Leichtathletik-WM Die Russen sind zurück

London · 19 Aktive starten als neutrale Athleten in London. Der Dopingskandal ist bei der WM gegenwärtig. Ein Russe aus dem Team ANA ("Authorized Neutral Athletes") hat es schon aufs Podest geschafft.

 Sergej Schubenkow bei der Siegerehrung.

Sergej Schubenkow bei der Siegerehrung.

Foto: ap, FO

Sie tragen kein Nationaltrikot. Bei einem Titelgewinn wird keine Nationalhymne gespielt. Ja, die ist selbst als Klingelton für ihre Handys verboten. Und die Landesflagge als Nagellack ist auch nicht erlaubt - trotzdem starten russische Athleten bei der Weltmeisterschaft in London. Zwar bleibt der russische Verband wie schon bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro wegen des systematischen Dopingbetrugs gesperrt, doch der Weltverband (IAAF) genehmigte 19 Russen die WM-Teilnahme als neutrale Athleten. Sie haben nach Aussagen von IAAF-Präsident Sebastian Coe "die Anforderungen im Antidopingprogramm erfüllt".

Doch was als zartes Pflänzchen des Neuanfangs im größten Betrugsskandal der Sportgeschichte daherkommen sollte, erhielt einen gehörigen Dämpfer. Der Streaming-Dienst Netflix brachte just zum Start der Titelkämpfe die Dokumentation "Ikarus" des US-amerikanischen Filmemachers Bryan Fogel heraus. In dieser schildert er anhand des früheren Leiters des Moskauer Anti-Doping-Labors, Grigori Rodschenkow, für jeden Laien verständlich, wie umfassend, skrupellos und staatlich gelenkt Russland über Jahre Athleten gedopt und zudem Dopingtests manipuliert hat. "Wir schummeln auf höchstem Niveau. Will man uns darin schlagen, braucht man viel Erfahrung", sagt Rodschenkow in dem zweistündigen Film. Er ist inzwischen im Zeugenschutzprogramm der Vereinigten Staaten.

In schonungsloser Offenheit erfährt der Zuschauer, wie die Russen es schafften, als sicher gegen Manipulationen eingestufte Dopingproben heimlich zu öffnen, gegen vorher von Athleten eingesammeltes Urin auszutauschen und die belastenden Proben verschwinden zu lassen. Don Catlin, einer der Vorreiter des modernen Anti-Doping-Kampfes, kommt dann auch zur ernüchternden Feststellung, dass die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) nicht die Mittel besitze, um Dopingsünder zu enttarnen.

Es ist eine Erkenntnis, die jedes Aufkeimen von Hoffnung erschwert. Eine Erkenntnis, die Russland zwar eine nie dagewesene Dimension an staatlicher Organisation im sportlichen Betrug attestiert (1000 Athleten aus 30 Sportarten wurden im so genannten McLaren-Bericht genannt), die aber auch das Ausdauerläuferland Kenia oder die Sprinternation Jamaika mit ihrem de facto nicht vorhandenen Anti-Doping-Kampf in den Fokus rückt. Wer in diesen Tagen Leichtathletik in London guckt, für den muss der Zweifel mitlaufen, mitspringen, mitwerfen.

Am Montagabend gab es die erste WM-Medaille für die neutralen Athleten. Hürdensprinter Sergej Schubenkow gewann Silber. Teamchef Juri Borsakowski kalkuliert insgesamt mit sieben Mal Edelmetall. Hochspringerin Maria Lasitskene startet am Samstag als Favoritin auf die Goldmedaille in den Wettkampf. Sie wie ihre 18 neutralen Mitstreiter sind für die IAAF in diesen Tagen in jedem Fall personelle Pulverfässer. Denn würde in London einer von ihnen als gedopt erwischt, wäre es der GAU für die Leichtathletik.

Und der nächste GAU für die Glaubwürdigkeit des gesamten Sports.

(klü)
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