Henning Lambertz Vom Bundestrainer zum Bio-Lehrer

Wuppertal · Sechs Monate nach seinem Rücktritt als Schwimm-Bundestrainer geht Henning Lambertz voll in seinem neuen Job als Lehrer an einer Realschule in Wuppertal auf. So ganz kann er vom Profi-Sport aber dann doch nicht lassen.

 Henning Lambertz in der Wuppertaler Halle.

Henning Lambertz in der Wuppertaler Halle.

Foto: Maren Könemann

Er tauschte Olympia gegen Seepferdchen, Tokio gegen Wuppertal und Schwimmbecken gegen Klassenraum. Henning Lambertz, über Jahre derjenige, der das Sagen hatte, wenn es darum ging, deutsche Schwimmer für Olympische Spiele fit zu machen, hat einen Rollentausch vollzogen: Die Hauptdarsteller in seinem neuen Leben als Biologie- und Sportlehrer in Wuppertal sind jetzt Schüler der Friedrich-Bayer-Realschule, vor allem aber seine Frau, die ehemalige Wasserball-Nationalspielerin Nadine Kunz, sowie seine beiden Töchter.

„Ich war sehr, sehr viele Jahre sozusagen die Nummer eins in der Familie. Ich finde es irgendwie nur fair, sich jetzt auch mal zurückzunehmen und den Kindern und meiner Frau den Vortritt zu lassen“, sagt der 48-Jährige, als wir ihn im Foyer des Schwimmleistungszentrums in Wuppertal treffen. 1997 beginnt Lambertz seine Trainer-Karriere beim SV Bayer, 2008 wechselt er zur SG Essen, ist zu dem Zeitpunkt bereits seit acht Jahren Mitglied des olympischen Trainerstabs. 2013 wird Lambertz schließlich Cheftrainer beim Deutschen Schwimm-Verband (DSV). Sechs Jahre hat er diesen Job inne, bis er Ende 2018 überraschend die Reißleine zieht. Gründe seien neben dem Rücktritt der damaligen DSV-Präsidentin Gabi Dörries, zu der Lambertz ein vertrauensvolles Verhältnis hatte, vor allem unterschiedliche Handlungsansätze zur Zielerreichung zwischen ihm und dem neuen Sportdirektor Thomas Kurschilgen gewesen. „Der neue Sportdirektor hat andere Ideen und Strategien, als ich sie hatte, wie er mit dem Verband erfolgreich sein möchte“, sagte Lambertz damals dem „Deutschlandfunk“.

Doch der eigentliche Auslöser sei im Endeffekt seine zweijährige Tochter gewesen, erzählt Lambertz. Die wollte nicht so ganz akzeptieren, dass ihr Papa als Cheftrainer bis zu 200 Tage im Jahr unterwegs ist. „Nach einer Reise ins Vorbereitungscamp in Japan war ich für zehn Tage zu Hause, musste dann aber meine Koffer wieder für die Kurzbahn-WM in China packen. Die Kleine hat sich dann in den Koffer gesetzt, und alles, was ich in den Koffer gelegt habe, immer wieder rausgeschmissen.“ Dazu habe sie mit einem lauten „Papa nicht fahren!“ protestiert, sagt Lambertz. „Da habe ich mir gedacht: Was machst du hier eigentlich? Du setzt Kinder in die Welt und bist nicht da, um sie gemeinsam zu erziehen. So geht es nicht.“ Seither sind es die ganz alltäglichen, kleinen Dinge, die Lambertz in vollen Zügen genießt: frühstücken mit der ganzen Familie, einkaufen, die Kinder ins Bett bringen oder ihnen etwas vorlesen. „Ich habe am Anfang fünf bis sechs Bücher hintereinander vorgelesen, bis meine Frau irgendwann gesagt hat: Hör auf, sie muss ja auch irgendwann mal schlafen“, erzählt Lambertz und muss selbst dabei lachen.

Eine kurzzeitige Überforderung erfuhren wohl auch seine Schüler, die Lambertz seit Februar unterrichtet. „Profischwimmer kann man sehr leicht motivieren. Bei Schülern ist das nicht immer so. Das war tatsächlich am Anfang eine Herausforderung. Ich habe die Schüler manchmal echt überfordert, weil ich dachte: Das ist klar, das muss gehen, das klappt schon. Da musste ich echt mal lernen, kleinschrittiger zu arbeiten“, sagt Lambertz. Hilfreiche Tipps gäbe es dann aber oft von Kollegen und auch von seiner Frau, die nach ihrer Wasserball-Karriere ebenfalls an die Schule ging. Sie ist seit vier Jahren Lehrerin an der Grundschule direkt um die Ecke.

Trotz der hohen Anforderungen im Unterricht freuen sich die Schüler aber, von Lambertz unterrichtet zu werden. Schwimm- und Athletik AGs sind gut besucht, und zukünftig soll es sogar noch ein Schulmannschaftstraining nach amerikanischem Vorbild geben. Der Schulleiter hatte ihn als „Auszeichnung“ für seine Schule bezeichnet. Und auch auf dem Schulhof schleicht Lambertz’ Bekanntheitsgrad ihm oft wie ein ewiger Schatten hinterher.“

Doch auch wenn Lambertz in seinem Lehrerdasein Erfüllung findet – vom Profisport kann er dann doch nicht ganz lassen. „Dafür ist meine Leidenschaft einfach zu groß“, gibt er zu. Neben dem Lehrerjob und der zusätzlichen Ausbildung, die er als Quereinsteiger absolvieren muss, trainiert Lambertz weiterhin den dreimaligen Weltmeister Marco Koch sowie die Staffel-Europameisterin Reva Foos. Dass er irgendwann einmal wieder ganz zurückkehrt, könne er sich aber auch vorstellen. „Ich werde meine Ohren und Augen immer offenhalten und werde da nie ganz rausgehen.“

Dem deutschen Schwimmsport – der nun ohne Cheftrainer und stattdessen mit einem laut DSV „kompetenten Trainerteam“ dasteht – wünscht Lambertz jetzt erst einmal Ruhe und Geduld. Nach zwei medaillenlosen Olympischen Spielen und der schlechtesten WM-Bilanz der Geschichte hatte es mit der dann doch recht erfolgreichen Europameisterschaft in Glasgow im Herbst 2018 einen kleinen Hoffnungsschimmer gegeben: Acht Medaillen brachten die deutschen Schwimmer mit nach Hause, darunter zwei Mal Gold. Doch der große Erfolg braucht noch mehr Zeit, findet Lambertz. „Man müsste einem neuen Trainer mal zwei Olympiaden Zeit geben, um Dinge erstmal zu erkennen, die richtigen Schritte einzuleiten und dann auch zu überprüfen, ob diese Schritte funktioniert haben. Ein ständiger Wechsel nach vier bis sechs Jahren in der Führungsspitze wird uns nicht weiterbringen.“

Zudem gebe es derzeit viele „Insellösungen“ zwischen Trainern und Athleten – die konkurrenzfähigsten Schwimmer würden also mit ihren eigenen Trainern sehr individuell und nach eigenen Vorstellungen zusammenarbeiten. „Das funktioniert, darf aber niemals ein klar organisiertes und strukturiertes System ersetzen, niemals kann so eine gesunde und langfristig erfolgreiche Schwimmergesellschaft entstehen. Insellösungen sollten nicht die Grundidee eines Cheftrainers sein.“ Lambertz sagt, er sei jetzt erst einmal gespannt auf die Ideen und Strategien seiner Nachfolger. „Im Moment ist es ein wenig so: Jeder darf machen, was er will. Das ist mir persönlich zu wenig, denn das haben wir bereits in der Vergangenheit gelebt, ohne Erfolg.“

In seinem jetzigen Job träumt Lambertz davon, an der Basis etwas bewirken zu können: Er will an Lehrplänen mitgestalten und eine Art Rahmentrainingsplan für Lehrer ermöglichen. „Dass man nicht nur die Schüler einer Schule erreicht, sondern eben Schüler aus ganz NRW“, sei sein langfristiges Ziel. Die Dynamik, die derzeit in diesem Bereich in der Politik herrsche, wolle er ausnutzen. Lambertz bleibt eben ein Macher – egal, ob es nun um Olympia geht oder ums Seepferdchen.

(mkoe)
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