WM-Kolumne Berti Vogts In der Viererkette fehlte jede Ordnung

Exklusiv | Mönchengladbach · Der erste Auftritt des DFB-Teams bei der WM in Katar hat Ex-Bundestrainer Berti Vogts erschreckt. Vor allem die Defensivarbeit hat ihm nicht gefallen. Was er nun von Hansi Flicks Mannschaft erwartet.

Berti Vogts.

Berti Vogts.

Foto: dpa/Patrick Seeger

Ich bin erschrocken über das, was ich von der deutschen Nationalmannschaft im Spiel gegen Japan gesehen habe. Es war eine verdiente Niederlage. Und zwar nicht nur wegen der letzten 30 Minuten, in denen das Spiel gekippt ist. Die Leistung war über 90 Minuten nicht in Ordnung. Schon in der ersten Halbzeit gab es zu viele Ballverluste und Abstimmungsschwierigkeiten, da dürfen wir uns nichts vormachen. So darf eine deutsche Mannschaft nicht auftreten.

Vor allem defensiv war es eine indiskutable Vorstellung. Ich habe zu viele Spieler gesehen, die, ohne Namen zu nennen, nur darauf geschaut haben, dass sie mit ihren Offensivaktionen glänzen. Aber, und ich weiß, wovon ich spreche: Man kann auch beim Verteidigen glänzen. Und nur dann hilft man der Mannschaft wirklich. Ich hatte bei jeder Aktion der Japaner nach vorn die Befürchtung, dass etwas passieren kann, weil in der Viererkette jede Ordnung fehlte. Das darf nicht sein.

Ich habe in dem Spiel viel gesehen, was auch in der Bundesliga im Argen liegt. Warum warte ich darauf, dass der Gegner einen Fehlpass macht, statt aktiv zu versuchen, den Ball zu erobern? Und warum gebe ich als Verteidiger nur Begleitschutz, statt konkret einzugreifen? Manndeckung ist auch im modernen Fußball nicht verboten. Und auch nicht, sich gegenseitig zu helfen, wenn einer einen Fehler macht. Man darf sich dafür nicht zu schade sein.

Was ich auch nicht gesehen habe: eine Mannschaft. Das ist das A und O bei einer WM, das war immer das Erfolgsgeheimnis deutscher Teams. In diesem Spiel haben das aber nur die Japaner gezeigt. Sie haben es richtig gut gemacht, waren mutig, haben ihre Chance gesucht und jeder hat für jeden gekämpft.

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Bei den Deutschen fehlte zudem jemand, der den anderen sagt: Das geht so nicht. Thomas Müller hat in der Endphase versucht, auf die anderen einzuwirken, das war zu sehen, aber da war es zu spät. Da sind die erfahrenen Spieler gefragt – vor allem jetzt nach der Niederlage. Spaniens 7:0 gegen Costa Rica ist ein Statement, das hätte ich mir auch von unserer Mannschaft gewünscht, um klar zu machen: Wir sind bereit. Da hat Japan dem DFB-Team einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Jetzt besteht die Gefahr, dass das Turnier schon wieder früh vorbei ist. Aber noch ist es nicht soweit. Ich hoffe, dass diese Niederlage ein Weckruf für diese Mannschaft ist. Wir dürfen trotzdem keine Angst vor Spanien haben. Klar ist: Die deutsche Nationalmannschaft muss das Spiel am Sonntag gewinnen, ein Unentschieden könnte schon zu wenig sein. Vielleicht wiegen sich die Spanier nun auch in Sicherheit. Darauf dürfen sich die Deutschen jedoch nicht verlassen.

Bundestrainer Hansi Flick hat viel Arbeit bis Sonntag. Dass es keine richtige Reaktion der Deutschen auf die taktischen Veränderungen der Japaner gab, ist nicht in erster Linie Sache des Trainers. Wenn in der Schlussphase das Spiel entgleitet, muss das Team in der Lage sein, zu reagieren und zu zeigen: Wir lassen nichts anbrennen, wir bringen die Führung nach Hause. Die Spieler sind alt genug. Das hat mit Selbstvertrauen zu tun, mit Qualität. Die sollte die deutsche Nationalmannschaft eigentlich haben. Aber sie muss das jetzt endlich wieder zeigen.

Berti Vogts (75) ist als Spieler mit Deutschland Welt- und Europameister geworden. 1996 führte er das DFB-Team als Bundestrainer zum letzten EM-Triumph. Während der der WM in Katar wird Vogts in der Rheinischen Post immer wieder über besondere Themen des Turniers und über das DFB-Team schreiben.

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