Schiedsrichter, Nettospielzeit, Fair Play Wo der Handball wirklich ein Vorbild sein kann

Analyse | Düsseldorf · Die Weltmeisterschaft der Handballer ist immer wieder die große Zeit der Mahnungen, was der Fußball mit all seinen Auswüchsen von dieser Sportart lernen könnte. Doch kann er das tatsächlich? Wir zeigen, wo die Handball als Lehrmeister dienen kann und wo nicht.

Foto: istock

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Die Handball-WM in Polen und Schweden ist in vollem Gange. Es ist traditionell die Zeit, in der viele den Handball mit dem Fußball vergleichen. „Was der Fußball vom Handball lernen kann“ – den Spruch können die Fußballer nicht mehr hören. Das ändert jedoch nichts daran, dass er für manche seiner Probleme durchaus Lösungen finden kann, wenn er beim Handball genauer hinschaut. Aber eben auch nicht für alle. Wir haben die gängigsten Punkte einmal unter die Lupe genommen.

Größere Autorität der Schiedsrichter Was der Schiedsrichter sagt, ist Gesetz. Das gilt im Handball. Im Fußball wahrlich nicht immer. Auch im Handball gibt es strittige Entscheidungen, doch wird der Schiedsrichter selten so belagert, wie es im Fußball der Fall ist. Dort muss sich der Schiedsrichter oft genug sowohl vor Spielern als auch vor Trainern oder Verantwortlichen rechtfertigen. Im Handball erfahren die Unparteiischen mehr Akzeptanz – allein dadurch, dass sie zu heftiges Reklamieren rigoros mit Zwei-Minuten-Strafen ahnden. Eine solche Sanktion fürs Meckern könnte auch im Fußball wirksam sein.

Keine Schwalben Im Fußball sind sie zuletzt seltener geworden, die Versuche, einen Elfmeter oder Freistoß durch ein vorgetäuschtes Foul zu schinden. Im Handball gibt es sie erst gar nicht. Vor allem auch, weil der Handball selbst es regelt, dass solch ein unfaires Verhalten unter den Profis generell als verpönt gilt. Diese Selbstreinigung könnte auch der Fußball hinbekommen.

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Mehr Fair Play Fair Play spielt im Handball eine zentrale Rolle. Durch die eingeschränkten Möglichkeiten zum Zeitspiel, die angesprochene Autorität der Schiedsrichter und die grundsätzlich härtere Gangart im Handball gehen die Spieler häufig fairer miteinander um. Rudelbildungen und Tätlichkeiten wie im Fußball sind im Handball kaum zu sehen. Und witrklich niemand vermisst sie.

Bessere Rückwärtsbewegung der Spieler Im Fußball sind die Positionen klar. Es gibt die, deren Aufgabe es ist, Tore zu erzielen, und es gibt die, die dafür zuständig sind, Tore zu verhindern. Anders beim Handball. Jeder Spieler muss sowohl Tore erzielen als auch das eigene Tor verteidigen. Das hat zur Folge, dass schnelles Umschalten und gute Rückwärtsbewegung jedes Einzelnen essentiell sind für den Erfolg einer Mannschaft. Soweit, so richtig. Aber unter dem Strich verhindern Hallengröße und Fußballfeld-Dimensionen, dass sich hier ein respektabler Vergleich anstellen lässt.

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Oft mehr los in 60 Handball-Minuten als in 90 Fußball-Minuten Kleineres Feld, höhere Geschwindigkeit, ein Spiel, das stetig hin und her geht – das ist Handball. Nach einem Torerfolg bleibt keine Zeit, um groß zu jubeln, da der Gegner über die „schnelle Mitte“ direkt wieder einwerfen kann, ohne das alle Spieler zurück in der eigenen Hälfte sind. Weil der Schiedsrichter auf Zeitspiel entscheiden darf, wenn er keinen Drang zum Tor erkennt, ist auch das in Führung liegende Team dazu verpflichtet, auf den Torerfolg zu gehen, was ebenfalls dafür sorgt, dass das Spiel sehr kurzweilig bleibt.

Größere Nettospielzeit Ein großer Kritikpunkt am Fußball ist die Nettospielzeit, die oftmals sehr weit von den vorgegeben 90 Minuten abweicht. Diese liegt im Durchschnitt im Fußball bei 55 Minuten. Das entspricht 61,3 Prozent. Im Handball wird die Spielzeit bei Unterbrechungen wie Fouls oder dem Aufwischen von Schweiß angehalten, wodurch nicht nur die Nettospielzeit wesentlich höher ist, sondern auch die Möglichkeiten zum Zeitspiel sehr stark eingeschränkt werden.

Die durchschnittliche Spielzeit liegt bei 48 Minuten, umgerechnet 80 Prozent. Da müsste man aber fragen: Warum liegt sie nicht noch höher? Bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Katar wurde versucht, diesen Punkt mit überlangen Nachspielzeiten zu kompensieren.

Keine Ausschreitungen auf den Rängen Ein weiteres Problem im Fußball ist Fan-Gewalt. Immer wieder gibt es Bilder, auf denen verfeindete Fanlager aufeinander losgehen. Das ist eine Problematik, die im Handball quasi keine Rolle spielt, obwohl es auch dort brisante Derbys und brisante Länderspiele gibt. Auch hier fällt der Vergleich schwer, die Altersstruktur der Zuschauer ist eine andere, die schiere Masse beim Fußball ungleich größer.

Näher am Team in den Auszeiten Im Handball ist es üblich, dass in den Auszeiten der TV-Zuschauer die Möglichkeit hat, mitzuhören, was besprochen wird. So bekommt der Fan das Gefühl, Teil des Mannschaftskreises zu sein. Er kann hören, wie der Trainer taktisch umstellt oder seine Spieler motiviert. Auszeiten sind auch immer wieder ein Thema im Fußball, bei großer Hitze gibt es schon Trinkpausen. Aber auch für Sponsoren wären vermarktbare Unterbrechungen natürlich interessant.

Oft spannender, mehr Führungswechsel Da im Handball viele Tore fallen, wechseln die Führungen naturgemäß oft. Fünf-Tore-Führungen sind kein Ruhepolster – vor allem nie für eine deutsche Nationalmannschaft bei einem großen Turnier. Somit ist die Spannung meist bis in die letzte Sekunde gegeben. Aber ist der Sport, sind die Ligen dadurch spannender? Erst einmal ist es quasi sinnlos, eine Sportart mit drei Toren pro Spiel mit einer mit 60 Toren zu vergleichen. Hinzu kommt: Im Handball sind Überraschungen viel seltener auf hohem Niveau, da gibt es deutlich mehr Bayern gegen Bochum als in der Bundesliga.

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VAR-Überprüfung geht schneller Im Handball schauen sich beide Schiedsrichter, die das Spiel vor Ort leiten, die strittigen Szenen auf einem Bildschirm am Spielfeldrand an. Da die Situationen im Handball oft klarer sind und dadurch weniger Interpretationsspielraum für den Schiedsrichter besteht, gehen Überprüfungen durch den Videoassistenten oft schneller. War der Ball über der Linie? Wurde ein schweres Foul übersehen? Bei solchen Fragen überprüfen die Unparteiischen in der Halle alleine, ob sie nochmal draufschauen.

Dazu sehen die Zuschauer in der Halle, was überprüft wird, wodurch die Entscheidungen für die Zuschauer vor Ort nachvollziehbarer werden – ein Punkt, der im Fußball oft kritisiert wird.

Handballer sind nur halbe Halbgötter Wenn man einen kleinen Jungen fragt, wer sein Vorbild ist, werden die wenigsten einen Profi-Handballer nennen. Da der Handball in Deutschland nicht diese Strahlkraft besitzt, die der Fußball zu bieten hat, werden die Spieler in der Öffentlichkeit einfach auch anders gesehen. Das kann zur Folge haben, dass Handballer oft genug bodenständig bleiben. Es fließen eben nicht die Riesengehälter wie im Fußball. Das erdet ungemein.

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