Der bizarre Absturz von 1860 München Das kann doch nur Satire sein ...

Düsseldorf · Der TSV 1860 München hat in vergangenen Jahren keine Posse ausgelassen. Nun muss der Klub den Gang in die 3. Liga antreten. Eine Chronologie des bizarren Absturzes unter Investor Hasan Ismaik.

1860 München: Spieler nach Abstieg geschockt
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1860-Profis nach Abstieg geschockt

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Richtungsweisendes sollte am 30. Mai passieren. Es war das Jahr 2011, und an jenem Tag unterzeichnete der TSV 1860 München den Kooperationsvertrag mit einem jordanischen Investor, dessen Firma 60 Prozent der Geschäftsanteile und 49 Prozent Stimmberichtigung garantiert wurden. Der Traditionsverein — deutscher Meister 1966 sowie Pokalsieger 1942 und 1964 — war im grauen Mittelfeld der 2. Bundesliga versunken und brauchte dringend Geld. Das wiederum besaß Investor Hasan Ismaik. Zusammen träumte man von einer Rückkehr in die Bundesliga — und mehr.

Es war nicht so, dass der Verein nicht auch zuvor immer für eine Posse gut war. Unter Ismaik sollte das Chaos jedoch ein neues Niveau erreichen. Ein Rückblick.

Das erste Beben ereignet sich im Januar 2013. Auf der Trainerbank soll eine große Lösung her. Ismaik setzt sich nach wochenlangem Machtkampf gegen die Klubführung mit seinem Wunsch Sven-Göran Eriksson durch und der Verein verkündet den Coup. Blöd nur: Der schwedische Star-Trainer hatte nie zugesagt. Alexander Schmidt betreut fortan die Löwen, kurz darauf folgt Friedhelm Funkel.

Mit Funkel vereinbart der Verein, den auslaufenden Vertrag nicht über das Saisonende 2014 hinaus zu verlängern, um ihn anschließend ohne sportliche Not drei Spieltage vor Schluss doch noch zu entlassen. Für Funkel wird so noch eine Abfindung fällig.

Spieler ging von Stefan Effenberg als Trainer aus

Zur folgenden Spielzeit soll alles besser werden. Der Verein investiert in neue Spieler, darunter ein gewisser Ilie Sanchez. Bei Vertragsunterzeichnung geht dieser allerdings von Stefan Effenberg als Trainer aus. Auf dem Trainingsplatz trifft er dann aber Ricardo Moniz an. "Ich habe meinen Augen nicht getraut", wird er in der "Bild" zitiert.

1860 München: Fans sorgen für Spielunterbrechung bei Relegationsspiel
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1860-Fans sorgen für Spielunterbrechung

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Neu-Trainer Moniz kündigt gegenüber dem "kicker" auch gleich vollmundig an: "Wir werden Meister" und verspricht den Aufstieg. Nach sieben Spielen und sechs Punkten muss er gehen. Statt Aufstiegskampf gibt es am Ende die späte Rettung in der Relegation gegen Holstein Kiel. Der entscheidende Löwen-Treffer zum 2:1-Sieg fällt in der Nachspielzeit. Auch in der anschließenden Spielzeit geht es mit vier Trainern gegen den Abstieg. Zwischenzeitlich äußert sich Ismaik auch zum möglichen Verkauf seiner Anteile.

Auf dem Weg zu einem der besten Vereine Europas

Im September 2016 sieht er 1860 — seit 2004 Zweitligist — im Interview mit dem "kicker" dennoch auf dem richtigen Weg, "einer der besten Vereine Europas zu werden". Seinen neuen Trainer Kosta Runjaic bescheinigt Ismaik zudem das Potenzial, einer "der größten Trainer zu werden". Zwei Monate später wird Runjaic entlassen, kurz darauf auch der zu Saisonbeginn verpflichtete Sportchef Thomas Eichin.

Wegen diverser Personalrochaden auf Führungsebene kapituliert selbst Wikipedia. Für die Rubrik "TSV 1860 München/Personen" sei "aufgrund aktueller Entwicklungen" eine "Aktualität nicht zu gewährleisten", heißt es auf der Seite. Fünf Präsidenten, sieben Geschäftsführer und elf Trainer wurden seit 2011 geschasst.

Das ist 1860-Investor Hasan Ismaik
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Das ist 1860-Investor Hasan Ismaik

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Als Interims-Geschäftsführer wird kurz darauf der US-amerikanische Bauingenieur Anthony Power ernannt. Welche "Power" er besitzt, bekommen schnell die Mitarbeiter zu spüren: Den Ausstand einer Empfangssekretärin beendet er laut "Münchner Merkur" rüde, da er "Diebstahl von bezahlter Arbeitszeit" moniert. Von den Spielern fordert er laut "Bild" im Chor "We are Lions" zu brüllen. Als Motivationsmaßnahme.

Ismaik wütet gegen Freikarten und Medien

Den Ärger über den sportlichen Abwärtstrend lässt Ismaik derweil auch an den Medien aus. "Die Presse will Euch ganz bewusst in die Irre führen", teilt er über Facebook dem 1860-Anhang mit — Journalisten werden daraufhin Akkreditierungen entzogen und Medienvertretern Hausverbot erteilt. Wenige Tage später wird diese Entscheidung wieder aufgehoben. Neues Thema für Ismaik ist der Verdacht auf "Korruption und Plünderung" im Verein. Sein Urteil: In der Vergangenheit wurden zu viele Freikarten zu Heimspielen verschenkt. Für "einen der wenigen Premiumvereine in Deutschland" ein Unding, findet der Investor. Wer künftig denkt, eine Freikarte beanspruchen zu können, solle an 1860@gmail.com schreiben, erklärt er weiter.

Zur Rückrunde 2017 kommt mit dem Portugiesen Vitor Pereira endlich der vom Investor gewünschte große Trainer-Name zu den Löwen. Seine Vorstellung gleicht einer Inszenierung. Beim Besuch in einem Münchner Brauhaus ruft Präsident Peter Cassalette von einer Empore den Fans zu: "Das ist der Mann, der uns in die erste Liga führen soll!" Pereira, der deutschen Sprache nicht mächtig, setzt mit einem "and we go to the top" dem Stimmungspegel noch einen drauf. Freibier und kein Halten mehr bei den Fans.

Ein Geschäftsführer vom FC Liverpool

Sportlich kann die Mannschaft mit den Verheißungen nicht mithalten — es geht erneut gegen den Abstieg. Verantwortliche des FC St. Pauli werden zudem angehalten, während der Partie in der Allianz-Arena ihre Plätze zu verlassen. Ihr Torjubel war störend. Ismaik behauptet hinterher, es sei nur die schlechte Sicht gewesen.

Kein Scherz, am 1. April stellt der Verein Ian Ayre als neuer Geschäftsführer vor. Er kommt vom FC Liverpool. Für einen Eklat sorgt wenig später im Spiel gegen Eintracht Braunschweig Trainer Pereira, der seinen Kollegen Torsten Lieberknecht angeblich als "...sohn" bezeichnet.

Für das letzte wichtige Heimspiel um den Klassenerhalt gegen Bochum kündigt Ismaik seinen Besuch groß per Facebook an. "Merkt Euch eines: Wir sind nur gemeinsam stark", erklärt er. Drei Tage später muss er wegen eines Termins absagen. Für 1860 geht es mit dem drittteuersten Kader der Liga nach einer Talfahrt zu Saisonende schließlich in die Relegation.

"Vergelt's Gott, dass Sie zu 1860 gehen"

Nach dem dürftigen 1:1 im Hinspiel gegen Jahn Regensburg, meldet sich vor dem Rückspiel Ismaik einmal mehr per Facebook zu Wort. Er spricht von "Blauäugigkeit", den "falschen Leuten vertraut zu haben" und davon, dass "vieles, was unternommen wurde, gescheitert ist". Trotzdem will er dem Verein treu bleiben. Geschäftsführer Ayre tritt schon vor dem Spiel nach nur acht Wochen wieder zurück. Erklärung: Keine gemeinsamen Interessen und Visionen im Verein. Präsident Peter Cassalette legt nach dem Spiel sein Amt nieder. Dazwischen verliert die Mannschaft nach blutleerem Auftritt mit 0:2 und steigt ab. Am 30. Mai — sechs Jahre nach dem Einstieg von Ismaik.

"Vergelt's Gott, dass Sie zu 1860 gehen", klingt es vom Stadionsprecher zwischenzeitlich zu den 60.000 Zuschauern. Die Partie muss für 14 Minuten unterbrochen werden: Fans machen ihren Unmut Luft und werfen Sitzschalen und Gegenstände auf dem Platz. Neben der Profi-Mannschaft steigen ebenfalls die U21, U19, U17 und U16 ab. Der Verein steht nun führungs- und perspektivlos da. Die Zukunft ist mit vielen Fragezeichen versehen.

Das alles kann eigentlich nur Satire sein. Ist es aber nicht. Es ist alles passiert. Traurig aber wahr.

(dbr)
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