Nur Klose ist ein echter Stürmer Löws WM der falschen Neuner

Mönchengladbach · Bundestrainer Löw hat sein Aufgebot für die WM benannt. Aus dem vorläufigen Kader wurden Volland, Schmelzer und Mustafi gestrichen. Im WM-Kader der DFB-Auswahl sind alle Positionen doppelt besetzt. Als dritter Torwart fährt Ron-Robert Zieler mit.

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Bis vor ein paar Monaten haben die meisten wahrscheinlich an ein Kartenspiel gedacht, wenn schlaue Menschen mit dem Begriff "falscher Neuner" um sich warfen. Aber die Fußballgemeinde lernt dazu. Nach vielen wichtigen Talkshows im Fernsehen und zahlreichen Abhandlungen von Trainern in der Öffentlichkeit hat sich herumgesprochen, dass der falsche Neuner ein sportliches Zwitterwesen ist. Eigentlich ist er ein Mittelfeldspieler mit offensiven Ansprüchen. Aber weil er gern aus dem Mittelfeld in den Angriff vorstößt und sich im Beruf der sogenannten Spitze versucht, ist er auch ein Stürmer. Lionel Messi hat diese Rolle ziemlich populär gemacht.

Im Trainerteam des Deutschen Fußball-Bundes hat der falsche Neuner viele Anhänger. Denn als der Bundestrainer gestern das endgültige Aufgebot für die Weltmeisterschaft in Brasilien (12. Juni bis 13. Juli) bekanntgab, stand da unter der Rubrik "Sturm" nur noch ein Name. Miroslav Klose, der am Pfingstsonntag 36 Jahre alt wird, vertritt die offenbar im Aussterben begriffene Gattung der echten Stürmer. Kevin Volland aus Hoffenheim, der sich zumindest häufig auf dem Feld wie ein Stürmer bewegt und deswegen auch als ein solcher gilt, wurde aus dem vorläufigen Kader gestrichen, Mario Gomez (AC Florenz) gehörte wegen anhaltender Verletzungsprobleme gar nicht erst dazu.

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Die offensiven Hoffnungen schultern nun Mario Götze, Thomas Müller, Marco Reus, Mesut Özil, Lukas Podolski und André Schürrle, die schon mal in der Position der verkappten Sturmspitze getestet worden sind. Löws Idealvorstellung ist, dass alle offensiven Spieler in ständiger Bewegung und im Wechsel vorne auftauchen. Das wäre eine Chance, Abwehrspieler von ihrem erlernten Arbeitsplatz zu locken und durch schnelles Spiel in die frei werdenden Räume Tiefe zu gewinnen - und Torgelegenheiten.

Das ist eine schöne Theorie. Wie schwierig sie in der praktischen Umsetzung wird, musste Löw beim vorletzten WM-Test in Mönchengladbach gegen Kamerun (2:2) feststellen. Weil die richtige Neun, Miro Klose, sich noch nicht im Vollbesitz ihrer Kräfte fühlt, durften sich die fußballerischen Feingeister in der Rolle einer falschen Neun vorstellen. Und sie bremsten sich dabei über weite Strecken selbst aus, weil sie sich häufig im Mittelfeld im Weg standen, statt den kraftraubenden Weg in die gefährliche Zone zu laufen. "Die Spieler in der vorderen Reihe", dozierte Fußballlehrer Löw, "kamen nicht in die Tiefe."

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Erst als der bayerische Naturbursche Müller sich des Amts annahm, wurde es besser. Müller vereint am ehesten das Gefühl eines Mittelfeldspielers mit der Zielstrebigkeit eines Stürmers. Ihn schreckt es auch nicht, wenn der Laufweg mal wehtun könnte. Das bewies er im DFB-Pokalfinale, als er sich mit Krämpfen zu einem Kontertor für seine Bayern schleppte. Und das bewies er in Mönchengladbach, als er der Flanke von Jérome Boateng ohne Rücksicht auf drohende persönliche Verluste entgegenging, ehe er den Ball mit dem Kopf zum 1:1-Ausgleich ins Netz schmetterte. Das ist die Qualität, auf die Löw in Brasilien hoffen muss.

Müllers Kollegen sind nicht immer hemmungslos begeistert, wenn es in jene Bereiche geht, wo es auch mal was auf die Socken gibt. Sie drehen dann gern mal ein Kringelchen, heben zur Vermeidung größerer Schmerzen formschön ab oder beklagen sich bei unfeiner gegnerischer Beinarbeit mit einem vorwurfsvollen Blick beim Schiedsrichter, beim Treter oder auch beim Fußballer-Schicksal. Mutiger werden sie nach herzhaften Attacken jedenfalls nicht. Auch dafür gab es in Gladbach Anschauungsmaterial.

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Bis zur WM sollten sich Löws Jungs zumindest gedanklich darauf vorbereitet haben, dass die Gegner auf den Laufwegen zum Titel sicher keine roten Teppiche ausrollen und in Anerkennung deutscher Verdienste um die Schönheit des Spiels auf tatkräftige Grätschen verzichten werden. Es drohen Begegnungen nicht nur mit den besten, sondern auch mit den härtesten Spielern der Welt. Die stehen meist dort, wo selbst der falsche Neuner mal auftauchen muss, wenn er den Erfolg sucht.

Es tut weniger weh, wenn er gar nicht so oft da aufkreuzen muss, wenn er also bei wenigen Gelegenheiten Zählbares bewirkt. Wer den Schmerzfaktor möglichst gering halten will, der schießt am besten schnell ein paar Tore. Danach kann er dann unter dem Jubel des Publikums weiter Kringel drehen. An der nötigen Entschlossenheit aber mangelte es in Mönchengladbach ebenfalls. "Die Chancenverwertung müssen wir verbessern", stellte Löw fest. Zu Recht. Denn so viele Gelegenheiten wie Kamerun gestatten starke WM-Gegner nicht. Da könnte Nachlässigkeit ziemlich bittere Folgen haben.

(RP)
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