Winfried Schäfer im Interview „Es ist nicht Sache der Spieler, während der WM Protest zu äußern“

Interview | Düsseldorf · Der frühere Gladbach-Profi und Trainer-Globetrotter Winfried Schäfer arbeitete in Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Er spricht über den Fußball in Katar und sagt, warum die Weltmeisterschaft etwas bewirken kann.

  Persian Gulf Pro League, Esteghlal Teheran, Iran, Winfried Schäfer PUBLICATIONxNOTxINxIRI

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Foto: imago images/Amirhossein Kheirkhah/Amirhossein Kheirkhah, via www.imago-images.de

Winfried Schäfer hat als Trainer auf vier Kontinenten gearbeitet. Unter anderem in Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten, also in der Golfregion, die während der Weltmeisterschaft im Fokus ist. Im Interview spricht er über den Fußball im WM-Gastgeberland und die Kritik am Turnier in Katar.

Herr Schäfer, Sie haben als Trainer in Katar gearbeitet beim Al-Kohr SC. Ist es richtig, eine WM in Katar zu spielen?

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Schäfer Ich finde nicht, dass eine WM unbedingt immer in einem Land mit großer Fußball-Tradition gespielt werden muss. Es ist sogar gut, den Fußball mit so einem Turnier in den Ländern, die keinen Pelé oder Franz Beckenbauer haben, zu stärken. Hinzu kommt, da sind wir bei den Diskussionen rund um das Turnier: Wenn eine WM ist, schauen die Menschen genau hin.

Wenn die Menschen genau hinschauen, sehen sie vieles, das sehr kritisch hinterfragt werden muss.

Schäfer Natürlich gibt es viele Sachen, die hinterfragt werden müssen. Aber genau das passiert ja im Zuge einer WM. Es ist auch richtig, die Probleme zu thematisieren. Andererseits darf man nicht nur darauf schauen. Und es ist nicht Sache der Spieler, während der WM Protest zu äußern. Auch die Politiker, die ins Land reisen, haben keine Hemden mit Protest-Statements an. Grundsätzlich trägt die Fifa die Verantwortung, da muss es ein Umdenken geben. Wenn die Fifa ein Gros der WM-Gewinne an die betroffenen Menschen spendet, wäre das ein wichtiger Schritt.

Sie haben in Katar gelebt als Sie bei Al-Kohr Trainer waren. Wie haben Sie das Land erlebt?

Schäfer Als Trainer aus dem Ausland ist man sicherlich privilegiert. Aber ich war während meiner Trainerlaufbahn in vielen Ländern und habe verschiedenste Kulturen erlebt. Wenn man in ein Land kommt, muss man die Kultur des Landes annehmen, das ist für mich die Basis, das habe ich bei meinen Stationen immer gemacht. Es ist in Katar zum Beispiel nun mal so, dass man in der Öffentlichkeit keinen Alkohol trinken darf. So etwas muss man akzeptieren. Natürlich gibt dennoch viele Themen, über die nachgedacht werden kann und muss. Der Fußball kann da auch viel bewegen. Denken Sie nur an Borussia Mönchengladbachs enge Beziehung zu Israel.

Zur Einordnung: Die Gladbacher sind seit 1970 immer wieder nach Israel gereist und haben damit dazu beigetragen, dass die Beziehungen zwischen beiden Ländern wieder gewachsen sind. Ursprung war die Freundschaft von Gladbachs Meistertrainer Hennes Weisweiler zu Israels damaligem Trainer Eddy Schaffer.

Schäfer Richtig. Wir waren damals die erste deutsche Sportmannschaft, die nach Israel gereist ist. Danach wurde gesagt, wir hätten mit unserem Spiel mehr bewegt, als bis dahin die Diplomaten. Wenn der Fußball jetzt in Katar dazu beigetragen hat, dass sich die Menschenrechte verbessern und die Arbeiter bessere Unterkünfte und angemessene Löhne bekommen, dann ist schon etwas erreicht. Und ich bin mir sicher, dass die WM nicht ganz ohne Folgen bleiben wird für das Land. Es ist ja schon das eine oder andere in Bewegung gekommen.

Ist Katar ein fußballbegeistertes Land?

Schäfer Bei den normalen Ligaspielen sind die Stadien nicht ausverkauft wie in der Bundesliga ein Derby zwischen Gladbach und Köln. Trotzdem ist die Begeisterung der Menschen für den Fußball groß, wenn auch auf eine andere Art als bei uns. Und wenn man abends auf dem Doha Tower steht, sieht man nicht nur fast alle WM-Stadien, sondern überall in der Stadt Flutlichter. Ich habe nie ein Land gesehen, in dem es auf so kleiner Fläche so viele Fußballplätze gibt. Dass beim Eröffnungsspiel so viele Zuschauer früher gegangen sind, liegt auch daran, dass es viele Gastarbeiter waren, die dann aber früher gehen mussten, weil sie morgens früh zur Arbeit mussten.

2026 wird die WM in Kanada, den USA und Mexiko gespielt. Hätte es Sinn gemacht, das Turnier 2022 auch auf die gesamte Golfregion zu verteilen?

Schäfer Das habe ich schon vor Jahren gesagt: Man hätte in Saudi-Arabien, Katar, dem Oman und Bahrain spielen können. Da wurde vielleicht eine Chance verpasst, auf die Weise auch die Beziehungen dieser Länder untereinander zu verbessern.

Kann es trotzdem eine begeisternde WM werden?

Schäfer Warum nicht? Die Menschen sind sehr gastfreundlich. Das werden die Fans, die vor Ort sind, erleben. Und die Stadien sind modern, alle sind inzwischen mit U-Bahn-Stationen verbunden. Die Infrastruktur ist sehr gut. Jetzt muss der Fußball in diesen Wochen seinen Teil dazutun.

Was erwartet die Spieler in Katar klimatisch?

Schäfer Es ist richtig, dass die WM in den Winter verlegt wurde. Im Sommer, wenn sonst Weltmeisterschaften sind, wäre es nicht möglich gewesen, das Turnier zu spielen wegen der klimatischen Bedingungen. Auch die Fans hätten gar nicht rausgehen können bei Temperaturen von über 40 Grad. Jetzt gibt es beste Bedingungen, die Klimaanlagen im Stadion müssen eigentlich nicht angeschaltet werden.

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Foto: dpa/Marius Becker

Wie ist der Fußball in Katar aufgestellt?

Schäfer Es gibt gute Ansätze. Wie das hoch moderne Leistungszentrum Aspire in Doha mit elf Plätzen unter der Leitung spanischer Trainer. Da werden die Spieler regelmäßig zusammengezogen. Die Frage ist, wie nachhaltig diese Programme sind und wie sehr die Klubs dazu stehen. Denn die meisten Klubs setzen auf schnellen Erfolg, da bleibt die Nachwuchsförderung auf der Strecke, so ist es auch in den Emiraten. Wir haben bei Al-Kohr versucht, von unten etwas aufzubauen mit guten Local Players. Der Präsident, der mich geholt hat, hatte sich für diesen Weg entschieden. Er ist dann aber gegangen und sein Nachfolger konnte damit nichts anfangen, er wollte lieber auch große Namen. Ich musste gehen - und der Klub ist abgestiegen. Auch mit den Stadien ist es so eine Sache. Die WM-Stadien sind zu groß für die Ligaspiele, sie sollen teilweise nach der WM abgebaut und nach Afrika verschifft werden. Insgesamt denke ich aber, dass die WM etwas bewegen wird, gesellschaftlich, aber auch für den Fußball. Sie kann für den Fußball in der gesamten Region Anschub geben.

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