Was bleibt, was kommt Wie die WM in Katar den Fußball verändert hat

Düsseldorf · Die Weltmeisterschaft in Katar war umstritten wie kein anderes Turnier zuvor. In Zukunft könnten sich viele Dinge trotzdem wiederholen. Eine Bestandsaufnahme.

 Argentinische Fans blicken auf Doha.

Argentinische Fans blicken auf Doha.

Foto: Andre Penner / dpa

Das große Adventstheater am Persischen Golf geht zu Ende. Wer der Fußballshow des Weltverbands Fifa in Katar nicht von vornherein und mit Ausdauer die kalte Schulter gezeigt hat – wofür es viele gute Gründe gibt –, der kann sich fragen, was nach rund vier Wochen bleibt. Erste Antwort: vor allem Unbehagen.

Sicher ist: Fußball-Weltmeisterschaften werden nie mehr sein, was sie vielleicht mal waren - richtige Sportfeste mit beinahe unbeschwerter Begegnung, gleichzeitig Trendsetter für internationale Entwicklungen. Schon lange bestimmen Marketing und das Expansionsstreben der Fifa den wichtigsten Fußball-Wettbewerb, nicht erst seit Katar, seither aber so deutlich wie nie zuvor. Das Erschließen neuer Märkte ist längst bedeutender als das Treiben auf den Plätzen. Das Spiel an sich ist der Fifa Mittel zum Zweck. Und der Zweck heißt: Geld verdienen.

Für politischen Einspruch, für Meinung jenseits der vorgegebenen Fifa-Sicht, war noch nie Platz. Aber auch noch nie wurde das so sichtbar wie bei der Advents-WM in Katar. Der fast schon lächerliche Streit um Spielführer-Armbinden, die so etwas wie den Rest einer Haltung ausdrücken sollten, ist nur eine Erscheinung der choreographierten Macht der hohen Herren am Hof des Präsidenten Gianni Infantino. Sie fläzten sich auf den Ehrentribünen in Sesseln, die mit Messingschildchen ihrer Namen ausstaffiert waren wie Plätze im Museum.

Das Perfide daran ist, dass sich in diesem Museum lebendige Wesen selbst ausstellen, um ihren Einfluss vor der Welt zu dokumentieren. Infantino musste nicht einmal mehr jeden Tag verlogene Lobeshymnen auf Katar singen, dessen gesellschaftspolitische Verfehlungen seit vielen Jahren so klar auf dem Tisch liegen. Die Vergabe der WM in das Land am Golf hat der Umgang mit Menschen so wenig verhindert wie die perfekte Inszenierung des Fußballmonats, für die sich Fifa und Katar nun feiern.

Die Missachtung der Menschenrechte wird künftig auf keinen Fall mehr ein Ausschlusskriterium sein können. Selbst wenn nun genauer hingeschaut wird bei den Vergabekonferenzen, so werden es allenfalls die üblichen Verdächtigen sein, die genauer hinschauen, die aber anschließend doch eher Gesten der Ohnmacht bemühen. Jene, die sich diesmal mit ihren schalen und wirkungslosen Protesten blamierten, als das Kind längst im Brunnen lag – wie die Delegation des Deutschen Fußball-Bundes.

Sie wird bei den Fifa-Tagungen weiter mit ansehen müssen, wie Infantinos Wirtschaftsunternehmen die Märkte nach Gutdünken erschließt, und sich dafür die Berechtigung durch die Stimmen der vielen Mitglieder einsammelt, die am Tropf der guten Gaben des Weltverbandes hängen. Dazu braucht es nicht einmal aktive Bestechung, die Verschiebung lukrativer Rechte an einflussreiche Verbandsfunktionäre oder seltsame Überweisungen. Diese Zeiten haben die modernen Funktionäre überwunden.

Die Fifa hat viele Mitglieder derart abhängig gemacht, dass sich die Regierung des Weltverbands ihrer Posten und der Stimmenmehrheit ganz sicher sein kann. Und niemand, der nicht am Weihnachtstag vor dem Kamin auf einen bärtigen älteren Herrn aus der Coca-Cola-Werbung wartet, wird davon ausgehen, dass bei der Entscheidung über eine WM-Vergabe allein nach dem freien Willen der Delegierten abgestimmt wird.

In vier Jahren wird in den USA, Kanada und Mexiko gespielt. Diskussionen um niedliche Menschenrechts-Demonstrationen am Arm der Mannschafts-Kapitäne wird es da nicht geben. Es wird sie wohl nicht einmal geben müssen. Die Spieler als Litfaßsäulen verkrampfter Verbände zu missbrauchen, ist ohnehin der falsche Weg. Ein Zeichen wäre es, wenn die großen Verbände ihre wirtschaftliche Macht in Anschlag bringen würden gegenüber der Fifa, wenn sie schon mit ihren Stimmen nichts ausrichten können. Das große Welttheater wäre schließlich nichts ohne die großen Sponsoren und auf jeden Fall gar nichts ohne die großen Stars.

Auch Katar war eine WM der Stars. Drei der allergrößten schafften es ins Halbfinale – Luka Modric mit Kroatien, Lionel Messi mit Argentinien und Kylian Mbappé mit Frankreich, Mbappé und Messi stehen sich erwartungsgemäß im Finale gegenüber. Allein Außenseiter Marokko fiel aus dem Rahmen. Sein Sprung in die Runde der letzten Vier war Argumentationshilfe für die These: „Es gibt keine Kleinen mehr.“ Das ist allerdings ebenso falsch wie die Behauptung, es gebe keine Großen mehr, nur weil Scheinriesen Belgien und Deutschland in der Vorrunde und Brasilien im Viertelfinale ausschieden. Erlaubt ist die Feststellung, dass Trainingswissenschaft und medizinische Erkenntnisse die physische Leistungsfähigkeit der Fußballer einander angenähert haben. Die entscheidenden Faktoren aber bleiben Leidenschaft, Teamgeist, defensive Arbeit im Kollektiv und die persönliche Qualität.

Die haben auch in Katar gelegentlich für so etwas wie große Fußballstimmung in den Stadien gesorgt. Dass selbst beim Viertelfinal-Klassiker zwischen Frankreich und England viele Plätze frei blieben, muss jedoch nicht nur die Fraktion der Fußball-Romantiker besorgen. Die Fifa hat ihre finanziellen Ziele natürlich erreicht, aber leere Plätze lassen sich nicht mal durch den einfallsreichsten Kameraschnitt kaschieren. Sie machen sich einfach nicht gut im vermeintlich makellosen Hochglanzprodukt. Möglicherweise denkt der Weltverband sogar darüber nach. Politisch fragwürdigen Ländern mit Skepsis zu begegnen, wird weiterhin nicht der Ansatz der Fifa sein. Dass ausgerechnet Infantino dem Westen wegen der leisen Kritik an Katar Heuchelei vorwarf, ist eine bezeichnende Anekdote in diesem Spiel. In der Sache mag der Vorwurf gerechtfertigt sein, vom Thron des Fifa-Präsidenten vorgetragen zeugt er nur von bösartiger Hybris. Und wer Führungskräfte wie Infantino loswerden will, der muss die Fifa an sich ändern. Aber wer glaubt schon daran?

Vielleicht ist der moderne Fußball in Katar einen entscheidenden Schritt zu weit gegangen. Natürlich ist das Wort Sündenfall zu schwer, zu groß. Vielleicht ist es trotzdem das Ende der Idee des Fests der Fußballgenies vor der großen Gemeinde ihres Anhangs. Nicht einmal nur der Anfang vom Ende.

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