Mit dieser Floskel könnte man diesen Text nicht nur beginnen, sondern auch beenden und so die Frage, ob und wie Motorsport und Nachhaltigkeit eigentlich zusammenpassen, kurz und knapp beantworten. Und damit läge man faktisch nicht einmal falsch. Doch ganz so einfach ist es nicht.

„Natürlich ist der Motorsport nicht total nachhaltig, da brauchen wir nicht drum herumzureden. Aber genauso wenig ist es etwa der Fußball oder der Rest der Gesellschaft. Sonst hätten wir nicht das Problem, das wir haben“, sagt Stefan Wagner mit Blick auf Klimawandel und Erderwärmung. Er ist Vorsitzender des Vereins Sports for Future, der sich für Klima- und Umweltschutz im Sport einsetzt. Jetzt könnte man einwenden, dass man Äpfel eigentlich nicht mit Birnen vergleichen sollte. Ist die Königsklasse des Motorsports, die Formel 1, allerdings der Apfel und die Fußball-Bundesliga die Birne, ist es in diesem Fall ausnahmsweise mal gangbar. Beide Sportarten begeistern Millionen Fans auf der Welt – in den Stadien, an den Rennstrecken und im TV. Und beide sind riesige Unterhaltungsindustrien, die jährlich Tausende Tonnen CO2-Emissionen verursachen.

Wer nun erwartet, dass die Formel 1, bei der bekanntlich 20 Autos im Kreis fahren, das Klima deutlich stärker belastet, der irrt. Nach eigenen Angaben hat die Formel 1 in der letzten Vor-Corona-Saison 2019 etwa 256.551 Tonnen Kohlenstoffdioxid erzeugt. Im gleichen Jahr entstanden nach Berechnungen der Klimaberatungsfirma Co2ol pro regulärem Bundesliga-Spieltag durchschnittlich 7753 Tonnen CO2. Ohne die Berücksichtigung von nationalen oder internationalen Pokalspielen ergibt das auf eine Saison mit 34 Spieltagen hochgerechnet einen Gesamtausstoß von 263.602 Tonnen CO2 – mehr als in der Formel 1.

Damit dürfte klar sein, dass Totschlagargumente nichts nützen. Denn genauso wenig wie der Fußball lässt sich auch der Motorsport nicht einfach abschaffen. Was darüber hinaus beide eint ist, dass der eigentliche Sport, also das Fußballspielen auf dem Rasen beziehungsweise die Verfolgungsjagden auf dem Asphalt, verhältnismäßig wenig Treibhausgase verursachen. Es ist das Drumherum, das das Klima so belastet. In der Formel 1 gehen nur 0,7 Prozent der gesamten CO2-Emissionen auf die Rennen an sich zurück. Fast drei Viertel entstehen durch die Logistik, also den Transport von Autos, Reifen und Mitarbeitern. Beim Fußball ist es ähnlich: Am meisten Kohlenstoffdioxid geht aufs Konto von Klubs und Fans durch das Reisen zu den Spielorten.

Damit genug des Äpfel-Birnen-Vergleichs zweier Sportarten, die sich also zumindest als Klimakiller gar nicht so unähnlich sind. Doch nur weil andere Sportarten auch klimaschädlich sind, heißt das ja nicht, dass der Motorsport nicht an seiner eigenen Nachhaltigkeit arbeiten sollte. Bis 2030 möchte etwa die Formel 1 klimaneutral werden. Was tut die Branche also, um dieses Ziel zu erreichen?

Bleiben wir zunächst beim Beispiel Formel 1: Die Königsklasse des Motorsports setzt als einzige Rennserie der Welt noch auf Heizdecken, die die Reifen vor den Rennen aufwärmen. Das bringt zwar schnelleren Grip für die Fahrer, der Stromverbrauch ist aber immens. Das soll sich ändern: Laut „Auto Motor und Sport“ soll die Temperatur der Decken ab 2023 um 50 Prozent reduziert werden, ab 2024 sollen sie dann ganz abgeschafft werden. Schon seit 2021 sind Einweg-Plastikflaschen im Fahrerlager verboten, stattdessen gibt Auffüllstationen, an denen man sich mit Wasser versorgen kann. Außerdem wird an neuen Reifengenerationen gearbeitet.

Die vermeintlich größte Stellschraube, an der der Motorsport aber in Sachen Nachhaltigkeit drehen will, sind die Kraftstoffe. Das ADAC GT Masters, eine der größten deutschen Rennserien, setzt seit dieser Saison als erste auf Sprit, der zu 50 Prozent aus regenerativen Komponenten besteht und so 20 Prozent CO2-Emissionen einspart. In der Formel 1 wird seit diesem Jahr mit E10 gefahren, also Kraftstoff aus zehn Prozent erneuerbaren Ressourcen. Dass das nicht reicht, ist auch Formel-1-Pilot Sebastian Vettel klar: „Das ist keine Revolution, dieses Benzin kann man schon jetzt an der Tankstelle kaufen.“

Deshalb hoffen er und andere auf 2026. Dann tritt das neue Motoren-Reglement in Kraft, mit dem auch vollsynthetische Kraftstoffe gefahren werden können sollen. Diese sogenannten E-Fuels werden mittels Strom aus Wasser und Kohlenstoffdioxid hergestellt. Bei der Verbrennung verursachen sie zwar ähnlich viele Abgase wie normales Benzin – werden zur Herstellung aber nur erneuerbare Energien eingesetzt und die Ausgangsstoffe aus der Atmosphäre oder aus Industrieabgasen entnommen, können Verbrennermotoren mit E-Fuels klimaneutral betrieben werden. Das Problem: Laut Umwelthilfe benötigen die regenerativen Kraftstoffe ein Fünffaches an Energie für die Herstellung im Vergleich zu herkömmlichem Sprit. Energie, die irgendwo herkommen muss, wenn nicht aus Diesel-Generatoren. Und der zweite Haken: Die E-Fuels haben lediglich Auswirkungen auf den CO2-Ausstoß der Rennfahrer und damit am Beispiel der Formel 1 nur auf 0,7 Prozent der Emissionen. Der direkte Effekt klimafreundlicherer Kraftstoffe ist also äußerst gering.

Trotzdem setzt die Branche große Hoffnungen in die synthetischen Kraftstoffe. „Das soll kein Feigenblatt sein“, sagte ADAC-Motorsport-Vorstand Lars Soutschka bei einem Pressetermin zum Saisonauftakt des ADAC GT Masters im April. Es gehe bei den E-Fuels auch darum, das Thema der breiten Öffentlichkeit näherzubringen und so die Möglichkeit zu schaffen, neue Technologien zu entwickeln und E-Fuels gesellschaftsfähig zu machen. In kurz: von der Rennstrecke auf die Straße. Dieser Transfer war in der Vergangenheit schon erfolgreich. Scheibenbremsen, die viel effektiver bremsen als die früher gebräuchlichen Trommelbremsen, kommen etwa aus dem Rennsport. Genauso wie elektrische Einspritzanlagen und der Einsatz von Turbo-Technologie, die sich heute in fast allen Verbrennungsmotoren befinden und diese deutlich effizienter machen.

An dieser Stelle offenbart sich jedoch ein großes Missverständnis. Während man bei Nachhaltigkeit gemeinhin an ökologische Nachhaltigkeit denkt, scheint man Nachhaltigkeit im Motorsport eher unter ökonomischen Gesichtspunkten zu verstehen. „Nachhaltigkeit bedeutet für uns doch Innovation, Neuerung, Veränderung“, sagt etwa ADAC-Sportpräsident Dr. Gerd Ennser. „Und ich glaube, der Motorsport ist die Sportdisziplin, die Veränderung am besten kann. Ich sehe Nachhaltigkeit als Chance für den Motorsport und nicht als Problem.“

Zum Problem wird es nur dann, wenn die Effekte, die der Motorsport auf den Individualverkehr hat, kaum noch spürbar sind. „Die Technologien sind inzwischen so verschieden, dass sich die Formel 1 immer mehr zu einer separaten Schiene entwickelt hat“, sagte Professor Markus Lienkamp von der TU München einmal. Ein Formel-1-Rennwagen und ein Serien-Pkw hätten heute kaum noch etwas gemein. Das zeigt sich etwa beim Thema Aerodynamik, das zwar wichtig für beide Bereiche ist, aber an das dennoch grundverschieden herangegangen wird. Während es im Rennsport um möglichst viel Anpressdruck auf den Asphalt geht, benötigt man für den Straßenverkehr eine spritsparende Reduzierung des Luftwiderstands. Das gleiche Bild bei der Reifenentwicklung: Rennwagen brauchen maximale Haftung bei hohen Betriebstemperaturen, Straßenreifen hingegen sollen unter ökologischen Aspekten vor allem lange halten und wenig Rollwiderstand haben. Es ist also zumindest fraglich, wo sich die E-Fuels einsortieren werden: Nischenprodukt für den Rennsport oder Vorreiter für den Straßenverkehr?

Wenn nicht E-Fuels, sind dann vielleicht E-Autos die Lösung für Nachhaltigkeit im Motorsport? Immerhin gibt es seit 2014 die Formel E, in der Elektro-Rennwagen gegeneinander antreten. Wird die Formel E irgendwann die neue Formel 1? Geht es nach Branchenexperten, sieht es wohl nicht danach aus. „Das Thema E-Mobilität ist ein bisschen vom Zaun gebrochen. Ich frage mich, wo denn der Strom herkäme, wenn es plötzlich alle machen würden“, sagt etwa der ehemalige Formel-1-Pilot Ralf Schumacher. ADAC-Sportpräsident Ennser sieht alternative Antriebe eher „in bestimmten Nischen“: „Das können Elektroantriebe sein, das können herkömmliche Verbrennermotoren mit E-Fuels sein, das könnte auch irgendwas Richtung Wasserstoff sein.“ Und auch sein ADAC-Kollege Soutschka prophezeit: „Es wird im Rennsport weiter Verbrennungsmotoren geben.“

Letztlich ist es aber auch egal. Denn das eigentliche Problem anzugehen, dagegen sträubt sich der Motorsport bislang. Um noch einmal darauf zurückzukommen: Die Rennen an sich verursachen nur 0,7 Prozent der Emissionen, zumindest in der Formel 1. Das Hochloben von E-Fuels und öffentlichkeitswirksame Maßnahmen wie ein Bann von Plastikflaschen und Heizdecken sind letztlich also doch nicht mehr als nur ein Feigenblatt. Worüber hingegen kaum jemand redet: Das große Problem ist und bleibt der Transport. Und hier kann die Lösung nur lauten: weniger ist mehr.

Vor 20 Jahren gab es in der Formel 1 noch nur 17 Rennen pro Saison, heutzutage sind es 22, bis zu 25 Rennen sollen es noch werden. Bei diesen reist die Formel 1 rund um den Globus, teilweise in absurder Reihenfolge. 2022 ging es nach dem Auftakt in Bahrain und Saudi-Arabien nach Australien, dann mit einem Zwischenstopp in Italien in die USA, dann für zwei Rennen zurück nach Europa, von dort nach Aserbaidschan, anschließend wieder nach Nordamerika nach Kanada, nur um anschließend gleich wieder zurück nach Europa zu fliegen. Auf der Landkarte ergibt diese Reiseroute ein wildes Durcheinander, das alles andere als umweltfreundlich ist. Will der Motorsport wirklich nachhaltiger werden, funktioniert das nur über clevere Transportwege und den Wegfall von Rennen oder gar ganzer Rennklassen.

Womit die eingangs formulierte Floskel wohl doch irgendwie wahr ist.

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