Vom Egozentriker zum Teamplayer Was Neymar auf der Jagd nach dem Pele-Rekord so wertvoll macht

Doha · Neymar könnte den Torrekord des großen Pele einstellen, doch Brasiliens Superstar schaut nicht mehr nur auf sich selbst - er ist zum wichtigen Ratgeber der jungen Spieler geworden.

 Neymar (r.) ist voll ins Team integriert und arbeitet auch für seine Kollegen.

Neymar (r.) ist voll ins Team integriert und arbeitet auch für seine Kollegen.

Foto: AP/Manu Fernandez

Wenn Neymar mit seinen goldenen Kopfhörern aus dem Mannschaftsbus steigt, werden Fußball-Romantiker die Augen verdrehen. Ausgerechnet dieser Schnösel soll den Torrekord des großen Pele einstellen? Der Superstar der Brasilianer, der wie kaum ein anderer die Fans spaltet, hat Historisches im Blick: Ein Tor noch - und der als egozentrisch und arrogant verschriene Angreifer stellt sich auf eine Stufe mit dem Allergrößten, diesem Mythos des Weltfußballs.

„Rekorde zu brechen, ist für mich eine große Quelle des Stolzes“, sagte der 30-Jährige vor dem Viertelfinale am Freitag (16.00 Uhr MEZ/MagentaTV) gegen Vize-Weltmeister Kroatien, „ich habe einige Dinge erreicht, von denen ich nie gedacht hätte, dass ich sie erreichen würde.“

Auch wenn er jetzt schon Peles 77 offizielle Tore für die Selecao erreichen sollte - ganz oben auf seiner To-do-Liste steht aber immer noch das Allerwichtigste: Brasilien nach 20 Jahren endlich den „Hexa“, den sechsten WM-Titel, schenken - und damit in die Reihe der Legenden aufsteigen. „Wir haben noch drei Spiele“, betonte er und meinte damit als Abschluss das Finale am 18. Dezember in Lusail.

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Foto: dpa/Tom Weller

Die WM als Ego-Show eines abgehobenen Multimillionärs, der nur auf seine Vita schaut? Seine Teamkollegen widersprechen vehement. „Er ist so wichtig für uns, man kann das gar nicht genug betonen“, sagte Kapitän Thiago Silva, „er ist unser Herz, wenn es ihm nicht gut geht, geht es auch der Selecao nicht gut.“ Außenverteidiger Danilo ergänzte: „Neymar macht, dass die anderen besser spielen.“

Das gilt vor allem für die jungen Stürmer, die zusammen mit ihm beim 4:1 im Achtelfinale gegen Südkorea ein Spektakel boten. Gerade zu ihnen hat Neymar einen besseren Draht als Kapitän Silva (38) oder die anderen Führungsspieler Casemiro (30) und Marquinhos (28).

Ein Beispiel: Neymar nahm Raphinha (25) fest in den Arm und sprach beruhigend auf ihn ein, als der trotz der 4:0-Führung gegen Südkorea sehr angespannt zur zweiten Halbzeit aus der Kabine kam, weil er noch immer kein Tor erzielt hatte. Raphinha wechselte im Sommer erst zum FC Barcelona, nachdem er Neymar per WhatsApp um Rat gefragt hatte.

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Foto: AP/Luca Bruno

Für Vinicius Junior (22) ist der vermeintliche Egozentriker gar „wie ein Bruder“. Besonders wichtig: „Vor jedem Spiel nimmt er jedwede Verantwortung von meinen Schultern.“

Auch Trainer Tite weiß zu schätzen, wie sehr sich Neymar in den vergangenen Jahren verändert hat. „Er ist einer der Anführer“, betonte der „Professor“, der ihn nach der verpatzten WM 2018 zum Kapitän machte, ihm die Binde nach einer Handgreiflichkeit im französischen Pokalfinale mit Paris St. Germain aber wieder abnahm: „Er hat eine große Natürlichkeit, gegenüber der Presse kann er dies nur schwer ausdrücken.“

Deshalb komme er in der Öffentlichkeit ganz anders rüber, als er tatsächlich sei: „Er ist der Erste, der auf die jungen Spieler zugeht. Hinter den Kulissen hat er ein weiteres Talent.“ Das nur wenige kennen.

(dör/SID)
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