DHB-Vorstandsvorsitzender Mark Schober „Lieber die Heizung aus, als aus der Halle raus“

Interview | Düsseldorf · Der deutsche Handball steht vor großeren Herausforderungen – nicht nur mit Blick auf die Heim-EM 2024 und andere großer Turniere. Der Vorstandsvorsitzende des Deutschen Handball-Bundes spricht über die Herausforderung, Nachwuchs zu gewinnen, die Aufgaben der Vereine in der Energiekrise und neue Konzepte des Verbandes.

 Mark Schober, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Handball-Bundes.

Mark Schober, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Handball-Bundes.

Foto: imago images/wolf-sportfoto/Marco Wolf via www.imago-images.de

Herr Schober, Sie sind Vorstand des Deutschen Handballbundes. Da warten in den kommenden Monaten und Jahren viele große Ereignisse auf Sie und Ihre Kollegen. Was sind gerade Ihre größten Aufgaben?

Mark Schober Glücklicherweise ist es uns gelungen, dass wir das „Jahrzehnt des Handballs“ ausrufen können, weil wir die Zuschläge für viele internationale Veranstaltungen bekommen haben, die wir wie an einer Perlenkette aneinanderreihen. Nächstes Jahr die U21-WM, dann die Europameisterschaft der Männer 2024, die WM der Frauen 2025 zusammen mit den Niederlanden, und 2027 machen wir die Männer WM. Und das ist noch nicht alles: Es kann sein, dass es in den folgenden Jahren noch weitere große Veranstaltungen gibt. Diese internationalen Veranstaltungen sind sozusagen die Leitschnur unseres Arbeitens. Wir führen in dieser Zeit nicht nur große Veranstaltungen zum Selbstzweck durch, sondern wir wollen unsere Sportart relevanter machen. Wir entwickeln den Handballsport.

Wie helfen die Handball-Events konkret dabei?

Schober Sie dienen unmittelbar dazu, Mitglieder zu gewinnen, Mädchen und Jungs als Handballerinnen und Handballer, aber auch als Fans. Wenn wir sportlich erfolgreich sind und solche Veranstaltungen zudem zu Hause durchführen, ist die Wahrscheinlichkeit wesentlich größer, dass uns das auch gelingt. Das können wir auch mit Zahlen rund um die Titelgewinne 2007 und 2016 belegen. Es kommt ja immer die Nachfrage, ob so eine Sportveranstaltung sozial nachhaltig ist. Ja, sie ist es. Wir gewinnen damit nachweislich Menschen, die sich für unseren Sport interessieren. Daher geht es auch darum, uns parallel so aufzustellen, dass Verbände und Vereine auch in der Lage sind, den Impuls zu nutzen und zum Beispiel neue Kinder aufzunehmen.

Abgesehen von neuen Mitgliedern, was erhoffen Sie sich noch von EM und WM im eigenen Land?

Schober Solche Heimturniere haben auch Einfluss auf wirtschaftliche Faktoren. Das heißt, dass nach erfolgreichen Sportgroßveranstaltungen Fernsehgelder und Einnahmen bei Sponsoringrechten steigen können - ob nun beim Deutschen Handballbund, der Liga, den Bundesligisten oder auch Drittligisten und den Vereinen an der Basis. Dafür können die internationalen Veranstaltungen Motoren sein.

Sie haben es schon angesprochen: Man muss den Nachwuchs auch im Sport halten und ihn auch abseits der Turniere begeistern. Wie kann das gelingen?

Schober Es bleibt eine Herausforderung. Wir haben uns in der Mitgliedergewinnung verschiedene Ziele gesetzt. Unser erstes Ziel, von dem wir glauben, dass es uns bei der Gewinnung von Mitgliedern hilft, ist die Konzentration auf die Altersgruppe der Sechs- bis 14-Jährigen. Wenn wir dort Menschen für unseren Sport begeistern, sei es als Handballerin oder Handballer, oder auch als Fan, dann binden wir sie meist in irgendeiner Form fürs ganze Leben. Deswegen ist das unsere Kernzielgruppe. Deshalb ist auch die Arbeit in den Schulen eine wichtige Maßnahme. Dort sind wir mit den Grundschul-Aktionstagen aktiv und gehen jedes Jahr in mehr als 1000 Schulen. Wir haben die DHB Online-Akademie ins Leben gerufen. Da können sich Lehrer beispielsweise konkret online Stundenbilder holen, damit sie wissen, was sie mit den Kindern machen können. Oder Ehrenamtliche erhalten wertvolles Wissen für die Vereinsarbeit. Ganz aktuell haben wir im Restart-Programm der Bundesregierung nach der Pandemie die Möglichkeit, bis zu 1000 Euro für Maßnahmen abrufen zu können, wenn Vereine im Zuge der Grundschul-Aktionstage mit Schulen zusammenarbeiten. Und wir arbeiten gerade an einer Kinderhandball-Lizenz, da geht es um die Ausbildung von Trainern und Übungsleitern.

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Viele Herausforderungen also für den Verband und die Vereine…

Schober Eine unserer größten Herausforderungen nach der Pandemie ist es, Ehrenamtliche zu finden. In der Altersgruppe der 27- bis 40-Jährigen verlieren wir häufig Handballerinnen und Handballer. Gerade die brauchen wir aber auch für ehrenamtliche Aufgaben. Dass man in der Altersgruppe in der Form weiter Handball spielt, wie wir ihn spielen, ist eher unrealistisch, es gibt aber mit Five-a-Side eine angepasste Spielform. Dazu haben wir mit dem Handballverband Niedersachsen gerade ein Pilotprojekt. Das macht echt Spaß, und das kann auch ich als 49-Jähriger noch spielen. Ziel ist es, mit solchen Spielformen, die Menschen beim Handball zu halten – aber noch wichtiger, sie zu motivieren, ehrenamtlich tätig zu sein, weil wir da einen großen Bedarf haben.

Wie binden Sie die Jugendlichen in die Arbeit ein?

Schober Ehrenamtliches Engagement muss sehr früh vermittelt werden. Daher fördern wir das Engagement von jungen Leuten und vermitteln entsprechendes Wissen. Wenn wir Menschen bis 26 Jahre in ehrenamtliche Aufgaben bringen, dann werden sie wahrscheinlich auch später bereit sein, mitzuarbeiten.

Wie gelingt das oder wie soll das gelingen?

Schober Wir hatten in München jetzt zum Beispiel ein großes Engagement-Festival. Da haben wir drei Tage junge Engagierte, 200 Teilnehmer, zu einer Art Kongress eingeladen. Die Teilnehmer haben dort parallel aber auch Netzwerke gebildet, zusammen Five-a-Side oder Beachhandball gespielt und selbst erfahren, wie man junge Menschen anspricht. Wir arbeiten daran, in unseren Strukturen verbindlich für mehr Diversität zu sorgen, Frauen im Verband zu binden und die Teilhabe von mehr jungen Menschen zu ermöglichen. Das haben wir durch Änderungen der Satzung des Deutschen Handballbundes bereits erreicht: Wir haben in allen unseren Gremien auch Frauen. Der nächste Schritt wird in vier Jahren sein, dass das Amt des Vizepräsidenten Jugend an eine Altersgrenze gebunden wird. Zudem wollenwir junge Engagierte verpflichtend in unseren Gremien aufnehmen, so dass in allen Kommissionen eine Person unter 34 Jahren ist. Ich hoffe, wir können dies auch bei unseren Mitgliedsverbände durchsetzen, weil ich weiß, dass wir mit Diversität stärker werden, dass wir den Frauensport entwickeln werden, dass wir dafür sorgen, dass wir Nachwuchs haben, der zum Beispiel den Herausforderungen als Übungsleiter in Kinder- und Jugendmannschaften gewachsen ist.

Wie bewerten Sie mit Blick auf diese Punkte die Situation im Handball in NRW?

Schober Wir haben in NRW eine unglaubliche Handball-Dichte. Deswegen macht es für uns total Sinn, hier große Handball-Veranstaltungen stattfinden zu lassen, unabhängig davon, dass wir hier in Düsseldorf und Köln und bei der Frauen-WM in Dortmund mit absoluten Profis zusammenarbeiten – das sind die Arenabetreiber, die Städte und das Land NRW, die möchte ich an dieser Stelle unbedingt erwähnen. Die Sportveranstaltungen sind nicht ohne Grund in NRW, sondern weil wir hier viel Unterstützung und professionelle Bedingungen finden. Ich bin froh, dass Handball in Nordrhein-Westfalen eine sehr große Rolle spielt. Hier spielen sehr viele Menschen Handball. Wir haben sehr gute Vereine, Vereine, die sehr gute Jugendarbeit machen, Vereine, die Frauen- und Männer-Handball anbieten und dies im Spitzen- und Breitensport.

Dennoch hört man in den einzelnen Städten auch immer wieder, dass die Situation schwierig ist. Gerade in den aktuellen Krisen.

Schober Ich bin davon überzeugt, dass jeder sein Bestes tut. Jeder Verein und jeder Landesverband. Wir müssen aber alle noch mehr tun, da bin ich mir auch sicher. Es ist in diesen Zeiten nicht leicht, Vereinsarbeit zu machen. Wenn man aber die Themen angeht, dann ist man auch erfolgreich. Ich bin beeindruckt, wie viele Vereine wir gerade in Nordrhein-Westfalen haben, und hier bin ich auch aus privaten Gründen viel in Handballhallen, die exzellente Arbeit machen, die Lösungen gefunden haben in der Corona-Krise, die Lösungen finden für die Energiekrise, die Trainer finden, die ein tolles Vereinsleben schaffen. Wir versuchen, Hilfen zu geben, die Arbeit im Verein, die können wir nicht aber übernehmen, die müssen die Vereine machen.

Welche Aufgaben sind das aktuell im Besonderen für die Vereine?

Schober Gerade ganz konkret in der Energiekrise: Wir arbeiten auf bundespolitischer Ebene, wir arbeiten kommunikativ. Aber dann müssen unsere Vereine in ihre Kommunen gehen und zeigen, was sie tun können, um Energie zu sparen. Wir werben dafür, dass wir gemeinschaftlich mindestens 20 Prozent Energie einsparen. Das können wir, wir können auch trainieren, wenn es etwas kälter ist. Wir können auch eine Mütze aufziehen und lange Hose tragen, auch kalte Duschen verkraften wir. Wir wollen aber, dass die Hallen offenbleiben. “Lieber die Heizung aus, als aus der Halle raus”. Diese Botschaft vertreten wir, diese Botschaft muss aber auch jeder Verein in seiner Gemeinde kommunizieren und zeigen, was er dafür tun kann.

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Ist es besonders nach der Pandemie wichtig, dass die Hallen nicht wieder geschlossen werden?

Schober Ja, in der Corona-Krise haben wir Handballer und Handballerinnen verloren, aber ich sehe auf der anderen Seite auch ein hohes Interesse, wieder zurückzukommen zum Sport. Ich erlebe viele Kinder und Familien, die ganz glücklich sind, wieder zum Verein zu kommen. Der Verein ist keine aussterbende Institution. Es ist einfach schön, am Sonntag beim C-Jugendspiel zu sitzen, ein Stück Kuchen zu essen, Kaffee zu trinken und sich mit echt netten Menschen auszutauschen. Die Kinder sind im Training betreut, sind mit gleichaltrigen zusammen. Wer bietet das heute noch außer dem Sport und den Kirchen vielleicht noch? Wir brauchen diese Institution der Vereine, denn wir bieten da eine Leistung, die sehr wertvoll ist, nicht nur für unseren Sport, sondern für die Gesellschaft. Die Familie ist ein wichtiger Hafen, aber dann?

Können Sie uns abschließend schon mehr zum Eröffnungsspiel der Herren-EM 2024 in Düsseldorf erzählen?

Schober Es sind knapp 10.000 Tickets für den Eröffnungsspieltag verkauft. Das ist zu diesem Zeitpunkt, an dem der Gegner unserer Nationalmannschaft und die zweite Partie sowie das Rahmenprogramm noch nicht feststehen , eine gute Zahl. Ich bin guter Dinge, dass wir den Weltrekord mit 50.000 Zuschauern erreichen und auch viele Fans nicht nur aus Düsseldorf und Deutschland haben werden, sondern auch aus ganz Europa. Aber wir müssen schon auch was dafür tun. Was ich sicher sagen kann: Es wird sich lohnen, am 10. Januar 2024 dabei zu sein.

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