Das ganze Bild zeigen Warum wir wie über die WM in Katar berichten

Meinung | Düsseldorf · Am 20. November beginnt die umstrittenste Fußball-Weltmeisterschaft der Geschichte. Es geht um Menschenrechtsverletzungen, Geld, um sich alles zu kaufen, genauso um Gas für deutsche Haushalte. Trotz allem geht es auch um Sport. Berichterstattung wird zur Gratwanderung – auch für uns bei der Rheinischen Post. Doch wir wagen den Spagat, und sagen Ihnen, warum.

Die Weltmeisterschaft in Katar wird die Rheinische Post intensiv begleiten - mit all ihren Facetten.

Die Weltmeisterschaft in Katar wird die Rheinische Post intensiv begleiten - mit all ihren Facetten.

Foto: dpa/Nariman El-Mofty

Begegnen Ihnen in diesen Tagen viele Autos mit Deutschlandflagge am Seitenfenster oder Außenspiegel? Nein? Mir auch nicht. Fühlen Sie sich beim Einkaufen oder Fernsehen regelrecht verfolgt von Produkten, die mit der Nationalmannschaft werben? Nein? Ich auch nicht. Haben Sie schon Einladungen zum gemeinsamen Gucken des deutschen Auftaktspiels? Nein? Ich auch nicht. Es sind nur drei von vielen Anzeichen, dass etwas anders ist als sonst, wenn eine Fußball-Weltmeisterschaft vor der Tür steht.

Am 20. November geht es los. Um 17 Uhr deutscher Zeit, spielt Gastgeber Katar sein Eröffnungsspiel gegen Ecuador. Doch Vorfreude auf dieses Turnier sucht man hierzulande vergebens. Kaum verwunderlich, denn diese WM wird, so viel scheint sicher, kein Wintermärchen. Sie wird ein mentaler Kraftakt. Eine Herausforderung. Für alle. Mannschaften, Spieler, Funktionäre, Zuschauer und die Medien. Denn dieses Turnier verlangt nach Haltung. Jeder muss sich irgendwie verhalten. Sich entscheiden, wie er mit der umstrittensten Fußball-WM der Geschichte umgehen will.

Vor dieser Aufgabe stehen auch wir Medien. Steht auch die Rheinische Post. Stehen auch meine Kolleginnen und Kollegen und ich in der Redaktion. Wir haben in den vergangenen Monaten viel und intensiv darüber diskutiert, wie wir über diese Weltmeisterschaft berichten wollen. Dass wir berichten werden, stand für uns indes schnell fest. Aus einer simplen wie unverrückbaren Überzeugung heraus: Es braucht den medialen Blick auf diese WM dringender als je zuvor. Denn es braucht eine Öffentlichkeit, die hinguckt. Die bewerten kann, was sie da sieht. Und die zeigt, was sie nicht zeigen soll. Hier sehen wir unsere Rolle, unsere Aufgabe.

Wir wollen und müssen das ganze Bild dieser WM zeigen. Das ist unser Anspruch: Öffentlichkeit herzustellen. Dazu gehört die kritische Einordnung der Missstände in Katar, das Erklären von allem, was falsch läuft im Universum des Weltfußballverbandes Fifa, das Reden über die offensichtliche Klimasünde, die diese vollklimatisierte WM im Land mit dem höchsten CO2-Ausstoß pro Kopf darstellt.

Doch wenn wir das ganze Bild dieser WM zeigen wollen, gehört das sportliche Geschehen eben auch dazu. Denn im Innersten geht es am Ende auch diesmal immer noch um den Fußball auf dem Platz, der weltweit Milliarden Menschen begeistert. Geht es um Tore, Emotionen, Sieg und Niederlage und die eine Mannschaft, die sich am Ende Weltmeister nennen darf. Ja, wir gucken auch bei dieser WM genau darauf, wie die deutsche Mannschaft spielt, warum sie gewinnt, wieso sie verliert. Wer die Helden sind und wer die tragischen Figuren.

Fußball: Zehn Dinge, auf die man sich bei der Katar-WM auch freuen darf
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Zehn Dinge, auf die man sich bei der WM auch freuen darf

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Foto: AFP/FRANCISCO LEONG

Der Ruf nach einem sportlichen Boykott auf breiter Ebene war seit Monaten, ja Jahren laut. Knapp jeder zweite Deutsche hielt noch im Sommer bei einer Umfrage ein Fernbleiben der Nationalmannschaft für geboten. Doch der DFB wird antreten in der Wüste. So wie alle qualifizierten Teams es tun. Teilnehmende Verbände und Akteure fahnden stattdessen in diesen Wochen mehr schlecht als recht nach einer passenden, einer imagefördernden Form des Protests. Die Nähe zu Menschenrechtsorganisationen wird gesucht. Good-Will-Kampagnen werden gestartet. Fensterreden für eine bessere Welt gehalten. Oft bleibt es aber auch einfach beim Aussitzen.

Reicht das aus? Schließlich reden wir von der WM in einem Emirat, in dem Tausende Arbeiter auf WM-Baustellen gestorben sind, in dem Homosexualität per Gesetz verboten ist und mit Auspeitschen bestraft werden kann, in dem Menschenrechtler das Ausbleiben echter Reformen bemängeln, viele Frauen unter der Vormundschaft von Männern stehen und in dem Sympathiewerte für islamische Gotteskrieger ungewöhnlich hoch sind. Und wie bewerten wir im Gegenzug die Rolle Katars als Gaslieferant für Deutschland? Mit seiner Funktion als strebsamer Makler im Nahost-Konflikt und in Afghanistan? Wiegt sich das auf? Kann sich etwas moralisch aufwiegen?

Dem Fan daheim bleibt nach wie vor der Boykott. Einfach den Fernseher ausschalten, wenn Fußball läuft. Protest mit der Fernbedienung. Und wer das nicht macht? Wer mit dem DFB-Team vor dem Bildschirm mitfiebern will, gar mit Freunden zusammen ein Rudelgucken plant? Unterstützt der am Ende ein Schurkenstück in Katar? Fällt er Menschenrechtlern in den Rücken? Oder erfreut er sich am Ende einfach nur am Fußball? Es gibt darauf nicht die eine Antwort. Aber wir müssen zumindest um Antworten ringen.

Wir wollen darüber hinaus die WM als kontroverses Thema vor Ihre Haustür tragen. Wollen recherchieren, wie verflochten die NRW-Wirtschaft mit Katar ist. Wir haben im Blick, wie die Kneipen und Weihnachtsmärkte in Ihrem Ort mit der WM umgehen, ob es Public Viewing gibt und wer den Fernseher über der Theke auslässt. Wir wollen Debatten in der Region über das Turnier anstoßen und abbilden.

Wir als Redaktion sind uns im Klaren darüber, dass die kommende WM-Berichterstattung einer Gratwanderung gleichkommen wird. Doch das Risiko gehen wir bewusst ein. Polarisierungen wollen wir aushalten, ja herbeiführen. Widersprüche aufzeigen. Wir wollen zeigen, wie Fußball aussieht, der uns etwas bedeutet. Wir wollen offenlegen, was aus dem Fußball zu werden droht, wenn er nur noch als Geschäftsidee interpretiert wird. Wie der Fußball der Zukunft wieder einer der Fans und nicht der Investoren und Funktionäre werden kann.

Begleiten Sie uns durch diese WM. Ob bei RP Online, im E-Paper oder in der gedruckten Rheinischen Post. Überprüfen Sie, ob wir Ihnen das ganze Bild dieser WM bieten. Oder ob Ihnen etwas fehlt. Melden Sie sich gerne zu unserem täglichen WM-Newsletter „Anstoß“ an unter
https://rp-online.de/app/newsletter/anstoss/

Wir freuen uns in jedem Fall über Ihr Feedback. Schreiben Sie uns an sport@rheinische-post.de


Mit sportlichen Grüßen,

Stefan Klüttermann

Sportchef

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