Hochsprung-Europameister Mateusz Przybylko Der Überflieger aus Leverkusen

Berlin · Hochsprung-Europameister Mateusz Przybylko vom TSV Bayer 04 erinnert in seiner Art an Lukas Podolski. Ein Familienmensch, stets gut gelaunt und immer den Schalk im Nacken.

 Hochsprung-Finale: Mateusz Przybylko aus Deutschland in Aktion.

Hochsprung-Finale: Mateusz Przybylko aus Deutschland in Aktion.

Foto: dpa/Bernd Thissen

Ansteckender kann Freude kaum ausfallen. Immer wieder, wenn die Gefühle ihn aufs Neue übermannten, hielt Mateusz Przybylko sich die Hände vor das Gesicht, um die Tränen zu stoppen. Seine Worte überschlugen sich, als er in brüchiger Tonlage über seine Sternstunde im Berliner Olympiastadion sprach. „Bis dato ist das der glücklichste Tag meines Sportlerlebens“, krächzte der Hochsprung-Europameister in der Nacht zu Sonntag. „Meine Stimme ist weg. Das liegt daran, dass ich vor lauter Begeisterung im Stadion nur noch geschrien habe. Dann erklärte der Leverkusener den Fans im Klub des Deutschen Leichtathletik-Verbandes am Breitscheidplatz auch gleich warum: „Ich weiß nicht, ob das noch zu schlagen ist: Bei der Heim-EM in Berlin vor 60.000 Zuschauern – und dann auch noch die Familie dabei.“

Bei den Przybylkos spielt der Sport die Hauptrolle. Die Familie ist das Ein und Alles des Europameisters, sein Rückhalt. Deshalb hat er auch „mi familia“ auf die Innenseite seines linken Oberarms tätowieren lassen. „Fast alle waren sie im Stadion“, sagte Przybylko, „nur mein Bruder Kacper nicht.“ Der zurzeit arbeitslose ehemalige Profi des 1. FC Köln und frühere U21-Nationalspieler Polens weilt auf der Suche nach einem neuen Verein zum Probetraining beim FC Sunderland auf der britischen Insel. Der andere Bruder, Jakub, der für Turu Düsseldorf in der Oberliga kickt, erlebte den Triumph des Bruders aus der Nähe der Hochsprunganlage auf einem Zuschauerplatz mit. Er saß neben Mutter Wioletta, ehemalige Leichtathletin, und Vater Mariusz, früher Fußballer.

Seinen Trainer Hansjörg Thomaskamp betrachtet Mateusz Pryzbylko auch als Familienmitglied: „Wir gehen durch dick und dünn. Er ist mein zweiter Papa geworden. Hansjörg gehört dazu.“ Der 60 Jahre alte sportliche Leiter der Leichtathletikabteilung im TSV Bayer 04 Leverkusen ist maßgeblich am kontinuierlichen Aufstieg des sechsmaligen deutschen Meisters beteiligt, hat ihn innerhalb von neun Jahren sportlich so weit gebracht, dass er in Berlin kühl bis ans Herz alle Höhen bis zum Siegsprung über 2,35 Meter im ersten Anlauf meisterte. Thomaskamp hat ihn eng auf seinem Weg zu „einem netten, charmanten Typ, der inzwischen Persönlichkeit entwickelt“ begleitet. So hat ihn seine Freundin kennengelernt auf der Leverkusener Trainingsanlage: Jenny Montag, eines der großen deutschen Sprinttalente, U20-Europameisterin von 2017 mit der deutschen 4x100-Meter-Staffel. Noch ein Familienmitglied.

European Championships 2018: Przybylko fliegt zu Hochsprung-Gold
18 Bilder

Przybylko fliegt zu Hochsprung-Gold

18 Bilder
Foto: dpa/Bernd Thissen

Przybylko wirkt stets gut gelaunt. Er ist eine Frohnatur, weshalb er irgendwie an Lukas Podolski erinnert. Dennoch war es nicht immer leicht für den Sohn polnischer Eltern, die in Ostwestfalen einst eine neue Heimat gefunden haben. Zuerst unterstützte ihn der jüngere Bruder: „Anfangs, als ich in Leverkusen gelebt habe, verdiente ich ja noch nichts. Also habe ich mit Kacper, der zu dieser Zeit beim FC spielte, in einer WG gewohnt. Er hat die komplette Miete bezahlt“, sagt Przybylko. Trainer Thomaskamp nennt das eine „familiäre Solidargemeinschaft auf nicht selbstverständlichem Niveau“.

Inzwischen hat sein Schützling das Fachabitur und träumt von einem Studium des Maschinenbaus oder der Fahrzeugtechnik. Als Bundeswehrangehöriger und dank der Unterstützung durch Sporthilfe und Verein verdiene er inzwischen „nicht schlecht, aber immer noch weniger als ein durchschnittlicher Drittliga-Fußballprofi, obwohl ich von der Leistung her Champions-League-Niveau habe“. Mit EM-Gold in der Vita hofft er nun auch auf Sponsoreninteresse.

Warum aber hat es der so bewegungstalentierte Junge mit der aufgrund seiner extrem hohen Anlaufgeschwindigkeit so spektakulären Sprungtechnik angesichts der hohen Verdienstmöglichkeiten nicht im Fußball probiert? Er erklärt das so: „Es geht ja nicht ums Geld, es geht darum, was einem Spaß macht.“ Als er im Jugendalter noch dem Ball nachjagte wie seine Brüder, „da war ich einer, der auf dem Feld geträumt hat.“

Mateusz Przybylko im Porträt
8 Bilder

Das ist Mateusz Przybylko

8 Bilder

Und warum Hochsprung? „Das Gefühl beim Absprung, das Fliegen hat mich fasziniert.“ Und es weckte seinen Ehrgeiz: „Mein erstes Ziel als Jugendlicher war, über meine Körpergröße zu springen“, erzählt der 1,95-Meter-Schlaks: „Dann über zwei Meter. Es gab immer neue Ziele: 2,10 - 2,20 - 2,30.“ Und jetzt der deutsche Rekord (2,37)?

Die 2,38 Meter lagen schon in Berlin auf, einmal versuchte er sich daran, musste aber erkennen: „Als klar war, dass ich Europameister bin, war die Luft raus. Aber der Rekord ist zum Greifen nah.“ Nach Einschätzung seines Trainers ist es „nur noch eine Frage der Zeit“, bis die Bestmarke des früheren Kölners Carlo Thränhardt aus dem Jahr 1984 fällt. Bis dahin will „Matti“ einfach nur fliegen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort