WM-Kolumne von Berti Vogts Zu Beginn müssen 80 Prozent reichen

Düsseldorf · Die Steigerungsfähigkeit in einem großen Turnier sollte auch diesmal eine deutsche Stärke sein. Selbst wenn die Vorrundengruppe unangenehm erscheint, ist mit der Offensivqualität des DFB-Teams alles möglich, schreibt Berti Vogts in einem Gastbeitrag.

 Bundestrainer Joachim Löw, Berti Vogts und Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff (v.l.) scherzen am 15. Mai 2018 am Rande der Bekanntgabe des vorläufigen deutschen WM-Kaders im Fußball-Museum in Dortmund.

Bundestrainer Joachim Löw, Berti Vogts und Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff (v.l.) scherzen am 15. Mai 2018 am Rande der Bekanntgabe des vorläufigen deutschen WM-Kaders im Fußball-Museum in Dortmund.

Foto: AP/Martin Meissner

Zunächst einmal möchte ich etwas klarstellen: Mit der Marke „Die Mannschaft“, unter der unsere deutsche Fußball-Nationalmannschaft zurzeit gehandelt wird, kann ich wirklich wenig anfangen. Für mich ist und bleibt es immer unsere „Deutsche Fußball-Nationalmannschaft“.

Ich freue mich, dass die Weltmeisterschaft in Russland beginnt. Ob ich selbst Spiele vor Ort sehen werde, entscheidet sich kurzfristig. Ich erwarte eine tolle WM der deutschen Nationalmannschaft, auch wenn mir die letzten sieben Spiele nicht gefallen haben. Gerade gegen Frankreich, Spanien und Brasilien war viel Luft nach oben. Das Spiel gegen Österreich sehe ich nicht so negativ, wie es dargestellt wurde. Da ist die Belastung hoch, und es ist normal, dass man in ein Loch fällt. Wäre man kurz vor der WM auf dem Höhepunkt der Belastbarkeit, wäre das sogar negativ. Wir wollen ja bis zum Finale bei der WM bleiben. Jetzt muss es Schritt für Schritt nach vorn gehen.

Löw hat die richtigen Entscheidungen getroffen

Aber ich bin guter Dinge, dass Joachim Löw das Timing hinkriegt. Wenn es am Sonntag gegen Mexiko losgeht, muss das Team mindestens bei 80 Prozent sein. Das muss für die Gruppenphase reichen, die 100 Prozent sind dann gefragt, wenn die K.o.-Spiele kommen. Aber das war immer die Stärke deutscher Mannschaften: Wenn es darauf ankam, waren sie bereit.

Was mir gegen Saudi-Arabien zu Beginn sehr gefallen hat, war das schnelle Offensivspiel mit Marco Reus und Timo Werner. Wie wir da nach vorn gespielt haben, werden wir jede Abwehr vor Probleme stellen. Ich freue mich, dass Reus dabei ist. Mit seinen Tempodribblings kann er sehr, sehr wichtig für uns sein. Er und Draxler auf den Außenpositionen, dazu Werner und Müller mit seinem großen Torinstinkt im Zentrum, das ist schon eine Hausnummer.

Insgesamt hat Löw die richtigen Entscheidungen getroffen – das gilt auch für den Fall Leroy Sané. Löw wird wissen, warum er auf ihn verzichtet hat. Wichtig ist, dass wir bei der WM als Mannschaft auftreten – und auch das muss man bei der Zusammenstellung des Kaders im Blick haben. Entscheidend ist, dass jetzt Ruhe herrscht. Deswegen muss das Thema Gündogan/Özil beendet werden. Die beiden wissen, dass sie etwas falsch gemacht haben, aber nun muss endgültig Schluss mit dem Thema sein. Alle müssen sich auf den Fußball fokussieren.

Wieso sich die Spieler nicht politisch äußern sollten

Deswegen sollten sich die Spieler auch nicht mit der politischen Situation in Russland auseinandersetzen. Das ist Sache der deutschen Politik und des DFB. Der DFB wird sich mit Sicherheit im sozialen Bereich in Russland etwas einfallen lassen für die Bevölkerung. Man darf nicht an allem vorbeischauen, aber ich möchte auch mal herausstellen, dass die Russen sehr freundliche Menschen sind. Jeder, der dort hinreist, sollte sich erst mal eine eigene Meinung bilden.

Dass es in Russland generell ganz große taktische Neuerungen geben wird, glaube ich nicht. Wichtig ist: Wenn man sich die Formationen unserer Weltmeisterschafts-Endspiele anschaut, wird deutlich, dass immer mindestens fünf offensiv ausgerichtete Spieler dabei waren. Auch jetzt wird Löw das Spiel nach vorn pflegen. Das gefällt mir, auch mit Blick auf die vergangene Bundesliga-Saison, die fußballerisch sehr enttäuschend war. Unsere Nationalspieler messen sich aber jetzt mit den besten Spielern der Welt. Das muss eine Extra-Motivation sein. Sie müssen sich sagen: Wir wollen den Titel verteidigen und damit etwas schaffen, das noch keine deutsche Mannschaft geschafft hat. Dafür muss man alles herausholen. Der Weltmeister wird gejagt – aber damit muss man leben.

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Die Fifa muss einsehen, dass es nicht größer geht

Ich muss allerdings sagen: Wir haben eine sehr unangenehme Gruppe erwischt. Die Mexikaner werden ganz anders auftreten als beim Confed-Cup, aber sie haben immer sehr viel Respekt vor Deutschland. Das müssen wir nutzen. Die Schweden sind für uns immer sehr unangenehm. Sie sind nur defensiv ausgerichtet und warten auf einen Fehler des Gegners. Wenn sie ein Tor erzielen, wird es ganz schwer. Südkorea ist laufstark und bissig und darum auch unangenehm. In unserer Gruppe ist keiner der ganz Kleinen gelandet. Ich sehe die ständige Ausweitung der WM-Turniere ja etwas kritisch. Es sind jetzt 32 Teams dabei, damit ist für mich die Obergrenze erreicht. Wenn es bei der WM 2026 dann 48 Mannschaften sein sollen, dann müssen sich die großen Ligen in Europa und die Verbände wehren. Die Fifa muss einfach einsehen, dass es nicht größer geht.

Brasilien, Frankreich, Argentinien und wir gehören für mich zu den Favoriten. Die Belgier werden genannt, aber immer, wenn sie länger im Turnier sind, werden sie schwächer. Da nützen die tollen Einzelspieler nichts mehr. Das ist unser Vorteil: Deutsche Nationalmannschaften treten immer als Team auf und wachsen im Turnier. Wenn wir das schaffen, klappt es mit der Titelverteidigung.

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