Revolte gegen den Trainer Argentinien zerlegt sich selbst

Nischni Nowgorod · Vizeweltmeister Argentinien steht am Abgrund, Lionel Messi war auch gegen Kroatien nur ein Schatten seiner selbst. In der Schusslinie der Kritik steht jedoch Trainer Sampaoli. Ein Start motzt: "Von mir aus kann er sagen, was er will."

Eine angebliche Revolte gegen Trainer Jorge Sampaoli, Superstar Lionel Messi verzweifelt und desillusioniert - und ein Team, das keine Einheit ist: Vizeweltmeister Argentinien richtet sich bei der WM in Russland selbst zugrunde, die gesamte Mannschaft droht zu zerbrechen. Nach dem desaströsen 0:3 (0:0) im zweiten WM-Spiel gegen Kroatien liegen die Nerven blank. Das drohende Aus in der Vorrunde lässt die Rufe nach Veränderungen immer lauter werden.

"Von mir aus kann Sampaoli sagen, was er will", motzte Sergio Agüero - dabei hatte er schlicht eine Nachfrage zu dem umstrittenen Coach falsch verstanden. "Agüero warf eine Bombe auf Jorge Sampaoli", schrieb die Tageszeitung Clarin.

Ein Missverständnis, das tiefe Einblicke gewährt. Verschiedene argentinische Medien berichten, dass das Team Trainer Sampaoli noch vor dem entscheidenden Spiel gegen Nigeria am Dienstag (20.00 Uhr MESZ) entmachten will. Ein Dementi gibt es bislang nicht, und auch Kapitän Messi schweigt.

"Argentinien zerfällt in Stücke. Historische Blamage", stellte das Sportmagazin Ole passenderweise fest, und Clarin schrieb von "einer Seleccion außer Kontrolle. Das Wunder, mitten in einer WM ein Team zu finden, blieb aus. Die Niederlage schmerzt. Und Messi? Wo war Leo?"

Ja: Wo war eigentlich Lionel Messi? Auf dem Platz stand er am Donnerstagabend, aber er hatte keinerlei Wirkung oder Bindung zum Spiel. Selbst der so unsichere Torhüter Willy Caballero, der das 0:1 durch den Frankfurter Ante Rebic (53.) mit einem schlimmen Fehler einleitete, spielte mehr Pässe (36) als der große Superstar des FC Barcelona (31).

Während Messi mit starrem Blick und rot gequollenen Augen vom argentinischen Verbandspräsidenten Claudio Tapia aus der Arena geführt wurde, übernahm Trainer Sampaoli die volle Verantwortung. Nicht nur für Messis Leistung, sondern für das kollektive Versagen der Südamerikaner.

WM 2018: Argentinien gegen Kroatien - Bilder des Spiels
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Foto: REUTERS/IVAN ALVARADO

Er trage die Entscheidungen und sei sich der Konsequenzen bewusst, sagte Sampaoli, der auf der Pressekonferenz knapp 15 Minuten lang von den Journalisten in die Mangel genommen wurde. Seine simple Analyse: "Wir haben nicht das beste Team gefunden, um Messi zu unterstützen. Unser Matchplan ist nicht aufgegangen."

Das erklärt aber nicht, wieso sein Team nach dem 0:2 durch Luka Modric (80.) die Gegenwehr komplett einstellte. Beim dritten Treffer durch Ivan Rakitic (90.+1) schauten die Argentinier nur noch zu. Die Fans, allen voran Diego Maradona, weinten hemmungslos. Und Messi? Der stand frustriert am Mittelkreis, schüttelte ungläubig den Kopf und stemmte die Hände in die Hüfte. Viele Fans und Experten legen dem Superstar, der am Sonntag 31 Jahre alt wird, den Rücktritt nah. Der Traum vom WM-Titel - er wird sich für Messi wohl nicht erfüllen.

Eine bittere Erkenntnis, ein Fiasko, ein Desaster für den Vizeweltmeister. Eine WhatsApp-Sprachnachricht, die angeblich von Diego Simeone sein soll, sorgt zusätzlich für Wirbel. In dieser spricht der argentinische Trainer von Atletico Madrid der gesamten Verbandsführung die Kompetenz ab, von "vier erbärmlichen Jahren" ist die Rede.

Was bei all dem Getöse beinahe untergeht: Das Aus in der Vorrunde, es wäre das vierte in Argentiniens Geschichte und das erste für Messi, ist noch nicht einmal besiegelt. Mit einem hohen Sieg gegen Nigeria und etwas Schützenhilfe kann der zweimalige Weltmeister noch für die Wende sorgen.

Der Glaube daran fällt jedoch schwer. "Das Erreichen der nächsten Runde", schrieb die Zeitung Diario Popular, "ist praktisch eine Utopie".

(sid)
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