Nach Verzicht auf „One Love“-Binde So reagieren Politik und Sportwelt auf den DFB-Rückzieher

Düsseldorf · Die „One Love“-Kapitänsbinde ist Geschichte: Der DFB und die anderen beteiligten europäischen Verbände haben sich dem Druck der Fifa gebeugt. Hintergrund sind die angedrohten Sanktionen. Wie die Politik und Sportwelt auf den kurzfristigen Verzicht reagiert.

"One Love"-Binde: DFB knickt ein und verzichtet - "Schämt euch" - Netzreaktionen ​
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„Standfestigkeit eines Wackelpuddings“

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Foto: dpa/Sebastian Gollnow

Ex-Nationalspieler Thomas Hitzlsperger hat Fifa-Präsident Gianni Infantino für die angedrohten Sanktionen im Zusammenhang mit der „One Love“-Kapitänsbinde kritisiert. „Infantino hat es sogar geschafft, die Mannschaften zu zwingen, die #OneLove-Binde nicht zu tragen. Wie erbärmlich?! Wie wäre es mit Regenbogen-Schnürsenkeln?“, schrieb der 40-Jährige am Montag bei Twitter.

Wenig später legte Hitzlsperger nach: „Gianni Infantino denkt, er ist größer als Virgil van Dijk, Manuel Neuer, Harry Kane und andere Topstars des Weltfußballs“, schrieb Hitzlsperger: „Er denkt, das Spiel gehört ihm. Er kann sich schwul, arabisch, moslemisch und noch ganz anders fühlen. Es ist so traurig, dass wir an diesem Punkt angekommen sind.“

Auch der frühere Nationalmannschafts-Kapitän Michael Ballack attackierte die Fifa scharf. „Dass die Fifa mit so einer Entscheidung kommt, ist schon frech, mehr als frech“, sagte Ballack bei MagentaTV. Der Fußball-Weltverband habe „total versagt“, in Gänze: „Die Fifa fährt hier einen Kurs, der absolut nicht nachvollziehbar und auch inhaltlich nicht zu vertreten ist.“

Die „One Love“-Kapitänsbinde der europäischen Kapitäne hatte am zweiten WM-Tag zum großen Zerwürfnis mit dem Weltverband geführt. Laut DFB-Präsident Bernd Neuendorf setzte die Fifa die an der Kampagne für Menschenrechte und Vielfalt beteiligten Uefa-Teilnehmer stark unter Druck - und drohte mit sportlichen Sanktionen.

„Die Fifa hat sehr deutlich gemacht, dass sie sportliche Sanktionen verhängen wird, sollten unsere Kapitäne die Armbinden auf dem Platz tragen“, teilten der DFB und die Verbände aus England, Wales, Belgien, Dänemark, den Niederlanden und der Schweiz in einer gemeinsamen Erklärung mit.

„Wir erleben einen beispiellosen Vorgang in der WM-Geschichte“, sagte DFB-Präsident Bernd Neuendorf zum Aus für das Menschenrechts-Symbol: „Die von der Ffia herbeigeführte Konfrontation werden wir nicht auf dem Rücken von Manuel Neuer austragen.“ Der DFB-Keeper wird daher doch nicht mit der vielfarbigen Binde inklusive Herz auflaufen.

Als Folge könnten die Spielführer der Teams nun mit vom Weltverband bereitgestellten Armbinden auflaufen. Diese sollen an jedem Spieltag eine andere Antidiskriminierungs-Botschaft verbreiten. Der erste Spieltag stand zunächst unter dem Motto „Fußball verbindet die Welt“. Am Montag zog der Weltverband jedoch den für das Viertelfinale geplanten Slogan „Keine Diskriminierung“ vor. Das Tragen der Motto-Binde ist nicht verpflichtend.

Die Fan-Organisation „Football Supporters Europe“ kritisierte den Vorgang scharf. „Heute empfinden wir Verachtung für eine Organisation, die ihre wahren Werte unter Beweis gestellt hat, indem sie den Spielern die Gelbe Karte und der Toleranz die Rote Karte gezeigt hat“, twitter „FSE“.

Aus der Politik und Sportwelt gab es auch Kritik am DFB für den Rückzieher. „Noch ein Grund nicht zu schauen! #FIFAWorldCupQatar2022 und an @DFB, das ist echt schwach“, schrieb Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen). Ihr Parteikollege Konstantin von Notz schrieb ebenfalls bei Twitter: „Finde ich eine abstruse, falsche und beschämende Entscheidung. Was ist die #FIFA nur für ein unterirdischer Laden!“ SPD-Politiker Johannes Schätzl (Mitglied des Deutschen Bundestages für den Wahlkreis Passau) forderte bei Twitter sogar bereits die Abreise des DFB-Teams aus Katar. „Diese Binde war bereits der kleinste gemeinsame Nenner. Wenn man die jetzt auch schon nicht mehr tragen darf ohne sportliche Konsequenzen, sollte Deutschland das Turnier verlassen“, so Schätzl. „Und zwar noch heute!“ ZDF-Moderator Jochen Breyer schrieb: „Ein Zeichen, das man nur dann setzt, wenn man dadurch keinerlei Konsequenzen zu befürchten hat, ist kein Zeichen.“

Ballack warf dem DFB und den sechs weiteren europäischen Teilnehmernationen ein „Einknicken“ vor. „Ich finde es schade“, sagte der 46-Jährige. Deutschland, England oder die Niederlande seien Nationen mit Gewicht im Weltfußball. Er sei deshalb „absolut“ enttäuscht.

Es sei aber noch Zeit, ein Zeichen zu setzen. „Sie haben die Möglichkeit, jetzt bei diesem Event darauf aufmerksam zu machen. Es gibt keine größere Plattform als so eine WM, um zu seinen Werten zu stehen“, sagte Ballack. Die Verbände seien die Protagonisten, „ohne die haben wir hier keine WM und kein Event. Sie haben die Möglichkeit, ein Statement zu setzen.“

(dpa/old)
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