Geld, Menschenrechte, Proteste Diese elf Themen sind ein Jahr vor der WM in Katar wichtig
In einem Jahr beginnt die Fußball-Weltmeisterschaft im Emirat Katar. Aufgrund der hohen Temperaturen am Golf wird es eine Winter-WM. Genau ein Jahr vor dem Eröffnungsspiel gibt es elf Themen, die die Berichterstattung rund um dieses Turnier bestimmen. Wir erklären, worum es geht.
Die Fakten
Es ist die kürzeste WM seit 1978. In 28 Tagen (21. November bis 18. Dezember) rollen 64 Spiele über die Bühne, 32 Nationen werden teilnehmen. Deutschland hat sich in einer der leichtesten Gruppen sicher qualifiziert.
Im Dezember 2010 wurde das Endturnier an Katar vergeben. Das Emirat setzte sich bei der Abstimmung gegen die USA, Südkorea, Japan und Australien durch. 2020 enthüllte die Staatsanwaltschaft New York, dass drei Stimmen gekauft waren (unter anderem die des Brasilianers Ricardo Teixeira).
Der Termin
Bereits fünf Jahre nach der Vergabe des Turniers nach Katar fiel den Fifa-Klimaexperten auf, dass der Sommer im Emirat der Leistungsfähigkeit von Sportlern nicht eben zuträglich ist. Es ist bei Temperaturen weit über 40 Grad einfach zu heiß. Die Funktionäre verlegten das Turnier deshalb in den frühen Winter, dann herrschen Temperaturen um die 23 Grad Celsius – auch für die mitteleuropäischen Fußballmenschen ist das auszuhalten. Es ist nicht das erste Mal, dass eine große Sportveranstaltung auch im Blick auf die Belastbarkeit von Athleten (und Zuschauern) terminiert wird. 1964 wurden die Olympischen Sommerspiele in Tokio im Oktober ausgetragen.
Die Advents-WM drückt zwar nicht auf den Kreislauf der Spieler, aber sie füllt den Spielplan zusätzlich. Damit sich das Nationalteam angemessen auf Katar vorbereiten kann, startet die Bundesliga nächstes Jahr früher und legt für die WM eine zweimonatige Spielpause ein. Für Nationalspieler wird es eine anstrengende Saison.
Korruption
Es ist längst ein offenes Geheimnis, dass niemand Welttitelkämpfe bekommt, weil die Bewerbung des jeweiligen Landes besonders farbenprächtig, witzig oder sympathisch daherkommt. Politische und wirtschaftliche Argumente sind wichtiger als die Popularität weltbekannter Bewerbungsgesichter (wie das von Franz Beckenbauer bei der erfolgreichen deutschen Kampagne für die WM 2006). Und wo einigermaßen seriöse wirtschaftliche Begründungen wie die Erschließung neuer Märkte oder die Akquirierung neuer Sponsoren nicht mehr ausreichen, da wird gezahlt.
Die jüngere Geschichte des Weltverbandes Fifa ist reich an Enthüllungen von Schmiergeldzahlungen, Unregelmäßigkeiten beim Rechtehandel und ebenso reich an Prozessen und Sperren einst führender Funktionäre. Nach ersten Berichten über Stimmenkauf verlangten DFB-Präsident Theo Zwanziger und sein englischer Funktionärskollege David Bernstein schon 2011 eine Neuvergabe. Selbst Fifa-Präsident Sepp Blatter stellte 2014 fest: „Die Vergabe war ein Fehler.“ Zwei Mitglieder der Fifa-Exekutive waren dabei gefilmt worden, wie sie ihre Stimmen zum Kauf anboten.
Menschenrechte und Politik
2013 berichtete die englische Zeitung „The Guardian“ über die Ausbeutung nepalesischer Gastarbeiter auf den WM-Baustellen. Das Blatt schrieb über die unwürdigen Bedingungen, die Rechtlosigkeit der Arbeiter und über die miserablen Sicherheitsmaßnahmen. Amnesty international sprach von „systematischer Ausbeutung und Zwangsarbeit“. Nach Berichten von Human Rights Watch erklärte sich Katar vor gut einem Jahr zu einer Arbeitsmarktreform und der Zahlung von Mindestlöhnen bereit. Der „Guardian“ fasste 2021 noch einmal nach und schrieb von 6751 Toten auf den WM-Baustellen. Diese Zahl steht unwidersprochen im Raum.
Menschenrechtsorganisationen beklagen den Umgang des Staats mit Homosexuellen. Nach dem Gesetz ist Homosexualität in Katar verboten und wird hart bestraft. Gleichberechtigung von Frauen ist kein Thema im Emirat.
Im Zentrum der Kritik an der Politik der Katarer stehen die finanzielle Unterstützung der Muslimbruderschaft und die Nähe zu den Taliban, die seit Jahren ihr politisches Büro in der katarischen Hauptstadt Doha betreiben.
Boykott und Protest
Man kann dem ehemaligen DFB-Präsidenten Reinhard Grindel sicher einiges vorwerfen. Nicht aber, dass er in der Diskussion um die WM in Katar frühzeitig auf Tauchstation gegangen wäre. „Turniere sollten grundsätzlich nicht in Ländern gespielt werden, die aktiv den Terror unterstützten“, stellte er 2012 fest. Die Firma Hendriks-Gras, der ausersehene Rasenlieferant, zog sich inzwischen aus dem Geschäft mit der WM zurück. Österreichs und Norwegens Nationalteams protestierten öffentlich. Und es gab Boykott-Aufrufe. Selbst Human Rights Watch ist allerdings nicht von der Wirksamkeit eines Boykotts überzeugt. Die Menschenrechtler glauben, dass die Durchführung der Veranstaltung wesentlich eher zu Verbesserungen führen würde, weil der Blick der Öffentlichkeit auf die Lage im Land gelenkt werde. Der einstige Bundestrainer Joachim Löw erklärte: „Ein Boykott hilft niemandem.“
Amnesty sieht nach den Protesten der vergangenen beiden Jahre Fortschritte. Der ehemalige Nationalspieler Thomas Hitzlsperger trat hingegen im „Kicker“ für einen ehrlichen Umgang mit dem Geschäft Fußball-WM ein. Es sei ihm lieber, „wenn wir knallhart sagen, die arabische Welt ist ein wichtiger Markt mit potenten Sponsoren. Deshalb spielen wir da“. An nachhaltige Verbesserungen im Land glaubt er nicht. Russland, der WM-Ausrichter von 2018, sei „auch nicht demokratischer und liberaler geworden“.
Haltung der Fifa
Neben sehr gelegentlichen Anfällen von Kritikfähigkeit (siehe der späte Blatter) säuselt der Weltverband die Bedenken hinweg. „Selbstverständlich“, urteilt der Verband frohgemut voreilig, „werden die Fans aus der ganzen Welt nach dem faszinierenden Erlebnis der arabischen Gastfreundlichkeit Katar mit einem ganz neuen Verständnis für den Nahen Osten verlassen.“ In dieses Horn stößt Nasser Al-Khelaifi, Präsident von Paris St. Germain und als katarischer Minister wichtiges Mitglied im Organisations-Komitee der WM, ebenfalls. Zu Fragen der Menschenrechtsverletzungen sagte er: „Katar ist ein sehr herzliches Volk, das so etwas nicht dulden würde.“ Dann ist’s ja gut.
Imagegewinn durch Sport
Die Katarer haben früh erkannt, dass im Sport eine Menge politisches Potenzial steckt. Gegen die Vorhaltungen arabischer Nachbarn, von Katar aus würde der weltweite Terror finanziert, und gegen die Kritik aus dem Westen, das finstere Regime in Katar verstoße systematisch gegen Menschenrechte, setzt das Emirat auf sportliche Kampagnen. Seit den frühen 1990er Jahren steckt es Geld in den Sport.
Der Experte Fabian Blumberg von der Konrad Adenauer-Stiftung erklärte in einem Beitrag der „Deutschen Welle“, Katar erscheine auf diese Weise „als weltoffener und kosmopolitischer Staat“. Er wäscht sich mit dem Sponsoring geradezu rein. Der Politikwissenschaftler Danyel Reiche sagte dem Magazin „11 Freunde“: „Sicherlich würde sich die Weltgemeinschaft kaum für dieses Land interessieren, wenn Katar nicht erfolgreich in den Sport investiert hätte.“
Geld spielt keine Rolle
Aus dem einstigen Land der Perlenfischer ist das nach Pro-Kopf-Einkommen reichste Land der Erde geworden. Erdöl und Erdgas haben die Schatztruhen gefüllt. Deshalb kann sich Katar nicht nur das Renommier-Spielzeug Paris St. Germain leisten, sondern auch die höchsten Investitionen in der Geschichte der Fußball-WM. Nach Recherchen der Schweizer „Handelszeitung“ gibt das Emirat sagenhafte 150 Milliarden Euro für die WM aus. Das Geld fließt in Stadionbau und Infrastruktur (Straßen, U-Bahn, eine neue Trabantenstadt). Zum Vergleich: Deutschlands Sommermärchen erforderte Investitionen von 0,43 Milliarden Euro, Brasilien 2014 kostete 8,10 Milliarden, Russland 2018 schließlich 21 Milliarden. Investitions-Weltmeister aber ist Katar.
Die Verantwortung von Spielern und Teilnehmern
Als Joshua Kimmich noch als Nationalelf-Sprecher für die gesellschaftlichen Themen galt, sagte er: „Wir Fußballer haben eine gewisse Verantwortung und sehen uns daher auch in der Verantwortung, Dinge anzusprechen.“ Und sein ehemaliger Mittelfeld-Kollege Toni Kroos betonte: „Der Fußball muss natürlich auf die Probleme aufmerksam machen, auch mit der Reichweite und immer wieder.“ Ob die verantwortungsbewussten Herren so weit gehen wie Amnesty und das Turnier „WM der Schande“ nennen, ist damit freilich nicht gesagt. Ihre Wortbeiträge werden jedenfalls sehr aufmerksam gehört.
Die Fans und der Profifußball
Die deutsche Nationalmannschaft ist gerade dabei, sich wieder sehr zart dem Anhang anzunähern. Aber spätestens seit Corona ist die zunehmende Entfremdung zwischen Fan-Basis und Profifußball offensichtlich. Die WM in Katar gilt vielen Fußballfreunden als endgültiges Signal für die allein am Profit ausgerichtete Politik im Showgeschäft Berufsfußball. Nikolaus Schneider, der frühere Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, der selbst im Amateurfußball aktiv war, polterte stellvertretend im „Domradio“: „Der Fußball ist geldgierig und korrupt. Das kann uns nicht egal sein. Auch wenn ich ein ganz engagierter Fußballfan bin, werde ich mir diese WM nicht antun.“
Damit steht er nicht allein. Andere werden ziemlich genau hinsehen, wie sich der Fußball auf der Bühne Katar präsentiert. Nationaltorwart Manuel Neuer trug als Kapitän von Bayern München Anfang des Jahres im Spiel gegen Hoffenheim die Regenbogen-Binde, ein Zeichen für Toleranz und Vielfalt. Auf dem Trikotärmel der Bayern prangt das Logo von Qatar Airways. Das beschreibt ganz schön den Spannungsbogen der WM, die in einem Jahr beginnt.