Bierhoff, Ausbildung und Co. Das sind die Baustellen beim DFB nach dem WM-Aus
Analyse | Düsseldorf · Der Deutsche Fußball-Bund gab in Katar kein gutes Bild ab. Die Baustellen sind zahlreich, bevor in anderthalb Jahren die Heim-EM auf dem Plan steht. Wir zeigen auf, was sich verbessern muss – nicht nur sportlich.
Es war schon irgendwie bezeichnend, dass sich der DFB-Präsident und der Bundestrainer widersprachen. Während Bernd Neuendorf am Freitag vor dem Abflug aus Doha nach dem peinlichen frühen WM-Aus um Zeit in der Fehleranalyse bat, sprach Hansi Flick bereits am Donnerstagabend von einer „sehr, sehr schnellen“ Aufarbeitung. Klar, beide Blickwinkel sind verständlich. Man will auf der einen Seite nichts über den Zaun brechen, auf der anderen Seite weiß man darum, dass in nur 18 Monaten die Heim-Europameisterschaft ausgetragen wird. Keine einfache Gemengelage nach der auf vielen Ebenen blamablen Weltmeisterschaft in Katar. Und dennoch zeugt es davon, was beim Deutschen Fußball-Bund alles im Argen liegt. Eine klare Linie ist schon lange nicht mehr zu erkennen. Diese Probleme muss der DFB nun angehen.
Wofür will man stehen? Diese Frage stellt sich erst einmal ganz generell. Neuendorf propagierte als Präsident Erneuerung. Doch davon ist bisher wenig zu sehen. Anstatt intern und extern eine klare Linie zu verfolgen, verstrickt sich der Verband weiter in Kleinigkeiten. Das nahezu peinliche, weil nicht zielführende Festhalten an der „One Love“-Binde, als andere Nationen längst abgeschworen hatten, ist da nur ein weiteres Beispiel. Neuendorf hat sich vorführen lassen.
Ohnehin hat es der DFB versäumt, klare Kante gegen die Fifa und ihren Präsidenten Gianni Infantino zu zeigen. Anstatt als mitgliederstärkster Verband eine Revolution anführen zu können, muss man nun eingestehen, dass man längst keine Macht mehr hat in diesem von Intrigen nur so verkommenen Weltverband. Zuvorderst hat das mit den hausinternen Problemen zu tun, die sich seit Jahren durchziehen. Von Stärke ist hier wenig zu sehen, zu eingefahren scheinen alte, schlechte Strukturen. Aufarbeitung von Fehlern haben kaum bis gar nicht stattgefunden. Beispielhaft dafür steht die Berateraffäre um den ehemaligen Generalsekretär Friedrich Curtius. Dabei sollte unter Neuendorf doch alles besser werden. Disclaimer: ist es bisher nicht.
Personeller Neuanfang im sportlichen Bereich Strukturen sind wichtiger als einzelne Personen. Das gilt in der Wirtschaft und das gilt im professionellen Sport. Wollen Verbände und Vereine erfolgreich sein, geht das nur dann, wenn alle Zahnräder ineinandergreifen. Und manchmal ist dafür auch etwas frisches Öl – in diesem Fall Personal – nötig. Mit einem Blick auf die sportlichen Strukturen beim DFB wird schnell klar, dass dort in den letzten gut 20 Jahren einiges eingerostet ist. Oliver Bierhoff etwa verantwortet den sportlichen Bereich fast genausolange. Seit 2016 geht es merklich bergab. WM-Aus nach der Vorrunde 2018 und 2022, Schluss bei der EM 2021 nach dem Achtelfinale. Dass allein an Bierhoff fix zu machen, wäre seiner Person gegenüber unfair. Auch der sportliche Leiter Nationalmannschaften Joti Chatzialexiou ist seit 2003 dabei, ähnlich sieht es beim Funktionsteam rund um die Nationalelf aus. Frische Impulse gibt es zu wenig, man köchelt im eigenen Saft, wird aber nicht gar.
Bierhoff ist anzukreiden, dass er hauptverantwortlich für die Entfremdung der Nationalmannschaft von der Basis ist. Er ist es, der die Wahl der Unterkunft traf, die Deutschland in Katar zwar fernab allen Trubels und unter luxuriösen Umständen beherbergte, aber eben auch vor allem eins war: unpraktisch. Vielleicht ist es sogar seine Person, die sinnbildlich für die gewisse Arroganz steht, mit der das DFB-Team in diesen Tagen unterwegs war. Schließlich sprach man trotz aller bekannten Mängel im Team stets vom WM-Titel.
Es gilt nun, durch frische personelle Impulse die festgefahrenen Zahnräder wieder in Gang zu bringen. Vielleicht nicht unbedingt beim Bundestrainer, denn Ansätze waren da, aber beim Führungspersonal drumherum.
Erneuerung im Team Wenn über neues Personal gesprochen wird, muss auch die Mannschaft miteinbezogen werden. Altgediente Spieler wie Thomas Müller oder Ilkay Gündogan sind in ihren Vereinen zwar weltklasse, laufen in der Nationalmannschaft aber viel zu häufig unter dem Radar. Müller kündigte bereits am Donnerstagabend an, dass er sich Gedanken mache, ob er weitermachen wolle. Gündogan musste schon vor der WM von Flick überzeugt werden, überhaupt noch das Trikot überzustreifen.
Flick sagte schon bei der Kadernominierung, er wolle ein Team für die Zukunft aufbauen, habe deshalb Mats Hummels bewusst nicht mitgenommen. Rein sportlich wohl ein Fehler. Wenn Flick seinen Worten aber Taten folgen lässt, muss er in den kommenden Wochen zumindest die bereits genannten Spieler aussortieren – und auch über Manuel Neuer nachdenken. Gerade im Tor und im Mittelfeld hat Deutschland viel Qualität. In den 18 Monaten bis zur EM im eigenen Land gilt es, dass sich diese Akteure zusammen einspielen, eine Achse bilden und sich blind verstehen. Zu Gute kommt Flick da sicherlich, dass mit Joshua Kimmich, Leon Goretzka und Jamal Musiala gleich drei Akteure beim FC Bayern zusammenspielen. 2024 dürfte dann auch ein Florian Wirtz dabei sein, der aktuell noch verletzt fehlte.

So reagieren die DFB-Spieler auf das WM-Aus
Mit Youssoufa Moukoko sammelte zudem ein junges Talent bei dieser WM erste Erfahrung – und dürfte in der kommenden Turnier-Vorbereitung eine wichtigere Rolle einnehmen. Schließlich ist er eben solch ein Stürmer mit exzellenter Abschlussqualität, die dem DFB-Team in diesen Tagen von Katar sichtlich fehlte.
Ohnehin ist es nun wichtig, dass sich eine Achse etabliert, Flick aufhört vor allem in der Defensive zu viel zu experimentieren. Bei dieser WM zeigt sich wieder einmal: eingespielte Teams sind deutlich leistungsstärker.
Wiedererkennungswert schaffen Ähnlich wie beim DFB generell weiß man aktuell nicht so richtig, wofür die deutsche Nationalmannschaft eigentlich stehen will. Hansi Flick schaffte es in den vergangenen Monaten nicht, eine klare Identität zu schaffen, für die sich alle Spieler leidenschaftlich hingeben. Zwar weiß man gemeinhin, dass Flick mit seinen Mannschaften lieber ein Tor mehr erzielt, als kassiert. Aber viel war in Katar auch Stückwerk.
Während man von den Spaniern weiß, dass sie dem Tiki-Taka fröhnen oder die Engländer auf Gegenpressing setzen, ist der Blick auf das deutsche Team auch nach diesem Turnier verwässert. Das muss sich schleunigst ändern.
Ausbildung verbessern Bundestrainer Flick klagte noch am Abend des Ausscheidens über falsche Entscheidungen in der Ausbildung junger Talente. Man habe Entwicklungen verschlafen, wie er sagte. „Wie lange reden wir darüber, dass wir keine guten Außenverteidiger haben?“, fragte Flick. In der Sache hat er recht, bereits vor gut einem Jahrzehnt sagte sein Vorgänger Joachim Löw, er könne sich keinen Außenverteidiger schnitzen. Zur Wahrheit gehört allerdings, dass Flick diesen Bereich selbst drei Jahre als Sportdirektor verantwortete und die Grundlagen hätte legen können. Ähnlich sieht es auch bei der Ausbildung von Stürmern aus. Dass Niclas Füllkrug mit seinen 29 Jahren nach dem Tor gegen Spanien als Lösung aller Probleme galt, ist durchaus bezeichnend.
Andere Nationen wie England und Frankreich haben Deutschland im Jugendbereich längt abgehängt. Die deutschen Klubs scouten nicht umsonst immer häufiger im Ausland. Jude Bellingham von Borussia Dortmund ist da nur ein Beispiel. Er begeistert derzeit bei der WM auch im englischen Nationaltrikot, weil er eben einer jener Spieler ist, die im Bereich zwischen den beiden Strafräumen sowohl hinten abräumen, aber auch vorn für gefährliche Elemente sorgen kann. Fairerweise muss man sagen, dass der DFB schon vor einiger Zeit seine Talentförderung umgestellt hat und wieder Fußballer fördert, die mit Wucht zum Torerfolg kommen wollen. Doch bis sich das auch in der Nationalmannschaft widerspiegelt, wird Zeit vergehen. Und es ist die bedingungslose Kooperation der Bundesligisten nötig. Wohl auch deshalb soll nun mit Hans-Joachim Watzke bei der Analyse ein Mann aus dem DFL-Präsidium dabei sein.