Neuer deutscher Rekord nach 39 Jahren Leo Neugebauer ist der neue Stern am Leichtathletik-Himmel

Düsseldorf · Leo Neugebauer knackt nach 39 Jahren den deutschen Zehnkampf-Rekord bei den College-Meisterschaften in den USA. Der 22-Jährige schürt die Hoffnungen der deutschen Leichtathletik.

Das ist Zehnkämpfer Leo Neugebauer​ - Deutscher Rekordhalter
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Das ist Zehnkämpfer Leo Neugebauer

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Foto: dpa/Mikala Compton

Kaum war Leo Neugebauer nach dem abschließenden 1500-Meter-Lauf seines Zehnkampfs über die Ziellinie gelaufen, kamen dem 22-jährigen Leichtathleten die Tränen. Dabei wusste er zu diesem Zeitpunkt nicht einmal, dass er gerade Historisches geleistet hatte: Nach 39 Jahren verbesserte er bei den College-Meisterschaften in Austin (Texas, USA) mit 8836 Punkte den deutschen Zehnkampf-Rekord von Jürgen Hingsen um vier Punkte. Erst sein Trainer informierte ihn ein paar Minuten später darüber.

Die Tränen flossen, denn die Marke ist beeindruckend, nur acht Athleten (darunter Kevin Mayer, Ashton Eaton und Roman Sebrle) übertrumpften diese bisher überhaupt, gleichzeitig krönte er sich damit zum College-Meister in seinem Heimatstadion, er trainiert und studiert in Austin. „Es ist komisch, es war die größte Meisterschaft im College, hat sich für mich aber nicht so angefühlt, weil sie in meinem Trainingsstadion stattgefunden hat“, sagte er am Freitag im Gespräch mit unserer Redaktion. „Es hat sich alles gewohnt angefühlt. Ich bin den ganzen Wettkampf über cool geblieben.“ Die Kommentatoren des US-Fernsehsenders Espn überschlugen sich bereits während der Liveübertragung mit den Superlativen für den Mann, der in Baden-Württemberg aufgewachsen ist. Wenig später legte er selbst nach: „Damit bin ich der Größte aller Zeiten im ganzen Land. Ich kann es noch gar nicht realisieren.“

Viel besser war es auch Stunden später noch nicht, als er mit unserer Redaktion telefonierte: „Das ist krass, ich habe es noch nicht ganz verkraftet. Ich habe nicht einmal eine Nacht darüber schlafen können, habe mit vielen Leuten telefoniert und auf Nachrichten geantwortet.“

Immerhin etwas Schlaf bekam der ehemalige Leichtathlet Frank Busemann, der 1996 in Atlanta Olympia-Silber im Zehnkampf gewann. „Ich habe den Wettkampf heute Nacht bis zum Stabhochsprung verfolgt und war heute Morgen überrascht, dass er am Ende noch so ein Ding zum deutschen Rekord rausgehauen hat“, sagte er im Gespräch mit unserer Redaktion. „Das wurde auch mal Zeit.“ Erwarten konnte man den allerdings nicht, sagte Zehnkampf-Bundestrainer Christopher Hallmann. „Er hat einen steilen Karrieresprung hingelegt, der nun im deutschen Rekord gipfelte. Für so einen Wettkampf muss einfach alles zusammenpassen. Umso mehr freut es mich, dass es für ihn aufgegangen ist.“

Wobei, so richtig überraschend kam die Leistungsexplosion Neugebauers für Busemann dann doch nicht. „Ich habe ihn letztes Jahr bei der WM in Eugene erstmals live gesehen und dachte schon, dass da ein echter Rohdiamant am Start steht. Seine Leistungen verschlugen mir den Atem und ich dachte: ‚Was ein Koloss‘. Seitdem hat er noch einmal kraftmäßig zugelegt und sich vor allem technisch weiterentwickelt.“

Wie gut er sein kann, war schon früh zu erkennen, als er mit sechs Jahren zur Leichtathletik kam und sich ein paar Jahre später gänzlich gegen den Fußball und für die Leichtathletik entschied, „weil ich darin besser war und mehr Spaß hatte“, sagt er. 2017 gewann er als 17-Jähriger bereits bei der U18-WM in Kenia Bronze im Zehnkampf, ging zwei Jahre später dann ans College in die USA. Dort ist er aufgrund der guten Förderung zum Modellathleten gereift. Zwei Meter groß, 104 Kilogramm pure Muskelmasse – die besten Voraussetzungen für einen Zehnkämpfer. „Für mich war es die beste Entscheidung. Ich fühle mich hier wohl, hatte immer eine gute körperliche Grundlage. Aber technisch konnte ich mich hier in kürzester Zeit richtig gut entwickeln“, sagte Neugebauer.

Für Busemann spielt zudem ein weiterer Faktor rein: „Er hat den American Lifestyle aufgesogen, ist tiefenentspannt vor und in den Wettkämpfen und freut sich einfach drauf. Er macht sich offenbar nicht viel aus seinen Leistungen, was ihn stark zu machen scheint.“ Den Eindruck erweckt Neugebauer auch auf Hallmann. „Leo ist ein besonderer Leichtathlet und ein toller Mensch. Er ist sehr nett, ruhig und bringt bei aller Ernsthaftigkeit im Training eine schöne Portion Sarkasmus und Spaß mit. Er hat den Schalk im Nacken, wie man so schön sagt.“ All das führe dazu, dass er locker in den Wettkämpfen bleibe, sagte Neugebauer selbst. Und: „Das College-System mit dem ständigen Druck funktioniert bei ihm“, ist sich Busemann sicher.

Bereits Ende März hatte der 22-Jährige, der für die LG Leinfelden-Echterdingen startet, mit der persönlichen Bestleistung von 8478 Punkten aufhorchen lassen. Er knackte damit nicht nur die Norm für die WM in Budapest (19. bis 27. August), sondern auch für die Olympischen Spiele 2024 in Paris. Nun setzte der Zehnte der WM des vergangenen Jahres noch einmal einen drauf. „Das fühlt sich unglaublich an. Ich bin überglücklich“, sagte er nach seinem Wettkampf, in dem er insgesamt in fünf Einzeldisziplinen neue persönliche Rekorde sowie die Weltjahresbestleistung aufstellte und somit in den Favoritenkreis für die WM in Budapest vorstieß. Allerdings: Die meisten Zehnkämpfer beginnen erst in diesen Tagen mit ihrer Saison.

 08.06.2023, USA, Austin: Leichtathletik: NCAA Division Championships, Zehnkampf, Männer: Leo Neugebauer aus Deutschland, von der Texas Universitay, jubelt nach seinem Sieg. Foto: Mikala Compton/Austin American-Statesman/AP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

08.06.2023, USA, Austin: Leichtathletik: NCAA Division Championships, Zehnkampf, Männer: Leo Neugebauer aus Deutschland, von der Texas Universitay, jubelt nach seinem Sieg. Foto: Mikala Compton/Austin American-Statesman/AP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Foto: dpa/Mikala Compton

„Für die WM in Budapest gehört er für mich zu den klaren Medaillenaspiranten“, sagte Busemann. „Aber: Das College-System ist darauf ausgerichtet, dass die Höchstleistungen zur College-Meisterschaft erbracht werden. Auf der großen internationalen Bühne mehrere Monate später fällt es vielen Athleten dann schwer, diese Leistungen zu bestätigen“, so der nun fünftbeste deutsche Zehnkämpfer der Geschichte. Aber Neugebauer ist selbstbewusst, will nun zwar erst einmal eine Auszeit genießen, dann aber den Neuaufbau in Angriff nehmen. „In Budapest will ich der Welt zeigen, was ich drauf habe.“ Seit Freitag wissen alle: eine ganze Menge. Und zusammen mit Europameister Niklas Kaul wird er sicher ein starkes deutsches Duo bilden.

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