Lückenkemper zwischen Kamera-Ärger und Trotz „War an der Entwicklung dieser Kamera eine Frau beteiligt? Ich glaube nicht“

Doha · Vom Sonnenschein zum Sorgenkind: Die Karriere von Sprinterin Gina Lückenkemper hat einen ersten Knick erhalten. Das kraftlose Halbfinal-Aus bei der WM in Doha war fast folgerichtig.

Gina Lückenkemper kommt nach den 100 Metern in Doha ins Ziel.

Gina Lückenkemper kommt nach den 100 Metern in Doha ins Ziel.

Foto: dpa/Michael Kappeler

Gina Lückenkemper stand bedröppelt in den Katakomben des WM-Stadions von Doha, die Augen feucht, die Stimme schwer. „Natürlich ist das Jahr nicht so gelaufen, wie ich es gerne hätte. Ich weiß aber, was in den letzten Wochen privat bei mir passiert ist, und dann ist das jetzt halt so“, sagte die Sprinterin nach ihrem enttäuschen Halbfinal-Aus über 100 Meter. Ins Detail ging die 22-Jährige nicht, doch offensichtlich war: Mental wie körperlich ist die Senkrechtstarterin der vergangenen Jahre derzeit nicht voll auf der Höhe.

11,29 Sekunden im Vorlauf, 11,30 und letzter Platz im Halbfinale, ausgeschieden wie auch wenig später Teamkollegin Tatjana Pinto: Lückenkempers Vorstellung in Katar spiegelte recht genau ihren Saisonverlauf wider. An die Stelle von Leichtigkeit und unbekümmertem Auftreten, den Grundpfeilern einer zuvor höchst bemerkenswerten Entwicklung, sind Verkrampftheit, Mühsal und technische Wackler getreten. Dass die Vize-Europameisterin in Doha das Rennen wieder einmal am Start verlor, ist symptomatisch für diese Saison.

„Das war natürlich scheiße, was soll ich dazu noch sagen? Das Rennen war definitiv keine Meisterleistung. Im Vorlauf bin ich noch ins Fliegen gekommen, das blieb im Halbfinale aus“, meinte Lückenkemper, die urplötzlich am Vorabend aufgetretene Rückenprobleme und schmerzende Beine beklagte: „Irgendwas stimmt nicht, jetzt müssen wir gucken, dass der Körper wieder vernünftig läuft.“

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Hinzu kam in Doha noch der Ärger über die neuen Startblock-Kameras, die der Leichtathletikverband offenbar einsetzte, ohne die Athleten vorher zu informieren. Lückenkemper kritisierte nach dem Vorlauf die Kameraeinstellungen, die direkt in den Intimbereich der Läuferinnen filmen, heftig. „In den knappen Sachen über diese Kamera zu steigen, um in den Block zu gehen, finde ich sehr unangenehm“, begründete Lückenkemper ihren Einwand. Lückenkemper fragte: „War an der Entwicklung dieser Kamera eine Frau beteiligt? Ich glaube nicht.“

Der Deutsche Leichtathletik-Verband legte Einspruch gegen die Aufnahmen ein. Am Sonntag teilte er mit, man habe mit dem Weltverband IAAF einen Kompromiss gefunden. Demnach werden die Bilder der sogenannten „upper cameras“ im TV-Kontrollraum des Khalifa-Stadions, im Fernsehen und auf der Stadion-Videowand erst groß gezeigt, wenn die Athleten im Block sitzen, teilte der DLV mit. „Es wird nur die finale Blockstellung der Athleten gezeigt“, hieß es weiter. Zudem würden die Videodaten nicht gespeichert und täglich gelöscht. Der WM-Einsatz der neuen Kameras im Startblock ist nur bei den 100 Metern und im Hürdensprint vorgesehen (Hier finden Sie Informationen zum Zeitplan, Medaillenspiegel und allen Highlights der WM). Die Idee der Startblockkamera sei es, die Kommunikation zwischen Athlet und Zuschauern durch eine neue Eventpräsentation zu verbessern.

Aber auch unabhängig von der Ablenkung durch die neuen Kameras läuft das Gesamtpaket Lückenkemper nicht. Aus der strahlenden Aufsteigerin, die mit ihren 10,95 Sekunden im WM-Vorlauf 2017 in London und mit ihren Medaillen bei der EM 2018 in Berlin Leichtathletik-Deutschland im Sturm erobert hatte, ist eine sehr nachdenkliche junge Frau und gewissermaßen auch ein Sorgenkind geworden. Die gewachsenen Belastungen waren und sind ihr anzumerken.

„Die Forderungen sind extremer geworden. Überall wird erwartet, dass du funktionierst. Wenn ich nicht unter elf Sekunden laufe, ist es sofort schlecht. Das schlaucht ungemein“, sagte sie vor der WM der Süddeutschen Zeitung: „Es wird oft vergessen, dass ich noch eine junge Athletin bin.“

Lückenkempers Reaktion nach dem Aus im ersten Doha-Wettbewerb war Trotz: „Das muss ich jetzt so hinnehmen und weitergucken.“ Der Blick geht nun auf die Staffel, dort starten Lückenkemper, Pinto, Lisa-Marie Kwayie und Yasmin Kwadwo am Freitag im Vorlauf, das deutsche Quartett geht als Jahresweltbestes und mit großen Hoffnungen in den Wettbewerb - daran hat auch das 100-m-Abschneiden nichts geändert.

„Dass es im Einzel nicht geklappt, heißt nicht, dass es in der Staffel nicht klappen kann. Wir haben alle Bock, und das wird auch gut werden“, sagte Lückenkemper. Zumindest die körperlichen Probleme will sie bis dahin in den Griff bekommen haben: „Wir haben ein supergutes medizinisches Team. Es ist schnell gekommen, und wenn wir da gut reagieren, ist es auch schnell wieder weg.“

(rent/sid)
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