Abstimmung mit Fernbedienung So massiv ist der Rückgang der TV-Zuschauer bei der WM

Düsseldorf · Keine andere Fernsehsendung ist so beliebt wie die Live-Übertragungen bei großen Fußball-Turnieren. Doch die WM in Katar sorgt für einen beispiellosen Quoten-Einbruch. Was sind die Gründe?

WM 2022 im Fernsehen: TV-Einschaltquoten der Spiele in Katar
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Die Einschaltquoten der bisherigen WM-Spiele in Katar am TV

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Foto: dpa/Mike Egerton

Die Daten sind für ARD und ZDF ernüchternd. Die Zuschauerzahlen bei der Fußball-WM in Katar sind so niedrig wie noch nie. Die Zwischenbilanz nach der ersten K.o.-Runde ist eindeutig: Bei den Achtelfinals beträgt das Minus im Vergleich zur WM 2018 in Russland mehr als 50 Prozent.

Es ist eine Abstimmung mit der Fernbedienung - nicht gegen die Sender, sondern gegen die WM. Schon in der Vorrunde waren das Desinteresse und die Boykott-Stimmung bei vielen Fußballfans an den Zahlen der AGF Videoforschung abzulesen. Lediglich 4,802 Millionen sahen im Durchschnitt die Live-Übertragungen der Gruppenspiele bei ARD und ZDF, nachdem es vor vier Jahren noch 9,254 Millionen gewesen sind.

Nach dem Aus der deutschen Mannschaft ist das Minus in der ersten Phase der K.o.-Phase sogar noch deutlicher: 4,775 statt 9,997. „Viele Menschen sind konsequent geblieben“, kommentierte ARD-Sportkoordinator Axel Balkausky die Zahlen.

„Über mehrere Wochen gesehen, sind es trotzdem außergewöhnliche Zahlen, das gilt auch für die jungen Zuschauer“, sagte Balkausky. Immerhin war auch der 6:1-Sieg Portugals gegen die Schweiz mit 5,82 Millionen am Dienstagabend die meistgesehene Sendung des Tages. Es schauen also weiterhin Millionen zu - nur sind es eben deutlich weniger als früher.

Live-Übertragungen von großen Fußball-Turnieren hatten bisher ein Niveau, das kein anderes Format auch nur ansatzweise liefern kann. 2018 hatten die WM-Spiele der deutschen Mannschaft noch einen Schnitt von mehr als 25 Millionen TV-Zuschauern. Bei den drei Spielen dieser WM lag der Wert hingegen bei nicht einmal 15 Millionen.

Allerdings hält MagentaTV bei dieser WM die Übertragungsrechte und zeigt alle WM-Spiele, 16 sogar exklusiv. ARD und ZDF sind somit anders als bisher nicht die einzigen Anbieter in Deutschland, die die WM übertragen - und sie durften auch nicht, ebenfalls anders als bisher, alle Vorrundenspiele zeigen. MagentaTV macht seine Zuschauerzahlen jedoch nicht öffentlich.

Zu den Gründen für den Quoten-Einbruch sagte die Medienwissenschaftlerin Jana Wiske: „Eine WM in der hektischen Vor-Weihnachtszeit erzeugt keine große Fußballstimmung, die sich im Sommer etwa durch viele Public-Viewing-Angebote im Freien entwickelt.“ Außerdem lehnen aus Sicht der Professorin an der Hochschule Ansbach viele Menschen „diese extreme Form der Kommerzialisierung des Fußballs immer mehr ab: Die Summe der Missstände rund um die WM in Katar und die dubiose Rolle der Fifa war für einen großen Teil der Fußballfans zu viel, eine Boykott-Haltung hat sich regelrecht etabliert.“

Ähnlich sieht es der Kölner Medienexperte Christoph Bertling. „Normalerweise verbinden Fußball-Weltmeisterschaften, sie gelten als riesige soziale Lagerfeuer“, erklärte der Wissenschaftler der Sporthochschule Köln. Aber „diese WM ist ein Spaltpilz. Sie polarisiert.“ Maßgebliche Gründe sind aus seiner Sicht auch die „ungewohnte Übertragungszeit in der Winterzeit, eine sehr starke Politisierung sowie fehlendes Public Viewing“.

Die Zahl der Zuschauer bei den digitalen Angeboten von ARD/ZDF nimmt zwar zu, kann das Minus im klassischen Fernsehen aber nicht ausgleichen. Die Daten der öffentlich-rechtlichen Sender für Internet und Mediatheken lassen sich mit den TV-Zahlen nicht direkt vergleichen, ARD-Mann Balkausky kalkuliert allerdings im Durchschnitt etwa 2,5 Millionen zusätzliche Zuschauer im Netz bei deutschen Spielen. Dazu kommen noch die Abonnenten von MagentaTV. Der Telekom-Sender überträgt als einziger ausnahmslos alle Spiele, einige davon exklusiv. MagentaTV veröffentlich keinerlei Quoten.

Ein Kameramann sitzt bei einem WM-Spiel hinter der TV-Kamera.

Ein Kameramann sitzt bei einem WM-Spiel hinter der TV-Kamera.

Foto: dpa/Tom Weller

Auf der anderen Seite fehlen in diesem Jahr die ungezählten Millionen, die bei Sommer-Turnieren beim Public Viewing feiern und die Spiele verfolgen. Auch diese WM-Zuschauer tauchen nicht in den TV-Zahlen der AGF Videoforschung auf.

(dpa/stja)
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