Unsere WM-Experten Ja, es ist Fußball – aber es ist auch nur Fußball

Düsseldorf · Unser Autor vermisst angesichts der öffentlichen Hysterie rund um das deutsche WM aus eine nüchterne Analyse – vor allem beim DFB selbst.

 Bundestrainer Joachim Löw gibt nach der Rückkehr der deutschen Fußball-Nationalmannschaft im VIP-Bereich des Frankfurter Flughafens ein Presse-Statement ab.

Bundestrainer Joachim Löw gibt nach der Rückkehr der deutschen Fußball-Nationalmannschaft im VIP-Bereich des Frankfurter Flughafens ein Presse-Statement ab.

Foto: dpa/Andreas Arnold

Man kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus: Nach dem Ausscheiden der deutschen Mannschaft fordert ein Kommentator im Frühstücksfernsehen den Rücktritt von Herrn Löw und Frau Merkel, der Spiegel vermeldet per Titel den Untergang des Landes und es gibt eine „Sportschau-Sondersendung“ um 20.15 Uhr. Als hätten wir derzeit nicht genug Probleme auf dem Globus und in der Heimat, die einer intensiven auch medialen Betrachtung bedürfen! In allen anderen Medien ist mindestens vom „historischen WM-Schock“ die Rede. Behaltet die Nerven! Ja, es ist Fußball. Aber es ist auch nur Fußball.

So wie „wir“ in Brasilien Weltmeister geworden sind, so sind „wir“ jetzt ausgeschieden. Weil wir verloren haben. Für alle, die dies überrascht: Ein solches Ergebnis gehört auch für die deutsche Nationalmannschaft zum Konzept des Spiels – auch wenn wir bislang Gary Linekers Bonmot auf unserer Seite wussten.

Die ganze Aufregung tut angesichts dieses kalkulierbaren Ereignisses nicht gut. Jetzt sind Ruhe und Gelassenheit gefragt. Der Weltmeistertitel ist – zu Recht – ohnehin schon futsch. Was nun kommen muss, ist eine sorgfältige Analyse der Ursachen. Und zu bedenken gibt es genug: Jeder hat gemerkt, dass Mix und Stimmung in der Mannschaft nicht gestimmt haben. Die Leistungsfähigkeit der Bundesliga hinkt, von wenigen einzelnen abgesehen, im internationalen Vergleich hinterher. Große Neuerungen in unserer Fußballstruktur sind nach den bemerkenswerten Neuerungen in den vergangenen Jahren ausgeblieben. Sky-, DFB- und Clubmarketingabteilungen verkennen neben aller notwendigen Professionalisierung, dass Fußball immer noch etwas für das Herz der Menschen und für Menschen mit Herz ist. Und natürlich: Haben wir noch das beste Fußballpersonal und waren die Besten mit in Russland?

Überraschend ist, welche Professionalität der DFB gerade vermissen lässt. Die Özil-Gündogan-Erdogan-Affäre hat der Verband nie richtig in den Griff bekommen, obwohl es ihm sogar gelungen ist, das Staatsoberhaupt dafür zu verpflichten. Und selbstverständlich: Dies hatte Einfluss auf Mannschaft und Spiel. Es ging nämlich nicht nur das Faktum der Trikotübergabe selbst, sondern auch darum, was unappetitliche Populisten daraus gemacht haben. Und anders als es uns die Schweden – markant-offensiv und in nicht misszuverstehender Deutlichkeit – vorgemacht haben, gab es – mit Vorworten von Löw und Bierhoff (sic!) – hierzu eine interne Mannschafts“besprechung“. Emotionale Katharsis beim Einzelnen und öffentliche Positionierung von Mannschaft und Verband bleiben vermisst. Das sensible Spielerherz nimmt diese Probleme mit auf den Platz. Das äußert sich in Hemmungen und mangelhafter Kommunikation.

 Der Kölner Jurist Jan F. Orth.

Der Kölner Jurist Jan F. Orth.

Foto: Jan F. Orth/Holger Augustyniak

Ebenso überraschend ist die Meldung vom Wochenende, das DFB-Präsidium stelle sich geschlossen hinter den Bundestrainer. Was soll das denn? Warum macht man so etwas, obwohl man noch überhaupt nicht weiß, ob der Betreffende will? Gab es schon eine ruhige und unaufgeregte Analyse? Nein, durch diese öffentliche Positionierung wird Druck auf Löw aufgebaut. Warum? Sollte es hier an Alternativen fehlen? Die Antwort auf die gestellten Fragen wird uns unter Umständen viel mehr aufregen als das Ausscheiden selbst. Die DFB-Präsidenten Braun, Mayer-Vorfelder, Zwanziger und Niersbach waren Fußballer mit Herz. Vom aktuellen wissen wir bloß, dass er Politiker und Quereinsteiger ist.

*Hysteriemodus off.* Das nächste Turnier kommt bestimmt. Und dort werden wir wieder gut abschneiden, wenn wir uns im deutschen Fußball wieder die Zeit für die wesentlichen Dinge nehmen.

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