WM-Tagebuch Mach´s gut Russland

Moskau · Mit dem Ausscheiden der deutschen Mannschaft endet auch das Russland-Abenteuer unseres Autors. Leider. Zeit, um Abschied zu nehmen.

 Einheimische und Touristen vor dem Kreml am Roten Platz in Moskau.

Einheimische und Touristen vor dem Kreml am Roten Platz in Moskau.

Foto: dpa/Federico Gambarini

Mir geht‘s wie Jogi Löw. Ich muss Russland nun verlassen, dabei hatte ich noch so viel vor, und ich hatte mich gerade so schön an dieses enorme Land gewöhnt. Journalisten, das habe ich früher schon mal geschrieben, gelten spätestens nach zwei Wochen, die sie mit einem Land, einer Gegend, einem Gegenstand befasst sind, als Experten. Nach zwei Wochen und zwei Tagen bin ich also längst ein Experte für Russland.

Ich habe inzwischen eine Ahnung von der Größe, weil ich von Moskau aus einmal 1600 Kilometer in den Süden und einmal gut 800 Kilometer in den Osten geflogen bin. Dabei habe ich gerade mal ein Viertel des Landes unter mir vorbeiziehen sehen. Das sind Kategorien, bei denen einem Landei vom Niederrhein, das die Entfernung zwischen Mönchengladbach und Stuttgart weit findet, schnell schwindlig werden kann.

Ich habe Moskaus Größe mit einer Mischung aus schüchterner Ehrfurcht und schlichtem Unverständnis erlebt. Und ich habe die Moskauer Autofahrer, vor allem die Taxifahrer, dafür bewundert, wie sie mit großer Freiheit ihre zahlreichen Fahrspuren zu nutzen verstehen, selbst wenn es mir gelegentlich so schien, als seien da gar keine Spuren mehr zu erkennen. Sie sind echte Künstler, und ich hätte sie bei der Ausübung ihrer Kunst gern noch ein Weilchen weiter bewundert.

Jetzt, wo das Turnier so richtig in Gang kommt und der Funke ins Publikum springt, bin ich nicht mehr dabei. Das ist schade. Die Menschen hier, nicht die Politiker, werden das Turnier weiter zu einem Ereignis machen. Und auch wenn Putins Regime sich für eine gelungene Veranstaltung feiern lassen wird, haben es die Russen verdient, dass man sie feiert. Ich habe eine Menge fröhliche, sehr gastfreundliche Menschen getroffen. Manchmal sind sie in ihrer Freude ein bisschen scheu und manchmal ein bisschen brummig. Da sind sie wie ich. Deshalb gefällt mir das besonders gut.

Viele WM-Touristen haben staunend bemerkt, wie sehr ihr Russland-Bild sich aus Vorurteilen zusammensetzt. Da geht es ihnen wie den Russen, deren Bild von den (vor allem) westlichen Touristen sicherlich bald in anderen Farben gemalt wird. Und es werden in den nächsten Wochen auf beiden Seiten immer mehr, die die jeweils anderen viel zugänglicher, viel besser, viel näher finden werden. Bedauerlich, dass ich das nicht mehr erlebe. Ich hatte mir auch fest vorgenommen, mehr von diesen großartigen Städten zu sehen. Kasan fand ich toll, mit Jogis Jungs wäre ich wohl noch mal hingekommen, wenn die Jungs das Tor der Südkoreaner getroffen hätten.

Vielleicht hätte ich zum zweiten Mal in meinem Leben St. Petersburg gesehen – diesmal im Sommer. So aber muss ich nun nach Hause fahren, mit dem zweifelhaften Ruf, bei meiner ersten WM, die ich nicht in der Redaktion verbracht habe, gleich sozusagen Weltmeister geworden und bei der zweiten nach der Vorrunde ausgeschieden zu sein. Ich fühle mich schuldig. Die Serie in der Redaktion ist bedeutend ausgeglichener: 1990 – Weltmeister, 1994 – Viertelfinale, 1998 – Viertelfinale, 2002 – Vize-Weltmeister, 2006 – Dritter, 2010 – Dritter. Deshalb fahre ich ein bisschen sentimental nach Hause. Denn ich bin sicher, dass es meine letzte WM als Reporter war. Ich bin ja schon ein alter Mensch.

Darum hätte ich bestimmt noch mal so richtig russisch gegessen, wäre noch mal zum Kreml in Moskau gefahren und hätte wahrscheinlich auch mal Wodka getrunken. Essen und Trinken kamen auf jeden Fall zu kurz. Außer beim Frühstück, das ich ein bisschen vermissen werde. Weniger vermissen werde ich die Musikuntermalung. Und überhaupt nicht vermissen werde ich die Aufzug-Rallye am Morgen. Ich werde ohnehin jetzt wieder weniger Aufzug fahren.

Gerade geht die Sonne zaghaft auf, nachts um kurz nach drei. Auch so etwas gibt es anderswo nicht. Wenn ich Glück habe, schlafe ich noch zwei Stündchen. Dann wird mich ein Taxifahrer für 2000 Rubel (auch das habe ich gelernt: jede Strecke kostet 2000 Rubel) durch den Morgenverkehr zum Flughafen segeln. Dort steht das Flugzeug, das mich nach Frankfurt bringt. Und ich weiß noch, wie es dort anfing: Mit wichtigen Menschen beim Einchecken. Im Flugzeug sitzen die Spieler. Es hört also auch mit wichtigen Menschen auf.

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