Handball-EM Deutschland steht nach Krimi im Finale — Norwegen legt Protest ein

Krakau · Der Traum vom EM-Titel lebt weiter: In einem wahren Handball-Krimi besiegt die deutsche Nationalmannschaft das Team aus Norwegen mit 34:33 (27:27, 14:13) n.V. und steht im Endspiel.

Handball-EM: So bejubelt das DHB-Team den Sieg über Norwegen
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So bejubelt das DHB-Team den Sieg über Norwegen

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Nach Kai Häfners Wurf ins Glück brachen bei den deutschen Handballern alle Dämme: Die Spieler sprangen völlig losgelöst durch die Halle und herzten immer wieder den Matchwinner, Bundestrainer Dagur Sigurdsson fiel Vizepräsident Bob Hanning überglücklich um den Hals. Nach dem 34:33 (27:27, 14:13)-Erfolg nach Verlängerung in einem dramatischen Halbfinal-Krimi gegen Norwegen greift der jüngste aller EM-Teilnehmer nun nach den Sternen. Der nachnominierte Häfner erzielte fünf Sekunden vor dem Ende den entscheidenden Treffer.

"Wir haben versucht, die Zeit runterzuspielen. Irgendwie hatte ich zuletzt den Ball und ich habe nur versucht, ihn reinzumachen", beschrieb Häfner die entscheidende Szene im ZDF. Norwegen legte gegen die Wertung des Spiels allerdings Protest ein. Das bestätigte JJ Rowland, Mediendirektor der Europäischen Handball-Föderation (EHF), dem Sport-Informations-Dienst (SID).

Nach Ansicht der norwegischen Offiziellen soll Deutschland in den letzten Sekunden einen zusätzlichen Spieler in einem gelben Leibchen auf das Feld geschickt haben, obwohl Torhüter Andreas Wolff seinen Kasten nicht verlassen hatte. "Wir sehen der Verhandlung gelassen entgegen und freuen uns auf das Finale", sagte Hanning. Bis 9 Uhr am Samstagmorgen muss Norwegen den Protest schriftlich begründen, bis 12 Uhr wird eine Entscheidung verkündet.

Für DHB-Schiedsrichterwart Peter Rauchfuß ist der Sachverhalt ein Novum. "Ich habe so etwas noch nicht erlebt, es gibt keinen vergleichbaren Fall. Da ich nicht vor Ort war, kann ich den Sachverhalt nicht bewerten. Die EHF wird die richtige Entscheidung treffen. Die Gelassenheit beim DHB kann ich nachvollziehen, alle Konzentration der deutschen Mannschaft sollte jetzt dem Finale gelten - unabhängig vom laufenden Protest", sagte Rauchfuß dem SID.

Sollte die EHF den Protest zurückweisen, könnte die Auswahl des Deutschen Handballbundes (DHB) mit einem weiteren Erfolg am Sonntag (17.30 Uhr/Live-Ticker) gegen Spanien ihr polnisches Wintermärchen vergolden. Dabei geht es um den ersten großen Titel seit dem WM-Sieg 2007 im eigenen Land und die direkte Qualifikation für die Olympischen Spiele in Rio. Die Iberer gewannen das zweite Halbfinale gegen Kroatien mit 33:29 (18:14). Zum Turnierstart hatte Deutschland gegen Spanien mit 29:32 verloren.

"Das war ein Krimi. Das war Wahnsinn. Da war alles dabei. Wir sind an unsere Grenze gegangen", sagte Sigurdsson. Seine Spieler sind jetzt vom ganz großen Wurf überzeugt. "Jeder hier will Europameister werden, jeder glaubt an sich. Egal, wer der Gegner ist. Wir gewinnen sowieso", sagte Torhüter Andreas Wolff und drückte damit das große Selbstvertrauen des Teams nach dem sechsten Sieg in Serie aus.

Bester Werfer der mit insgesamt 16 EM-Debütanten angetretenen DHB-Auswahl im Halbfinale der Überraschungsteams war der überragende Rechtsaußen Tobias Reichmann mit zehn Toren. Durch den Finaleinzug hat das deutsche Team bereits die Teilnahme an der WM 2017 in Frankreich sicher, jetzt soll der zweite EM-Titel nach 2004 folgen.

"Beide Mannschaften sind sich sehr ähnlich. Sie sind jung und hungrig", sagte Sigurdsson vor der Begegnung in der Tauron Arena, für die zahlreiche deutsche Sportgrößen wie Fußball-Weltmeister Philipp Lahm, Australian-Open-Finalistin Angelique Kerber und Skirennläufer Felix Neureuther in Videobotschaften viel Glück gewünscht hatten.

Vor 7500 Zuschauern entwickelte sich von Beginn an das erwartete Duell auf Augenhöhe. Die deutsche Deckung war für den im Turnierverlauf bisher so starken norwegischen Rückraum eine nur schwer zu überwindende Wand, dahinter zeigte Wolff anfangs erneut eine gute Leistung.

Die Stimmen zum Halbfinal-Sieg gegen Norwegen
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So setzte sich der WM-Siebte nach einem 5:5 (11. Minute) auf 9:5 (16.) ab. Nach Reichmanns Treffer zur ersten Vier-Tore-Führung hielt es auch Andreas Michelmann nicht mehr auf seinem Sitz. Der Verbandspräsident jubelte ausgelassen neben dem DOSB-Vorstandsvorsitzenden Michael Vesper.

Im Angriff tat sich die DHB-Auswahl aber in der Folge schwerer. Youngster Rune Dahmke ließ einige Chancen ungenutzt, im Rückraum kam der bisher so starke Steffen Fäth nicht richtig ins Spiel und erzielte gegen den sehr starken norwegischen Torhüter Ole Erevik in der ersten Halbzeit bei fünf Versuchen nur einen Treffer. Norwegen, das im Turnierverlauf Titelverteidiger Frankreich, Gastgeber Polen und Kroatien geschlagen hatte, glich zum 12:12 (26.) aus. "Wir müssen mehr Pässe spielen und das Spiel breiter machen", forderte Sigurdsson in der folgenden Auszeit. Die Spieler befolgten die Anweisung des Isländers und gingen mit einem knappen Vorsprung in die Pause.

Das deutsche Team hatte gegen die mit vier Bundesliga-Legionären angetretenen Norweger auch im zweiten Durchgang im Angriff Probleme, die Lockerheit der vergangenen glanzvollen Auftritte fehlte. Einige technische Fehler ermöglichten dem Team des ehemaligen Flensburgers Christian Berge zudem einige leichte Tore bei Tempogegenstößen.

Doch mit großem Kampfgeist und einem unbändigen Siegeswillen hielt die DHB-Auswahl die Partie auch nach dem 17:19 (39.) offen, die Spannung steigerte sich von Minute zu Minute. Nach der 20:19-Führung (44.) durch den sechsten verwandelten Siebenmeter von Reichmann ballte Sigurdsson an der Seitenlinie die Faust.

In der packenden Schlussphase übernahm der nachnominierte Gummersbacher Julius Kühn Verantwortung und glich mit seinem vierten Tor beim vierten Versuch zum 22:22 (49.) aus. Nach dem 23:25 (52.) schwor Sigurdsson seine Rasselbande noch einmal auf die entscheidende Phase ein und mahnte zur Ruhe. Zunächst mit Erfolg: Kühn glich zum 26:26 (55.) aus. Doch die Norweger legten wieder vor. 19 Sekunden vor dem Ende rettete der Kieler Dahmke seine Mannschaft in die Verlängerung.

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Der Hannoveraner Häfner sorgte dort mit zwei Toren in Folge für die erste deutsche Führung (30:29/64.) seit der 47. Minute. Es blieb dramatisch. Bis Häfner fünf Sekunden vor dem Ende für die Entscheidung sorgte.

"Beeindruckend, wie er in dieses Turnier gekommen ist. Es ist ein Vorteil, frische Beine zu haben in Eins-gegen-Eins-Situationen. Da ist er sehr gefährlich und hat einen starken Wurf", sagte Sigurdsson.

(areh/sid)
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