Merkwürdige koreanische Geschichten

Die 100-Meter-Läufe bei Großereignissen in Südkorea liefern eine Menge Stoff. 1988 bei den Olympischen Spielen in der Hauptstadt Seoul eliminierte sich Jürgen Hingsen, der Medaillenanwärter im Zehnkampf, mit drei Fehlstarts gleich im ersten Wettbewerb. Und Ben Johnson verlor Sprint-Gold und Weltrekord, als ihm Doping nachgewiesen wurde. Dass dann der zunächst zweitplatzierte Carl Lewis den Olympiasieg zugesprochen bekam, machte die Sache nicht wesentlich besser. Dessen Positivtests auf drei verbotene Substanzen bei den US-Ausscheidungskämpfen für Seoul hatten die Amerikaner lieber nicht geahndet.

Nun also Daegu, Usain Bolts absurder Fehlstart und der Sieg seines einschlägig vorbelasteten Kameraden – und dann fehlten ja auch noch die vier Jahresbesten. Wirkt alles ziemlich merkwürdig, passt aber zum Erscheinungsbild der anrüchigen Hochgeschwindigkeitsdisziplin. Warum hatte es Bolt so übermäßig eilig? Sieger Yohan Blake betonte, dass seinem Trainingspartner höchstens mal in den Übungseinheiten ein Fehlstart unterläuft, bislang aber nie im Wettbewerb. Und nach den Eindrücken von Vorlauf, Zwischenlauf und Halbfinale wäre Bolt auch mit verhaltenem Start locker zu Gold gerannt. Auf einen Weltrekord konnte er auch nicht aus sein, dazu waren seine Vorleistungen in diesem Jahr zu schwach. Außerdem blies ihm starker Wind entgegen.

Wollte Bolt sich mit seinem Fehlstart der Dopingprobe nach dem Wettkampf entziehen (auch wenn er später jederzeit kontrolliert werden kann)? Natürlich schwingt hier eine böse Unterstellung mit: Nach den Erfahrungen mit der Zunft der unbelehrbaren Sprinter muss diese Frage aber gestellt werden. Dass jetzt die Diskussion um die überharte Fehlstartregel tobt, passt Bolt vielleicht gut in den Kram. Sie lenkt vom Kernproblem der Leichtathletik ab.

(RP)
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