Urlaub statt Handball-WM Aussortierter Reichmann stichelt gegen Bundestrainer

Berlin · Tobias Reichmann ist kurz vor der Heim-WM aus dem deutschen Kader aussortiert worden. Der Rechtsaußen schiebt offenbar weiter Frust. Mit einer Spitze gegen den Bundestrainer verabschiedet sich der 30-Jährige in den Kurzurlaub.

Handball-WM 2019: Aussortierter Tobias  Reichmann sorgt für Wirbel
Foto: dpa/Axel Heimken

Den ganzen Wirbel bekam Tobias Reichmann schon gar nicht mehr mit. Der aussortierte Europameister war längst im sonnigen Florida gelandet, als sein spontaner Urlaubstrip, garniert mit einem vielsagenden Abschiedsgruß, in der Heimat hohe Wellen schlug. Urlaub in Orlando statt Handball in Berlin: Der Reichmann-Ärger platzte mitten in die WM-Euphorie und traf den Verband kurz vor dem Eröffnungsspiel gegen Korea zur Unzeit.

"Ich bin dann mal weg. Wieso, weiß ich gar nicht genau...Ahhh, doch...Spontanurlaub", schrieb der Rechtsaußen von Bundesligist MT Melsungen auf Instagram und postete ein Bild von sich am Flughafen, versehen mit dem Hashtag "sorrynotsorry". Ein weiteres Selfie vor seinem Abflug, über das auch das ARD-Morgenmagazin berichtete, kommentierte Reichmann mit der Botschaft "Tschausen ihr Banausen".

Es war die erste öffentliche Reaktion von Reichmann auf seine überraschende Aussortierung durch Bundestrainer Christian Prokop am vergangenen Sonntag. Am Donnerstag legte der 30-Jährige, der für die WM noch auf Abruf steht, mit einem Foto vom nächtlichen Orlando sogar noch einmal nach: "Berlin äähhh Orlando by night", schrieb er.

Beim Deutschen Handballbund (DHB) herrschte am Donnerstag helle Aufregung. Hinter den Kulissen wurde heiß diskutiert, wie mit dem offensichtlichen Affront umzugehen ist. Doch um die wochenlang entfachte Euphorie rund um den WM-Start nicht zu gefährden, verzichteten Prokop und die Verbandsspitze zunächst auf Konsequenzen. Zumal Reichmann die einzige personelle Alternative zu Rechtsaußen Patrick Groetzki darstellt.

"Wir konzentrieren uns ausschließlich auf die Spieler, die da sind. Sie haben unser vollstes Vertrauen", sagte DHB-Vizepräsident Bob Hanning dem SID zerknirscht. Sollte Groetzki verletzungsfrei bleiben, dürfte eine Rückkehr Reichmanns ins Team damit ausgeschlossen sein.

Bei Weltmeister-Trainer Heiner Brand hätte Reichmann wohl keine Chance mehr gehabt. "Die Spieler, die unter mir gespielt haben, die wissen, wie ich reagiert hätte", sagte Brand auf SID-Nachfrage. Über eine WM-Nachnominierung von Reichmann müsse Bundestrainer Prokop entscheiden, "aber ich kann mir vorstellen, dass sich das Thema damit erledigt hat."

Axel Geerken, Vorstandschef von MT Melsungen, erklärte, dass der fünftägige Urlaubstrip mit dem Verein abgesprochen sei. "Ich persönlich hätte in seiner Position aber ein anderes Urlaubsziel gewählt", sagte Geerken. Alle könnten "nachvollziehen, dass Tobias sehr enttäuscht ist, aber es war die Entscheidung des Bundestrainers, die es zu respektieren gilt." Ex-Welthandballer Daniel Stephan kommentierte süffisant: "Florida ist doch ein schönes Reiseziel. Und das Wetter ist auch besser."

Hanning gab sich derweil alle Mühe, den Schaden in Grenzen zu halten und betrieb Krisenkommunikation. "Tobi wollte einmal ganz raus und abschalten. Die Enttäuschung bei ihm ist riesengroß", sagte Hanning. Reichmann könne bei Bedarf schnell wieder beim Team sein. Mit dann aber rund zwölf Stunden Flug in den Knochen würde ein Einsatz nur wenig Sinn machen.

Coach Prokop, der am Sonntag betont hatte, wie wichtig es sei, dass Reichmann "im Sinne bei dieser Mannschaft bleibt", kann im Turnierverlauf bis zu drei Wechsel im WM-Kader vornehmen. Dafür stehen zwölf Spieler aus dem erweiterten Kader zur Verfügung - zu ihnen zählt auch Reichmann.

Torwart-Ikone Andreas Thiel nahm Reichmann in Schutz. "Ich kann verstehen, wenn sich ein Spieler, der sich bei der EM durch eine große Stressresistenz ausgezeichnet hat, nach einer Entscheidung, die durchaus diskussionswürdig ist, eine Auszeit gönnt", sagte Thiel dem SID.

Der Frust bei Reichmann ist durchaus nachvollziehbar, seine Art der Kritik nicht. Der sprunggewaltige Flügelspieler war beim sensationellen Titelgewinn bei der EM 2016 bester deutscher Torschütze und landete mit 46 Treffern aus acht Spielen auf Rang zwei für das Turnier. Zudem wurde er ins All-Star-Team der EM gewählt.

"Überraschen tut einen zwar nichts mehr, aber damit habe ich nicht gerechnet. Das hatte sich nicht angedeutet", sagte Groetzki über die Entscheidung gegen Reichmann.

(sid/old)
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