Kritik vom Schiedsrichter-Chef "Bei den Regelakrobaten geht es manchmal daneben"

Bei der Handball-WM in Katar ist selbst der oberste Schiedsrichter-Chef mit den Leistungen der Referees nicht zufrieden. Manfred Prause beklagt ein Leistungsgefälle.

DHB-Torwart Silvio Heinevetter war mit der Leistung der Schiedsrichter im WM-Viertelfinale nicht besonders glücklich.

DHB-Torwart Silvio Heinevetter war mit der Leistung der Schiedsrichter im WM-Viertelfinale nicht besonders glücklich.

Foto: dpa, ahe nic

Michael Kraus hatte einen Tag nach der schmerzlichen Niederlage im WM-Viertelfinale gegen Gastgeber Katar ein sonderbares Erlebnis. Als der Spielmacher der deutschen Handballer mit seiner Frau Isabel mit dem Taxi durch Doha fuhr, sprach ihn der Fahrer aus Kenia an. "Er hat gefragt, ob wir aus Deutschland kommen. Und dann meinte er: 'Ah ja, Viertelfinale gegen Katar. Sag' nichts. Ihr habt verloren und die Schiedsrichter waren nicht auf eurer Seite. Das weiß jeder hier in Katar'", berichtete Kraus am Donnerstag über das Gespräch.

Glaubt man Manfred Prause, dem Schiedsrichter-Chef des Handball-Weltverbandes IHF, sei eine Einflussnahme von Außen auf die Referees nicht möglich. "Es weiß bis früh um 10.00 Uhr am Spieltag niemand außer mir, wer welches Spiel pfeift", sagte der Offenburger. Da beeinflusse ihn nicht einmal der Weltverbands-Präsident Hassan Moustafa. "Auch er würde mir da nicht reinreden. Er hat Vertrauen zu mir."

Doch der 75-Jährige, der als aktiver Unparteiischer 1988 in Seoul mit seinem Partner Erhard Hofmann das Olympia-Finale der Männer geleitet hatte, kam nicht umhin, seine Spielleiter in Doha zu kritisieren. "Was natürlich ein Problem ist und immer sein wird: Wir haben - auch wenn wir 18 Top-Schiedsrichter haben - ein Leistungsgefälle", gab er zu. "Wir haben Schiedsrichter, die mit viel Handballverstand, das, was wir in Minikursen schulen, umsetzen können. Und dann gibt es die sogenannten Regelakrobaten, die versuchen dann, das wortwörtlich umzusetzen, was wir schulen. Und das geht dann manchmal eben daneben."

Nach dem Achtelfinale waren bereits acht Schiedsrichter-Paare nach Hause geschickt worden. Darunter waren laut Prause auch jene, die bei der Regelauslegung über das Ziel hinausgeschossen waren.

Nachdem er 2010 den Vorsitz der Schiedsrichter- und Regelkommission übernommen hatte, wurden die Regeln verschärft. Zum Schutz der Gesundheit der Spieler sollte langes Halten oder Stoßen im Sprung strenger bestraft werden. "Leider haben unsere Schiedsrichter das bis 2014 nicht umgesetzt", monierte Prause. Daher sei nach einer Umfrage unter Trainern beschlossen worden, bei der WM in Katar konsequenter als bisher gegen Fouls und Vergehen vorzugehen.

Mit teils unerfreulichen Folgen, wie Prause konstatierte. "Die Bestrafung bei Vergehen auf den Außenpositionen wird übertrieben angewendet", sagte er. Auch unter den Mannschaften flammte Kritik an den Leistungen der Schiedsrichter auf. Trotz aller Selbstkritik über vergebene Chancen auch im deutschen Team nach dem 24:26 gegen Katar. "Wir haben es trotz Diskussionen geschafft, noch recht ruhigzubleiben", sagte Rechtsaußen Patrick Groetzki. Und Bundestrainer Dagur Sigurdsson meinte zum mazedonischen Gespann Gjorgji Nachevski und Slave Nikolov: "Das ist wie ein schweres Auswärtsspiel und nicht leicht zu pfeifen."

Die Reaktionen zum Viertelfinal-Aus gegen Katar
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Prause sucht nun für die Zukunft Unparteiische, die die Vorgaben nicht nur konsequent, sondern auch gekonnt umsetzen. "Es reicht nicht, das Regelwerk zu beherrschen. Man muss das Spiel auch lesen können. Zu einem Spitzenschiedsrichter gehört Talent", sagte der Offenburger. Als Unterstützung für die Paare diskutiert die IHF derzeit, künftig einen dritten Schiedsrichter einzusetzen.

(dpa)
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