Linienrichter Mark Borsch Ein Gladbacher bei der WM

Moskau · Für den 41-jährigen Schiedsrichter-Assistenten Mark Borsch startete die WM am Freitag mit der Partie Schweiz gegen Serbien. Wir haben mit ihm gesprochen.

 Ein eingespieltes Team: Das Schiedsrichter-Gespann Mark Borsch, Felix Brych und Stefan Lupp (v.r.n.l.).

Ein eingespieltes Team: Das Schiedsrichter-Gespann Mark Borsch, Felix Brych und Stefan Lupp (v.r.n.l.).

Foto: dpa/Federico Gambarini

Herr Borsch, wann haben Sie gemerkt: Als Fußballer reicht es nicht, ich werde Schiedsrichter?

BORSCH (lacht) Vorsicht, sonst gibt es gleich eine Verwarnung. Tatsächlich war ich ein recht talentierter Tennisspieler. Aber nach einer Verletzung habe ich den Anschluss verpasst. Mit 17 Jahren habe ich einen Schiedsrichter-Lehrgang mitgemacht und bin dann kleben geblieben.

Bei der WM sind Sie im Team von Felix Brych neben Stefan Lupp als Assistent im Einsatz. Früher davon geträumt, bei einem Turnier dieser Größe selbst mitzumachen?

BORSCH Selbstverständlich nicht. Das war so weit weg. Mittlerweile ist es meine zweite WM. Es ist großartig, sich auf diesem Niveau beweisen zu können.

Bei der WM werden alle Szenen in hundert verschiedenen Kameraeinstellungen seziert. Was hat sich für Sie dadurch verändert?

BORSCH Das Spiel hat sich extrem entwickelt. Es ist athletischer, es ist taktisch immer anspruchsvoller geworden. Dem muss man sich natürlich auch selber anpassen: durch intensives Training. Dazu kommen technische Hilfsmittel. Früher hatte ich eine Fahne mit Korkgriff in der Hand. Dann kamen elektronische Assistenten-Fahnen dazu, dann das Headset, Freistoßspray, Torlinientechnik, jetzt sind wir beim Video-
schiedsrichter, auch da entwickelt sich alles weiter, damit uns die Entscheidungsfindung einfacher gestaltet wird.

Früher waren Sie „nur“ Linienrichter, mittlerweile tragen Sie den klangvollen Titel Schiedsrichter-Assistent. Ist damit auch eine klare Aufwertung der Funktion verbunden?

BORSCH Wir haben schon mehr Verantwortung dazubekommen. Wir sind nicht nur dafür da, anzuzeigen, ob ein Ball im Aus war, und Abseits zu signalisieren. Wir haben natürlich auch das Geschehen auf dem Platz im Blick und informieren uns über das Headset untereinander. Es geht immer darum, dem Hauptschiedsrichter zu helfen und als Team das bestmögliche Ergebnis zu erzielen.

Fühlen Sie sich als Assistent ausreichend gewürdigt?

BORSCH Haben Sie schon einmal von einem Schiedsrichter-Assistent des Jahres gehört? Es gibt einen Schiedsrichter des Jahres, der wird völlig zu Recht ausgezeichnet. Aber warum zeichnet man nicht auch ein Schiedsrichter-Team des Jahres aus? Letzendlich würde ein Schiedsrichter alleine nicht das erreichen, was er erreicht. Dazu braucht man eben ein Team. Nur zusammen ist man stark.

Wie funktioniert das Zusammenspiel auf dem Platz konkret?

BORSCH Wir sind auf dem Platz ein Team. Felix Brych ist der Chef, er hat das letzte Wort. Aber es funktioniert nur in einem Miteinander, wenn du dich hundertprozentig aufeinander verlassen kannst. Wir arbeiten nun seit mehr als zehn Jahren in der Konstellation zusammen. Wir kennen unsere Laufwege ganz genau, wissen, wie der andere einen Zweikampf bewertet.

Waren Sie nicht gut genug, um Hauptschiedsrichter zu werden?

BORSCH Ich bin einen anderen Weg gegangen. Als Assistent hast du einfach eine ganze andere Aufgabe. Man fragt ja auch Manuel Neuer nicht ständig, warum er nicht Stürmer geworden ist. Jeder hat seine Position in dem Spiel. Ich habe mich irgendwann spezialisiert, und das war auch gut. Ich mache ein ganz anderes Training, nehme ganz andere Dinge wahr, bereite mich taktisch auf eine Begegnung vor. Und versuche natürlich auch, die mentale Belastung zu verarbeiten.

Sie rennen eigentlich immer nur die Linie auf einer Hälfte des Spielfelds rauf und runter.

BORSCH (lacht) Damit bin ich auch ganz gut beschäftigt. Der Schiedsrichter kann sein Tempo selbst dosieren. An der Linie sind wir komplett fremdgesteuert. Wenn die Abwehrreihe sich verschiebt, müssen wir mitlaufen, wenn sie nach hinten sprintet, sprinten wir mit. Wir orientieren uns immer am vorletzten Abwehrspieler. Dazu kommen viele kurze, schnelle Antritte. Was man nicht verkennen sollte: Die psychische Anspannung ist über die 90 Minuten unfassbar hoch. Du kannst an der Seitenlinie keinen einzigen Augenblick abschalten, denn in jedem Moment könnte der Pass nach vorne kommen, wo wir eine Bewertung vornehmen müssen.

Können Sie die Abseitsregel erklären?

BORSCH (lacht) Fangfrage? Gerne. Abseits ist, wenn der Schiedsrichter pfeift. Im Ernst: Abseits ist, wenn ein Angreifer beim Zuspiel eines Mitspielers näher zur Torlinie steht als der vorletzte Gegenspieler und anschließend ins Spiel eingreift. So einfach ist es.

Gibt es eigentlich eine Schiedsrichter-WhatsApp-Gruppe, in der man sich gegenseitig nach einem Spiel lobt oder in die Pfanne haut?

BORSCH Sie haben ein interessantes Bild von Schiedsrichtern. Nein, zum Glück nicht. Das wäre zu viel des Guten.

Was erzählen sie sich eigentlich während eines Spiels?

BORSCH Der Felix schätzt es sehr, wenn über Funk möglichst Ruhe herrscht. Da kommunizieren wir nur untereinander, wenn es wirklich nötig ist. Andere Schiedsrichter fordern ständig Bestätigung ein, die wollen, dass man miteinander durch eine Begegnung geht und alle Zweikämpfe beurteilt.

Haben Sie schon einmal Gewalt gegen Schiedsrichter erlebt?

BORSCH Ich habe es leider schon erlebt – mit einer Nacht im Krankenhaus. Glücklicherweise ist nichts hängengeblieben.

Was war passiert?

BORSCH Ich hatte einem Spieler die Rote Karte gezeigt, Minuten später gab es nochmal eine Entscheidung, und plötzlich stand er wieder auf dem Platz und ist mir mit einem Karatetritt in die Seite gesprungen. Dann gab es noch einen Zuschauer, der mir einen Faustschlag verpasst hat.

Man hätte verstehen können, wenn Sie aufgegeben hätten. Warum sind Sie drangeblieben?

BORSCH Ja, das hätte passieren können. Aber ich wollte mich nicht einschüchtern lassen. Ich habe mir aber gesagt, jetzt erst recht. Es gibt viele Dinge, die auf dich einprasseln. Du musst deinen Weg gehen.

Wünschen Sie sich manchmal mehr Vorbildfunktion von gestandenen Profis?

BORSCH Sehen Sie, Fußball ist ein Spiel voller Emotionen. Und manchmal gehen die Sicherungen durch. Es werden im Profibereich zum Glück nur ganz wenige Grenzen überschritten. Im Amateurbereich guckt man sich ganz genau an, was die Profis machen. In den unteren Klassen ist dann aber niemand da, der einen aufhält.

Gianni Costa führte das Gespräch.

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