Gibt es einen Superstar-Bonus? Videobeweis wird auch zur WM-Streitfrage

Saransk · Nach reibungslosem Start sorgt der Videobeweis auch bei der WM für heftige Diskussionen. Iran klagt über einen Bonus für Cristiano Ronaldo. Ein Schiedsrichter zeigt sich uneinsichtig. In Spanien herrscht hingegen Jubel: „¡Viva el VAR!“

 Schiedsrichter Enrique Caceres im Spiel zwischen Iran und Portugal.

Schiedsrichter Enrique Caceres im Spiel zwischen Iran und Portugal.

Foto: dpa/Andreas Gebert

Promi-Bonus für Cristiano Ronaldo, Glück für das DFB-Team, dazu der erste Witz-Elfmeter: Kurz vor Beginn der heißen Turnierphase steht der Videobeweis nun auch bei der Fußball-WM voll im Brennpunkt der Diskussionen. Irans Trainer Carlos Queiroz redete sich in seinem Ärger über die neue Technik beim unglücklichen Aus gegen Portugal richtig in Rage.
„Es wurden Zehntausende Dollar ausgegeben, da sitzen fünf Leute zusammen und sehen den Ellbogenschlag nicht“, schimpfte der Coach nach dem 1:1 und klagte über eine Bevorzugung der Superstars im Fußball. „Es ist nicht wichtig, ob es Ronaldo war oder Messi - es steht in den Regeln!“

Der insgesamt völlig überforderte Schiedsrichter Enrique Caceres schaute sich am Montagabend das Vergehen Ronaldos auf Intervention der Video-Assistenten selbst noch einmal an - entschied aber überraschenderweise auf Gelb statt Rot. Dreimal machte sich der Paraguayer während der Partie auf den Weg an die Seitenlinie. „Eine Videobeweisorgie“, witzelte ZDF-Experte Oliver Kahn.

Eigentlich schien der Einsatz des Videobeweises bei dieser WM zum Lehrstück für die Bundesliga zu werden, wie es richtig geht. Weniger Überprüfungen, Korrektur nur von klaren Fehlentscheidungen, eine einheitliche Linie. Dieses Rezept sorgte zu Turnierbeginn für mehr Gerechtigkeit - und bereits jetzt für die Rekordzahl von 20 Elfmetern. Mehr Strafstöße gab es noch nie bei einer WM. Doch je hitziger die Spiele werden und je mehr Referees zum Einsatz kommen, die nur wenig Erfahrung mit der Technik haben, desto mehr Probleme gibt es.

„Man ist gut ins Turnier gestartet, aber jetzt gab es doch einige Holperer - wichtige Szenen, in denen der Videobeweis nicht eingesetzt wurde“, kritisierte der Schweizer Ex-Referee Urs Meier. „Es ist willkürlich geworden.“

Auch der frühere Fifa-Referee Babak Rafati meldete sich zu Wort. „Es gab mittlerweile viele Szenen, bei denen die Schiedsrichter richtig schlecht aussahen. Auch viele, bei denen die Hilfe durch den Videobeweis nicht funktioniert hat“, schrieb Rafati in seiner Kolumne für den Sportbuzzer (Mittwoch).

So mache der Videobeweis „den Fußball kaputt. Positive Emotionen, Ekstase und Leidenschaft, wie sie nur der Fußball liefert, werden uns genommen“, führte der ehemalige Bundesliga-Referee weiter aus und nannte den Einsatz des Videoassistenten „Willkür, das ist russisches Roulette. Ein Glücksspiel – mit tragischem Ende für ein Team.“ Der Weltverband FIFA nutze das Turnier „zu Testzwecken“ und mache es damit „zur Theaterbühne“, kritisierte der 48-Jährige.

Ganz anders sieht es Bundestrainer Joachim Löw. „Ich bin ein Freund und Befürworter des Videobeweises und finde, dass das hier sehr gut gehandhabt wird“, sagte Löw am Dienstag in Kasan und stellte fest: „Bislang waren alle Entscheidungen korrekt.“

Doch die Aufreger häufen sich: Wilmar Roldan sorgte mit seinem zweiten Elfmeterpfiff zugunsten von Saudi-Arabien gegen Ägypten für völlige Verwunderung. Nach einem absolut harmlosen Kontakt entschied der Kolumbianer auf Strafstoß - und ließ sich auch durch die Intervention der Video-Assistenten und eine Überprüfung der Bilder nicht davon abbringen. Schon beim Confed Cup hatte Roldan sich eine peinliche Panne beim Spiel von Deutschland gegen Kamerun geleistet und durch einer Verwechslung mehrfach den Videobeweis benötigt.

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Bei der WM konnte sich das deutsche Team nun in der Partie gegen Schweden glücklich schätzen, dass der Einsatz von Jérôme Boateng gegen den früheren Hamburger Marcus Berg nicht geahndet wurde. „Das ist einfach ein Elfmeter und eine Rote Karte“, wertete Ex-Referee Meier im ZDF. „Da gibt es eigentlich keinen Zwischenraum, das versteht der normale Fan nicht mehr.“ Auch Schwedens Coach Janne Andersson zeigte sich überrascht, dass nicht überprüft wurde: „Ich hoffe, dass es eine klarere Linie gibt, wann der Videobeweis benutzt wird und wann nicht.“ Insgesamt überwiegen aber noch die positiven Aspekte.

„Gott schütze den Videobeweis“

Die Unterlegenen wüten, die Begünstigen feiern hingegen die Videogrüße aus Moskau. „¡Viva el VAR!“ („Es lebe der Videobeweis!“), titelte die Sportzeitung „Marca“ am Dienstag nach dem 2:2 für Spanien gegen Marokko. Die Unparteiischen hatten vor dem Ausgleich in der Nachspielzeit zunächst auf Abseits entschieden. Da sie damit allerdings so lange warteten, bis der Ball im Tor war, ließ sich die Szene überprüfen und richtigstellen. Ein Musterbeispiel für den gelungenen Videobeweis.

Marokkos Coach Hervé Renard beklagte hingegen vehement, dass der Schiedsrichter den Eckball vor dem Ausgleich von der falschen Seite ausführen ließ. So ein kleinerer Regelverstoß wird jedoch nicht überprüft. Stattdessen kommt der Videobeweis nur bei offensichtlichen Fehlern der Unparteiischen bei Torentscheidungen, Abseitsstellungen, Platzverweisen oder bei der Verwechslung eines zu bestrafenden Spielers. „Die Technik hat uns das Unentschieden beschert“, kommentierte die Zeitung „As“ deshalb: „Gott schütze den Videobeweis.“

(togr/dpa)
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