Berechtigte Kritik Das waren die Fehler von Hansi Flick bei der WM

Analyse | Düsseldorf · Keine defensive Stabilität, Nibelungentreue zu verdienten Spielern, Fehler in der Aufstellung: Bundestrainer Hansi Flick muss sich nach dem Aus bei der WM in Katar berechtigte Kritik gefallen lassen.

 Niedergeschlagen: Hansi Flick.

Niedergeschlagen: Hansi Flick.

Foto: AP/Hassan Ammar

Nein, die deutsche Fußball-Nationalmannschaft spielte bei dieser Weltmeisterschaft keinen unterirdischen Fußball. Daran lag es zweifelsohne nicht, dass die DFB-Auswahl am Freitag bereits nach der Vorrunde aus Doha abreisen musste. Laut Statistik hatten Thomas Müller und Co. sogar die höchste Zahl an „Expected Goals“, also zu erwartenden Toren, von allen WM-Teilnehmern. Deutschland hatte also genug Großchancen, um in jeder Partie dem Gegner richtig zuzusetzen. Und dennoch steht nach drei WM-Spielen das blamable Aus. Wieder einmal. Die Gründe dafür sind nicht nur im Pech zu suchen, sondern auch bei Bundestrainer Hansi Flick.

Schon die Kadernominierung sorgte für Diskussionen. Mit Mats Hummels ließ Flick den derzeit besten deutschen Innenverteidiger zu Hause, um die Mannschaft für die Zukunft zu fördern. Stattdessen spielte im ersten Gruppenspiel gegen Japan ein seit Wochen vollkommen verunsicherter Nico Schlotterbeck – und sah alles andere als gut aus.

Das steht sinnbildlich für das Grundproblem dieser Mannschaft, das Flick bis jetzt nicht in den Griff bekommen hat: die defensive Stabilität. In nahezu allen Partien, die er verantwortete, schickte er eine veränderte Defensivreihe auf das Feld. So auch bei dieser Weltmeisterschaft. Allein die Rechtsverteidigerposition wurde in jedem Spiel anders besetzt. Gegen Japan verteidigte Niklas Süle dort, Thilo Kehrer durfte sich gegen Spanien versuchen und am Donnerstag gegen Costa Rica stellte Flick plötzlich Joshua Kimmich auf, obwohl er stets selbst betonte, den Bayern-Spieler im defensiven Mittelfeld am stärksten zu sehen. Ach ja, auch Lukas Klostermann durfte mal ran.

Es ist allgemein bekannt, dass das Verteidigen nicht erst in der letzten Reihe beginnt. Dennoch bleibt festzuhalten, dass eine Viererkette auf höchstem Niveau eingespielt sein muss, damit sie richtig funktioniert. Defensive Stabilität ist aber, wenn man so will, das größte Problem einer jeden Flick-Mannschaft. Das war auch beim FC Bayern der Fall, mit dem er immerhin sechs Titel gewann. Immer wieder kassierte der Rekordmeister Gegentore nach einfachen Spielzügen des Gegners – ähnlich wie die deutsche Nationalmannschaft in Katar. Dass selbst das biedere Costa Rica zwei Treffer erzielen konnte, ist erschreckend.

„Wir haben zu oft den Gegenspieler freigelassen und nicht zugestellt, vor allem die Verteidiger. Da habe ich mir viel mehr erwartet“, sagte ARD-Experte Bastian Schweinsteiger. „Wir haben fünf Gegentore kassiert. Seit der EM 2016 haben wir immer ein Gegentor kassiert. Wenn du nicht gut verteidigst, wirst du auch nicht weiterkommen und nicht gewinnen.“ Das ist durchaus Flick anzukreiden, der für eine offensive Spielweise steht und lieber ein Tor mehr erzielt als der Gegner. Das mag mit Vereinsmannschaften gutgehen, wenn man insgesamt 34 Spiele (wie in der Bundesliga) Zeit hat, mögliche Pleiten auszubügeln. Bei einem Turnier mit drei Spielen in der Gruppenphase, bei dem jede Niederlage das Aus bedeuten kann (wie nun geschehen), sollte der Fokus aber auf defensiver Stabilität liegen.

So war es fast erschreckend, dass die deutsche Mannschaft keine Antwort im ersten Gruppenspiel gegen Japan fand, als der japanische Trainer das System änderte. Ein Impuls von Flick? Fehlanzeige. Seine Wechsel damals waren gleichbedeutend mit einem „weiter so“. Das ging bekanntlich komplett in die Hose. Japan überrollte die deutsche Abwehrkette mit einfachsten Mitteln, und der Bundestrainer schaute ungläubig zu.

Freilich lässt sich diese Stabilität nicht innerhalb einer Woche Vorbereitung auf die WM erlernen. Aber Flick hatte im gesamten Spieljahr über immer wieder experimentiert, sogar im letzten Testspiel gegen den Oman nicht die erste Elf aufgeboten. Ein Fehler, wie sich nun herausstellt, zumal andere Nationaltrainer seit langer Zeit auf eine eingespielte Defensive setzen – obwohl die Spieler nicht einmal in ihren Vereinen Stammspieler sind (wie etwa Jordi Alba bei den Spaniern).

„Wir haben Spieler mit Topqualität“, sagte Flick trotzig nach dem Aus am Donnerstagabend über seine Mannschaft. Das mag sein, gehören Akteure wie Antonio Rüdiger, Leroy Sané oder Ilkay Gündogan zu den Besten der Welt. Doch Flicks personelle Entscheidungen lassen durchaus Raum für Kritik, das Festhalten an verdienten Spielern war bei diesem Turnier nicht zielführend. Statt nach Form aufzustellen, versuchte er es rein mit Routine. So gut der DFB-Kader besetzt ist – vor allem in der Offensive – so sehr fällt die Abschlussschwäche auf.

Costa Rica - Deutschland: So reagieren die DFB-Spieler auf WM-Aus
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So reagieren die DFB-Spieler auf das WM-Aus

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Foto: AFP/KIRILL KUDRYAVTSEV

Gegen Costa Rica traf Deutschland immerhin vier Mal. Doch bereits zur Pause hätten eigentlich schon deutlich mehr Tore als das eine von Serge Gnabry fallen müssen. Die deutsche Mannschaft schaffte es zwar, die eigenen Spieler in Abschlusssituationen zu bringen, es waren aber die falschen. Und auch hier muss sich Flick hinterfragen lassen, wenngleich er das nicht gern tut. In einem Spiel, in dem merklich direkt von Beginn an auf möglichst viele Treffer gespielt werden sollte, hätte ein echter Mittelstürmer wie Niclas Füllkrug deutlich effektiver sein können als beispielsweise Thomas Müller, der bei diesem Turnier eher wie ein Fremdkörper wirkte. Erst als nahezu alles verloren war, brachte Flick den Werder-Stürmer, der wieder knipste. Ähnlich verhielt es sich mit Kai Havertz, der die Räume deutlich besser nutzte als seine Kollegen.

Das vielleicht größte Problem Flicks ist aber, dass auch er die Überheblichkeit aus dieser Mannschaft nicht herausbekommen hat – und sie selbst sogar forcierte. Statt einer ehrlichen Einordnung der Leistungsstärke seiner Mannschaft beschwor er stets das Ziel, Weltmeister werden zu wollen. So trat seine Mannschaft gegen Japan als auch gegen Costa Rica mitunter hochnäsig auf und fiel damit auf die Nase – wie übrigens schon in der Nations League gegen vermeintlich kleine Gegner. „Viel Talent, alles schön und gut, aber da gehören auch andere Dinge dazu. Diese letzte Gier, dieses etwas Dreckige, das fehlt uns. Wir sind eine sehr, sehr liebe Mannschaft“, sagte Rüdiger nach dem WM-Aus am Donnerstag. Eine Kritik an der Auswahl der Spieler? Kritik an der Entwicklung der Spieler? Man kann beides in die Aussage hineininterpretieren.

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Foto: dpa/Christian Charisius

Als Flick am Ende des Abends die Ausbildung in Deutschland kritisierte, kritisierte er sich selbst. Denn er schwimmt bis auf eine kurze Unterbrechung selbst seit Jahren im DFB-Sud mit, verantwortete sogar drei Jahre lang die sportliche Ausrichtung und hätte somit die Weichen für ein Zukunftskonzept selbst stellen können. Dass in Deutschland gute Außenverteidiger und herausragende Mittelstürmer rar gesät sind, liegt also zumindest auch ein bisschen an ihm.

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