WM-Kolumne von Tobias Escher Wie Deutschland die nächste Abwehrmauer knacken kann

Düsseldorf · Einmal noch einen defensiven Gegner knacken, dann ist Deutschland endlich im Achtelfinale! Unser Kolumnist Tobias Escher beleuchtet die Stärken und Schwächen der Südkoreaner. Und erklärt, was die DFB-Elf besser machen muss als in den ersten beiden Gruppenspielen.

 Könnten eine wichtige Rolle spielen: Toni Kroos muss seine gewohnte Spielstärke zeigen, Marco Reus in die richtigen Räume starten.

Könnten eine wichtige Rolle spielen: Toni Kroos muss seine gewohnte Spielstärke zeigen, Marco Reus in die richtigen Räume starten.

Foto: dpa/Ye Pingfan

Und täglich grüßt das Murmeltier. Oder im Fall der deutschen Mannschaft: die Defensivmauer. Oliver Bierhoffs Kritik, die Schweden hätten sich bei Deutschlands 2:1-Sieg neunzig Minuten am eigenen Strafraum verbarrikadiert, mag wenig diplomatisch, vielleicht sogar hochnäsig gewesen sein. Ganz von der Hand zu weisen ist sie nicht. Mit Mann und Maus verteidigen, Räume schließen, sich in jeden Schuss werfen: Das war die schwedische Marschroute.

In der Gruppenphase haben die deutschen Gegner in erster Linie das Ziel, hinten die Null zu halten. Vorne vertrauen sie darauf, dass die deutsche Abwehr einen Fehler begeht. Wer kann es ihnen verübeln? Immerhin treten sie gegen den Weltmeister an. Und ganz erfolglos war das Rezept ja nicht. Auch gegen Schweden tat sich die deutsche Mannschaft schwer, den gegnerischen Defensivblock aufzubrechen.

Wer hofft, dass sich diese Gemengelage im dritten Spiel ändert, dürfte enttäuscht werden. Südkorea hat die taktische Marschroute adaptiert, die so viele Außenseiter bei dieser WM anwenden. Ihre zwei engen Viererketten bauen sie kurz vor dem eigenen Strafraum auf. Egal, ob sie wie gegen Mexiko im 4-4-1-1 oder wie gegen Schweden im 4-1-4-1 verteidigen: Zu jeder Zeit sind acht, manchmal sogar neun Südkoreaner hinter dem Ball. Einzig ein Stürmer verbleibt vorne, um im Falle eines Ballgewinns sofort hinter die Abwehr geschickt zu werden. In der Strategie unterscheidet sich Südkorea kaum von Schweden oder Mexiko.

Es sind die Details, die den Unterschied machen – und die auch erklären, warum Südkorea bislang ohne Punkt geblieben ist. Sie bauen ihre Viererketten noch tiefer auf als die meisten anderen WM-Teilnehmer. Gerade im Mittelfeld üben sie praktisch keinen Druck auf den Gegner aus. Wie auch? Ihre Doppelsechs zeichnet sich weder durch Aggressivität noch durch gutes Timing im Zweikampf aus. Noch stärker als Schweden und Mexiko verlässt sich Südkorea darauf, gegnerische Angriffe am eigenen Strafraum zu stoppen. Südkorea bewegt sich dazu wie eine Ziehharmonika über den Platz: Hat der Gegner den Ball im Mittelfeld, stehen die beiden Viererketten breit, decken das gesamte Feld ab. Je näher der Gegner an den südkoreanischen Strafraum kommt, umso enger ziehen sich die Viererketten zusammen. Kommt eine Flanke in den südkoreanischen Strafraum, stehen beide Viererketten geschlossen im Sechzehner.

WM 2018: Die besten Bilder des 13. WM-Tags
13 Bilder

Tschüss, Island

13 Bilder
Foto: AP/Mark Baker

Dadurch können sie zwar gegnerische Flanken abfangen oder Schüsse aus der zweiten Reihe blocken. Die defensive Staffelung raubt ihnen aber jede Gefahr bei Kontern. Vorne verbleibt zumeist einzig Superstar Heung-Min Son. Er genießt als Stürmer viele Freiheiten und ist von Defensivaufgaben weitestgehend befreit. Son ist ein exzellenter Konterstürmer, der mit gutem Timing hinter die gegnerische Abwehr startet. Dazu weicht er häufig auch auf die Flügel aus. Doch bei Südkoreas 1:2-Niederlage gegen Mexiko stand Son dermaßen häufig allein in der gegnerischen Hälfte, dass seine Konterstärke kaum zur Geltung kam. Dass er dennoch ein Tor schoss, sagt viel über seine Qualität aus.

Für Deutschlands Spiel gegen Südkorea gilt das, was schon teilweise gegen Mexiko und vollends gegen Schweden galt: Die deutsche Mannschaft hat es selbst in der Hand, wie das Spiel ausgeht. Defensive Fehler wird Son gnadenlos bestrafen. Ansonsten dürfte die Offensive der Südkoreaner kaum eine Gefahr darstellen.

Dieses Motto gilt auch in anderer Hinsicht: Es wird die deutsche Mannschaft sein, die das Spiel machen muss. Das deutsche Team muss Lösungen finden gegen die defensiven Viererketten des Gegners. Gegen Schweden gelang dies bereits wesentlich besser als gegen Mexiko. Marco Reus startete als Zehner häufig in die Spitze, wodurch das deutsche Spiel zielgerichteter wirkte. Die vier Offensivkräfte im 4-2-3-1 tauschten häufig die Positionen, verwirrten den Gegner. Gerade Timo Werner gefiel mir. Er wird gerne als reiner Konterstürmer angesehen. Gegen Schweden wich er jedoch häufig auf den Flügel aus, kombinierte mit seinen Kollegen und ging auch mal ins Dribbling. Er ist vielseitiger, als viele glauben.

Gegen Südkorea muss Deutschland auf diesen Ansätzen aufbauen. Zu selten gelang es Deutschland bisher, das gute Ballbesitzspiel auch in Chancen umzumünzen. Der Grund dafür ist nicht unbedingt taktischer Natur. Gerade um den Strafraum herum verhält sich Deutschland nahezu lehrbuchmäßig: Die Stürmer starten aus dem Rückraum in den Strafraum, besetzen die unterschiedlichen Zonen. Dabei sprinten sie nicht gleichzeitig, sondern nacheinander in den Strafraum, um die Ordnung des Gegners durcheinanderzuwirbeln. Das Problem liegt nicht in der Besetzung des Strafraums – die Hereingaben sind die Schwachstelle. Zu selten erhalten die Angreifer den Ball in den Fuß, selbst wenn sie völlig frei stehen. Punktgenaue Hereingaben sind aber gerade gegen die Südkoreaner gefragt, die mit acht Mann im eigenen Strafraum verteidigen.

Personell dürfte die größte offene Frage sein, wer neben Toni Kroos aufläuft. Sebastian Rudy hat die Aufgabe als absichernder Sechser gut gemeistert. Er fällt aber aus aufgrund seines Nasenbeinbruches. Sowohl Sami Khedira als auch Ilkay Gündogan haben Probleme in der Rückwärtsbewegung offenbart. Gegen Südkorea dürften diese Nachteile weniger schwer wiegen; vielleicht will Löw aber auch eine Variante ausprobieren, die auch in der K.O.-Phase defensive Stabilität bietet. In dem Fall würde sich ein Wechsel auf eine Dreierkette anbieten. Mats Hummels ist schließlich wieder fit.

Trotz kleinerer Fragezeichen blicke ich positiv auf das Spiel. Südkorea ist sowohl offensiv- als auch defensivtaktisch der schwächste deutsche Gruppengegner. Ein Ausscheiden würde mich überraschen. Nicht überraschen würde mich wiederum, wenn Oliver Bierhoff auch nach diesem Spiel wieder über den zu defensiven Gegner meckert.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort