WM-Kolumne von Simon Rolfes So kann es beim DFB nicht weitergehen

Dem DFB-Team haben Energie und Spannungsmomente in Russland gefehlt. Eine Blutauffrischung ist in jedem Team von Zeit zu Zeit nötig, findet RP-Kolumnist Simon Rolfes.

 Enttäuschte DFB-Spieler nach der Niederlage gegen Südkorea.

Enttäuschte DFB-Spieler nach der Niederlage gegen Südkorea.

Foto: dpa/-

Das historische WM-Aus der deutschen Nationalmannschaft ist eine Riesenenttäuschung. Es muss ein Umbruch folgen. Die Spiele in Russland haben gezeigt, dass da keine Mannschaft auf dem Platz stand. Die DFB-Auswahl war keine Gemeinschaft. Es hat an Leidenschaft und Esprit gefehlt. Auch war der letzte Wille nicht erkennbar, taktische Konzepte umzusetzen. Die Elf war defensiv sehr fehleranfällig, ist deshalb Letzter geworden und zurecht ausgeschieden. Beim Confed-Cup-Sieg vor einem Jahr hat die Mannschaft die Fans noch emotional berührt. Auch das war nun anders. Und man hat das Gefühl, dass dieses Verhältnis zwischen Spielern und Anhängern schon etwas länger nicht mehr ungetrübt ist.

Viele Stammspieler und Weltmeister von 2014 sind nun zwischen 28 und 30 Jahre alt. Die nächste Europameisterschaft könnte für viele das letzte große Turnier werden. Ich rechne nicht mit einer Rücktrittswelle wie noch vor vier Jahren, als Lahm, Klose und Mertesacker aufgehört haben. Die Frage bleibt dann aber: Wer sind die, die den Platz für die Jungen frei machen? Ich kann die Sicht jedes Einzelnen, weiterspielen zu wollen, absolut nachvollziehen. Nur: In diesem Konstrukt kann es so nicht weitergehen. Energie und Spannungsmomente haben in Russland gefehlt. Eine Blutauffrischung ist in jedem Team von Zeit zu Zeit nötig. Das wird am Ende die große Aufgabe des Bundestrainers sein, dafür zu sorgen. Er wird sicherlich auch unangenehme Entscheidungen treffen müssen.

Viele – ich auch – haben erwartet, dass das Team während des Turniers noch zu seiner Form findet. Aber das hat die Mannschaft in drei Spielen nicht geschafft. Der Glaube, dass es in zwei Jahren in der gleichen Konstellation anders sein sollte, fehlt. Die Zusammenstellung der Mannschaft muss verändert werden. Ob das mit dem aktuellen Trainer funktionieren kann? Es ist natürlich schwierig für Joachim Löw, da er zu seinen Spielern eine besondere Beziehung hat. Auf der anderen Seite hat er ein großes Standing. Es wird darauf ankommen, wie groß seine Motivation ist. Er ist schon sehr, sehr lange Bundestrainer. In seiner Amtszeit ging es bislang immer bergauf. Es war ein permanenter Prozess, der schließlich im Titelgewinn 2014 gipfelte. Jetzt muss aber ein Neuanfang folgen. Die Frage ist, ob er dafür die Energie aufbringt.

Die kritischen Stimmen werden das Team so oder so weiter begleiten. Auch wenn die Mannschaft wieder in der Qualifikation ein paar Spiele gewinnt, ist das frühe Aus in Russland damit nicht wiedergutgemacht. Das kann nur mit einem guten Auftritt bei der EM 2020 funktionieren.

Bezüglich meiner Titelfavoriten muss ich den Gang nach Canossa antreten: Mit Deutschland und Spanien sind schon zwei aus meiner Liste ausgeschieden, nur Brasilien und Frankreich sind noch dabei. Die Vorrunde war zum Teil ernüchternd und langweilig. Was mich wirklich freut, ist, dass mit Beginn der K.o.-Phase unglaublich viel Dynamik und Leidenschaft dazugekommen ist. Als Fußballfan geht einem das Herz auf, wenn man sieht, wie Uruguay gekämpft hat. Wenn eine Mannschaft spielerisch limitiert ist, muss sie versuchen, diesen Nachteil durch andere Qualitäten wettzumachen. Das Turnier hat deutlich an Qualität dazugewonnen.

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Die Engländer und vielleicht auch die Kroaten haben eine Riesenchance, ins Finale zu kommen. Auch, weil sie auf der vermeintlich einfacheren Seite des Turnierbaums stehen. Müsste ich mich aber auf einen Weltmeister festlegen, würde ich wohl auf Frankreich setzen. Sie haben eine hochtalentierte Mannschaft mit viel Tempo. Im Vergleich zu vorherigen Turnieren habe ich bei ihnen zudem das Gefühl, dass sie nun eine Einheit sind – und am Ende womöglich die größte Qualität von allen Teams haben.

Was mir bei dieser WM aufgefallen ist, ist dass sich alle Favoriten in der Vorrunde schwergetan haben. Ich glaube, das ist ein Indiz für die hohe Belastung der Topspieler während der Saison. Das wird auch bei kommenden Turnieren eine große Rolle spielen. Wahrscheinlich wird es so kommen, dass sich die Top-Mannschaften durch die Vorrunde hangeln werden und dann in den K.o.-Spielen erst richtig Fahrt aufnehmen.

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