WM-Eröffnungsspiele seit 1966 Aller Anfang ist zäh

Düsseldorf/Moskau · Seit 1966 gibt es ein Eröffnungsspiel bei einer WM. Doch erst 1982 fällt im Auftaktspiel das erste Tor. In der Regel sind die ersten 90 Minuten des Turniers vor allem eins: Produktenttäuschung.

Kameruns Victor Ndip (r.) streckt Argentiniens Superstar Diego Maradona im Auftaktspiel der WM 1990 in Mailand mit einem Kungfutritt nieder.

Kameruns Victor Ndip (r.) streckt Argentiniens Superstar Diego Maradona im Auftaktspiel der WM 1990 in Mailand mit einem Kungfutritt nieder.

Foto: Imago Sportfoto/imago/Sven Simon

Fußballfans machen alle vier Jahre denselben Fehler. Sie freuen sich auf das Eröffnungsspiel der Weltmeisterschaft. Doch mit dem Auftakt ist es so wie mit der gemischten Tüte Weingummi, in die ein Kind euphorisch hineingreift, nur um dann das Stück Karamell-ummanteltes Lakritz zu erwischen, das es nicht mag. Produktenttäuschung nennt man neudeutsch das, was die ersten 90 Minuten einer WM in der Regel bieten. Es ist eine Produktenttäuschung mit Geschichte.

Ein offizielles Eröffnungsspiel gibt es erst seit 1966. Im Rückblick auf die Turniere von 1930 bis 1962 hob die Fifa erst vor ein paar Jahren das jeweils erste Spiel dieser Turniere in den Rang eines Eröffnungsspiels. Doch eigentlich verdient sich in den ersten drei WM-Jahrzehnten sowieso nur das Duell von Deutschland und der Schweiz 1938 diese Bezeichnung, da nur an diesem Tag kein weiteres WM-Spiel angesetzt war.

Die Geschichte der Eröffnungsspiele ist von 1966 an eine wahrhaft gruselige. England gegen Uruguay endet damals 0:0. In Erinnerung bleibt einzig Promenadenmischling „Pickles“, der das Spiel aus der Ehrenloge verfolgen darf, weil er zuvor beim Gassigehen den gestohlenen WM-Pokal ausgebuddelt hat. 1970 gibt es schon wieder ein 0:0 zum Auftakt: Mexiko und die Sowjetunion zeichnen sich verantwortlich. 1974 in Deutschland wird das 0:0 im Eröffnungsspiel dann aus rheinischer Sicht zur Tradition. Brasilien und Jugoslawien überbieten sich in Frankfurt im Nicht-Verlieren-Wollen.

Den ersten Treffer in einem Eröffnungsspiel erzielt ein Belgier

Auch die Deutschen können 1978 als Weltmeister den 0:0-Bann nicht brechen und trennen sich von Polen torlos. Brasiliens Legende Pele fordert danach die Abschaffung des Eröffnungsspiels, Bundestrainer Helmut Schön kritisiert immerhin die nervliche Belastung für die Spieler. Es dauert geschlagene zwölf Jahre, bis 1982 endlich ein Treffer zum WM-Auftakt fällt – aber auch nur einer. Belgien schlägt Argentinien 1:0, und Torschütze Erwin Vandenbergh sichert sich mit seinem Tor des Tages seinen ganz eigenen Platz in den Geschichtsbüchern seines Sports. Eine wahre Torflut gibt es 1986: Bulgarien und Italien feiern ein 1:1-Schützenfest.

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Foto: dpa/Marcus Brandt

Gibt es von nun an also Fußballfeste als Ouvertüre? Die Antwort lautet: nein. Doch in der Folge bieten die Kicks zum Start immerhin Geschichten. Wie die von Roger Millas Kamerunern, die 1990 in Italien Weltmeister Argentinien in doppelter Unterzahl 1:0 besiegen, den Torjubel-Tanz an der Eckfahne salonfähig machen und selbst TV-Kommentator Marcel Reif dazu bringen, seine Neutralität aufzugeben. „Lauft, meine kleinen schwarzen Freunde, lauft!“, skandierte Reif damals in zweifelhafter Manier in die deutschen Wohnzimmer.

Als sich Deutschland 1994 bei Gluthitze in den USA gegen Bolivien zu einem 1:0-Auftaktsieg krampft, steht die Geschichte des Spiels schon vor dem Anpfiff fest. Die Organisatoren haben Aufstellungen verteilt, in denen Spieler wie Christian Wörns, Uwe Bein oder Bruno Labbadia von Berti Vogts ins Rennen geschickt wurden – doch die hat der Bundestrainer gar nicht für den WM-Kader nominiert.

1998 gelingt den Brasilianern etwas nicht für möglich Gehaltenes: Sie schießen zwei Tore im Eröffnungsspiel. 2:1 heißt es am Ende gegen Schottland, und ein weiteres Mal hofft die Fifa, das mit dem separaten Auftaktspiel sei in den 60er Jahren doch eine gute Idee gewesen. Frankreich und der Senegal untermauerten diese These 2002 nicht wirklich, aber dadurch, dass die Afrikaner 1:0 gewinnen, hat das Turnier zumindest schon nach den ersten 90 Minuten seine erste Sensation.

Das Sommermärchen beginnt torreich wie nie

Es braucht schließlich das inzwischen skandalbehaftete Sommermärchen 2006, um der Fifa genug Videomaterial für einen möglichen Eröffnungsspiel-Werbefilm zu liefern. 4:2 schlägt Deutschland in München in einem kurzweiligen Spiel Costa Rica. So torreich war es nie zu Beginn einer WM – auch danach nicht mehr, aber immerhin verfallen 2010 das 1:1 von Südafrika gegen Mexiko und Brasiliens 3:1 gegen Kroatien nicht in 0:0-Muster zurück.

Philipp Lahm (l.) und Torsten Frings jubeln 2006 gegen Costa Rica.

Philipp Lahm (l.) und Torsten Frings jubeln 2006 gegen Costa Rica.

Foto: Imago Sportfoto/imago/Bernd König

Und diesmal? Russland und Saudi-Arabien eröffnen morgen die WM. Die Paarung verspricht eher eine Tüte Weingummi ohne Weingummi – dafür mit umso mehr Karamell-Lakritz. Trotzdem werden wieder genug Fußballfans dem Anpfiff entgegenfiebern. Denn, egal wie bescheiden das Spiel auch wird, eines garantiert ein Eröffnungsspiel immer: Die WM geht endlich los.

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