Handball-WM Mit der Wildcard ins Finale — Norwegen fordert Frankreich

Paris/Köln · Norwegen hat als erstes Wildcard-Team bei einer Handball-Weltmeisterschaft das Finale erreicht. Dort spielen die Skandinavier am Sonntag gegen Frankreichs "Goldene Generation" um den Titel.

Handball-WM: Norwegen besiegt Kroatien mit 28:25 nach Verlängerung
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Norwegen besiegt Kroatien mit 28:25 nach Verlängerung

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Foto: afp

Christian Berge sprang nach dem Finaleinzug neunmal knapp unter das Dach des Pariser Palais Omnisports und versank anschließend zwischen seinen Spielern im Freundentaumel. Unter der Führung des 43-Jährigen greift die norwegische Handball-Nationalmannschaft zum ersten Mal nach dem WM-Titel. Rechnen konnte damit niemand: Nur durch eine Wildcard waren die Skandinavier überhaupt dabei und fordern am Sonntag (17.30 Uhr/Live-Ticker) im Endspiel den scheinbar übermächtigen Gastgeber Frankreich.

"Ich bin so stolz auf meine Spieler. Wir haben das ganze Spiel daran geglaubt, dass wir es schaffen können. Das war der Schlüssel", sagte Berge nach dem Halbfinal-Krimi gegen Kroatien (28:25 nach Verlängerung). Der Erfolg gegen den Favoriten vom Balkan war Berges bisheriges Meisterstück.

Norwegens bestes WM-Resultat datierte bis dato mit Platz sechs aus dem Jahre 1958. 59 Jahre später ist der Titel zum Greifen nah. "Das ist mein größter Traum, dies mit der Nationalmannschaft zu erleben", sagte Kapitän Bjarne Myrhol dem dänischen TV-Sender TV2 weinend nach dem gewonnenen Halbfinale.

Dabei war Norwegen sportlich nicht einmal für das Turnier qualifiziert gewesen. Wie die deutsche Mannschaft im Jahre 2015 erhielten die Skandinavier vor dem Turnier vom Weltverband IHF eine Wildcard. Zuvor waren sie in der Qualifikation an Slowenien gescheitert. Nun spielen sie um den WM-Titel.

Berges Mannschaft trifft zum krönenden Abschluss nicht nur auf Titelverteidiger und Top-Favorit Frankreich, sondern hat auch den Großteil der mehr als 15.000 frenetischen Zuschauer gegen sich. "Es ist wirklich etwas Außergewöhnliches, die WM in Frankreich zu spielen", sagte der französische Star-Rechtsaußen Luc Abalo.

Im eigenen Wohnzimmer soll gegen den norwegischen Underdog der sechste WM-Titel her. "Wir bringen 200 Prozent auf dem Spielfeld, um etwas zurückzugeben", sagte Superstar Nikola Karabatic. Der Titelgewinn wäre für "Les Experts", wie die französische Nationalmannschaft genannt wird, ein ganz besonderer: Der goldene Schlusspunkt einer Generation von Ausnahmenkönnern, zu denen auch die früheren Bundesliga-Spieler Thierry Omeyer und Daniel Narcisse gehören.

Mit dem Turnier endet für Frankreich eine Ära

Mit dem Ende des Heim-Turniers wird mit einer Flut von Rücktritten gerechnet, viele Stars der Franzosen sind in die Jahre gekommen. Keeper Omeyer, der seit mehr als 17 Jahren das französische Tor hütet und auch bei der WM starke Leistungen zeigte, zählt inzwischen 40 Lenze. Für den langjährigen Kieler geht es um den fünften Triumph bei Weltmeisterschaften - noch nie hat er ein WM-Finale verloren.

Rückraumspieler Narcisse ist 37 Jahre alt, auch Karabatic (32) hat wie Abalo (32) und Michael Guigou (34) die 30 längst überschritten. Mit all diesen Ausnahmekönnern dominiert Frankreich seit vielen Jahren das Geschehen im Welthandball, 26 Goldmedaillen sind im aktuellen Kader vereint.

Einen goldenen Abschied der französischen Altstars wollen Berges Norweger verhindern. Auch, da sich der Coach selbst in Zukunft neuen Aufgaben zuwenden könnte. Bundesliga-Spitzenreiter SG Flensburg-Handewitt bekundete bereits sein Interesse. Gespräche sollen nach der WM folgen. Als Weltmeister-Trainer hätte Berge eine gute Verhandlungsgrundlage.

(sid)
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